Anuga in KölnVon Essknete zu Buffalo-Würmern

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Ein asiatische Blume sorgt für die blaue Farbe des "Tinte Gin".

Köln – An keiner anderen Stelle Kölns wird in diesen Tagen mehr über Essen geredet als in Deutz, wo Fachbesucher aller Nationen spätestens um zehn Uhr an den Messeeingängen Schlange stehen und Stunden später mit prall gefüllten Rollkoffern und ausgebeulten Tragetüten von dannen ziehen. Wer Modedesigner bedauert, weil die sich mindestens zweimal im Jahr etwas Neues einfallen lassen müssen, muss die Foodproduzenten fast bemitleiden.

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Der ehemalige Weltmeister im Gewichtheben, Matthias Steiner, stellt mit Ehefrau Inge  das „Wohlfühl-Ich-Brot“ vor.

Rund 40 000 Lebensmittel kommen laut Angaben der Köln-Messe jedes Jahr in Deutschland neu auf den Markt – eine gigantische Zahl. Wie viele Erzeugnisse es dauerhaft in die Einzelhandelsregale und Online-Shops schaffen, und ob dies auf Datteln in Pulverform oder auf das erste nicht schmelzende Eis zutrifft, das gerade in Form von blassrosa Schweinchen in Halle 7 auf der Anuga dargeboten wird, weiß niemand.

Insektenburger

Momentan werden die von weißer oder brauner Schokolade umhüllten Grillen, die der Finne Jussi Heikkinen an seinem Stand präsentiert, noch mit einer Mischung aus Neugierde und Misstrauen beäugt, wohingegen Deutschlands erster Insektenburger, ein durchaus schmackhafter Imbiss, in dem Buffalo-Würmer (Mehlwurm-Verwandte) stecken, hier und da Fluchtreflexe auslöst. Auch beim „Hanfkiss“, einem neuen Biermischgetränk (ähnlich dem Radler, aber mit 0,2 Prozent Cannabis-Anteil) ist die Zustimmung verhalten. Aber das wird damals bei Dosenmilch und Schmelzkäse kaum anders gewesen sein. Dabei haben diese beiden Lebensmittel, die 1957 bei der Anuga als Trendprodukte vorgestellt wurden, nachweisbar den Sprung in ein neues Jahrtausend geschafft.

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Der Finne Jussi Heikkinnen zeigt schokoladeumhüllte Grillen.

In diesem Jahr feiert die Anuga ihr 100-jähriges Bestehen. Das heißt jedoch nicht, dass es sie bereits 1919 am Rhein gab. Die erste Lebensmittelmesse, an der 200 ausschließlich deutsche Firmen beteiligt waren, wurde von hundert Jahren in Stuttgart eröffnet. Fünf Jahre später wandert die Messe erstmals nach Köln, bekommt hier jedoch erst 1951 – inzwischen mit immerhin 1200 Ausstellern – ihren Dauerstandort.

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1955 beim Besuch von Bundeskanzler Konrad Adenauer werden erstmals Tiefkühlprodukte vorgestellt. Vier Jahre später sind Spezialitäten wie Pizza, Paella, Cevapcici und Gyros zu bestaunen. Weil mit der Zeit immer mehr Schokolade und Gebäck produziert wird, gliedert man die sogenannte „Süße Straße“ 1971 in eine gesonderte Messe, die ISM, aus. Mitte der siebziger Jahre ist die Anzahl an Produkten, die die Hersteller mit „light“, „du darfst“ oder „kalorienarm“ kennzeichnen, nicht mehr zu übersehen.

1995 erste Ostprodukte

20 Jahre nach dem Adenauer-Besuch beugt sich Helmut Schmidt über die ersten Kiwi aus Neuseeland. Weitere 20 Jahre später schreitet Kanzler Helmut Kohl durch die Hallen. Als er 1995 die Anuga besucht, gibt es bereits Marken wie Nutella oder Birkel und sogar erste Ostmarken wie Rotkäppchensekt. Zu dieser Zeit ist probiotischer Joghurt, ein Trendprodukt der achtziger Jahre, längst etabliert.

Mit der Jahrtausendwende beginnt das Wachstum im Bio-Bereich, und zugleich werden immer mehr Weltneuheiten dargeboten, an die wir mit einem Schmunzeln zurückdenken. 2005 etwa werden kleine geräucherte Würstchen in der Geschmacksrichtung Pflaume präsentiert und als „noble Vorspeise“ Carpaccio aus Krokodilfleisch. Dafür wird dem Anuga-Besucher 2019 Kamelpastrami aufgetischt.

Antilopensalami

Der Hit von 2007 lautet Essknete. Sie wird wie eine Backmischung mit Wasser angerührt und ergibt eine der herkömmlicher Knete ähnliche Masse. Außerdem werden dem Anuga-Besucher in diesem Jahr Antilopen- und Kaninchensalami sowie eine ungarische Salami präsentiert, die mit einer fruchtigen Hülle aus Papaya, Williams Birne und Ananas überzogen wird.

Zeitgleich kommt der erste Toast als Fleischsnack auf denMarkt: „lecker saftiges Schinkenfleisch zubereitet mit einer extra großen Panade“, so wird es damals angepriesen.

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In Schweinchenform: Eis, das nicht schmilzt.

Bei der nächsten Anuga steht Kinderwurst mit Bärchenmotiven im Fokus. Außerdem wird eine „eine neue Art, Thunfisch zu entdecken“ versprochen – in Gestalt von Thunfisch-Würstchen im handlichen Fünferpack. Des Weiteren gibt es Cola mit Chili Geschmack, die man als „schärfste Cola der Welt“ deklariert.

2011 kommt die Anuga mit Burgern aus Kaktusblättern daher sowie mit Würstchen im Schlafrock, auch „Würstel-Kit“ genannt. Außerdem wird eine Besteckpoliermaschine vorgestellt und die Cocktailmaschine „The Qube“, die die Herstellung von Cocktails in gleich bleibender Qualität ohne geschultes Personal verspricht.

Pasta Currywurst-Style

Wiederum zwei Jahre später sind Apfelstrudel und Sachertorte in den Joghurt gewandert, das Bündnerfleisch in den Bergkäse und es gibt die Pasta „Currywurst-Style“. 2015 schließlich wird Gemüseeis als Neuheit dargeboten sowie Smoothies mit Spinat und Kokos sowie ein Algendrink namens „Frisches Blut“.

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Geschäftsführer Abbass Khatami (r.) präsentiert Messegast  Johannes Wahl seinen Gin de Cologne rosé.

Heute hingegen kann man den ersten Cocktail mit Eis in der Flasche bestaunen oder die Neuheit aus der Ehrenfelder „Cologne Spirits GmbH“, den Gin de Cologne rosé. Laut Hersteller Abbass Khatami hat die rosafarbene Spirituose nicht nur eine weibliche Anhängerschaft, sondern sogar schon Fans aus Düsseldorf.

Bei der Anuga 2019 ist keine Bundeskanzlerin zu entdecken, dafür Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Trotz ihres leuchtend roten Kleides wird sie in Halle 7 jedoch weniger wahrgenommen als der ehemalige Weltmeister im Gewichtheben, Matthias Steiner, der nach Angaben seiner Frau Inge unter anderem mithilfe seiner eigenen kohlenhydratreduzierten Backwaren 45 Kilogramm abgenommen hat. Ob es Steiners „Wohlfühl-Ich-Brot“ in den Handel schafft, bleibt abzuwarten.

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