Besuch an der Kölner UniZwei Generationen, eine Universität

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Ilsemarie, Willi, Angela und Valerie Sommersberg (von vorne nach hinten) mit altem Studienbegleiter Albertus Magnus

  • Hunderttausende haben in den vergangenen hundert Jahren in Köln studiert, unsere Autorin und ihre Familie waren vier davon.
  • Wir waren mit der Familie Sommersberg zu Erinnerungen an die eigene Uni-Zeit unterwegs.

Köln – Ein Parkplatz breitet sich dort aus, wo meine Eltern sich vor 42 Jahren kennengelernt haben. „Och nö, die haben das abgerissen“, sagt mein Vater wehmütig und läuft über die Straße auf den Zaun zu. „Hier stand der Stützentrakt. Und da oben war der Praktikumsraum.“ Meine Mutter, damals 21 Jahre alt, dünn und mit wilden Locken, hat dort ihre zoologische Anfängerübung absolviert.

„Und der Papa hat gebremst“, sagt sie (63). Mein Vater, drei Jahre älter, war Studentische Hilfskraft am Biologie-Institut und betreute ihre Studentengruppen. Im Seminar haben sie Kakerlaken, Fische und Schnecken aufgeschnitten. „Ich habe darauf geachtet, dass die jüngeren Studenten nicht zu viel weg schneiden, ich habe sie also gebremst“, sagt er. Gespräche über das gemeinsame Zweitfach Erdkunde. Lange Blicke auf dem Zoologenball. Meine Eltern haben sich an der Universität zu Köln verliebt, sie haben hier studiert, gelernt, gefeiert. Meine Schwester und ich haben diese Tradition fortgeführt. Hunderttausende haben hier in den vergangenen 100 Jahren studiert – wir waren vier davon.

Heute steht ein Familienausflug zur Uni an. Meine Schwester und ich wollen wissen, wie es war in den 70er Jahren hier zu studieren. Und wir wollen meinen Eltern zeigen, wo wir gelernt haben. Meine jüngere Schwester Valerie (26) hat wie unsere Eltern auf Lehramt studiert. Sie für Grundschullehramt, meine Eltern für Gymnasium. Ich (32) habe auf Magister studiert, Skandinavistik, Englisch und Psychologie. Der letzte Durchgang, bevor auf Bachelor-Master umgestellt wurde.

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Reise zu unseren Erinnerungen

Die Reise zu unseren Erinnerungen beginnt in der Hauptmensa an der Zülpicherstraße. Aber wo ist die vegetarische Abteilung im Obergeschoss hin? „Die haben das doch umgebaut“, sagt meine Schwester. „Vegetarisch und vegan ist jetzt im Mittelgeschoss.“ Verloren blicken wir auf die hängenden Bildschirme, auf denen die Gerichte aufgeführt sind. „Ich würde Spinatlasagne nehmen“, sage ich.

„Die Reibekuchen mit Lachs hören sich gut an“, findet meine Mutter und: „Eine ganz schöne Umstellung.“ Früher gab es drei Gerichte an drei Ausgaben, Essensmärkchen und riesige Schlangen. „Im Keller war das billigste Essen, so für eine Mark. Eintopf und Milchreis.“

Meine Schwester und ich haben hier nie Milchreis gegessen. Warum auch? Es gab drei vegetarische Gerichte, eine Salatbar und für Fleischesser noch mehr. „Früher war das primitiver Kantinenfraß. Undefinierbar. Da hab ich Schnitzel gekauft und Fleisch mit Knochen und Sehnen bekommen“, sagt mein Vater. „Aber das Weihnachtsessen war toll“, schwärmt meine Mutter. „Da haben die gezeigt, dass sie kochen können. Ich glaube, es gab sogar Piccolo dazu.“ Heute fällt das Essen aus. Uns fehlt die Chipkarte, mit der man mittlerweile bezahlt.

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Die Sommersbergs unterwegs auf Erinnerungstour

Kaffee im Erfrischungsraum

Also ziehen wir weiter Richtung Cafeteria und trinken einen Kaffee im Erfrischungsraum, unter Studenten E-Raum genannt. Den kann man mit Münzen bezahlen.„Ach, die haben ja hier wieder Keramik-Tassen“, ruft mein Vater. „In den 70ern haben die auf Styroporbecher umgestellt. Da wurde der Kaffee richtig eklig.“

Mein Vater erzählt von den Studenten, die ihre Zeit hier mit Kartenspielen absaßen: „Da haben wir gesagt: Die machen ihren großen E-Schein.“ Meine Eltern haben für bestandene Klausuren und Hausarbeiten Scheine bekommen. Analog. Meine Schwester bekam digitale Punkte im Uni-System Klips. Da kann sie alles noch einmal nachschauen. Mein Vater braucht das nicht, 1979 hat er sein erstes Staatsexamen gemacht und er kann heute noch aufzählen, welche Seminare er wann, bei wem absolviert hat: „Ich weiß doch, was ich studiert hab!“ „Toll“, sagt meine Schwester „ich wusste nicht mal während des Studiums genau, was ich alles machen muss.“

„Wie wir gezittert haben, ob wir einen Masterplatz bekommen!“

Heute ist sie Grundschullehrerin. Damals saß sie im ersten Durchgang der Lehrämter, die auf Bachelor-Master studierten. „Wie wir gezittert haben, ob wir einen Masterplatz bekommen!“ Lange hieß es, es gäbe nicht für alle Bachelor-Absolventen einen Masterplatz. Für angehende Lehrer war das aber existenziell. Nur mit Master konnte man ein Referendariat starten.

„Wisst ihr, dass wir unsere Examensarbeit noch auf der Schreibmaschine tippen mussten?“ fragt mein Vater: „Wenn man sich da vertippt hat, musste man alles neu schreiben.“ Meine Mutter ergänzt: „Ja, aber es gab diese speziellen Tesa-Streifen.“ Zeile neu tippen, ausschneiden, mit Tesa aufkleben und kopieren. „Das sah der Profs dann nicht mehr.“

Mein Vater liebt das Wort „Profs“

Mein Vater liebt das Wort „Profs“ – und verwendet es im Singular und im Plural. Kopiert wurde übrigens früher selten – zu teuer. „In Vorlesungen haben wir für Kommilitonen mitgeschrieben“, sagt mein Vater. „Auf Durchschlagpapier.“ Meine Schwester: „Also ich hab ein Foto von den Notizen gemacht und es per Whatsapp an die anderen verschickt.“

Wir schlendern Richtung Philosophikum. Meinem Unigebäude. Unzählige Stunden habe ich hier unter künstlichem Licht verbracht, auf klapprigen Holzstühlen. Eine riesige Baugrube zieht sich jetzt Richtung Hörsaalgebäude. Wehmütig erinnere ich mich an den roten Wagen mit den leckeren Pizzastücken. Ob der jetzt woanders steht? „Für uns war das Philosophikum das reizvollste Gebäude auf dem ganzen Campus“, sagt meine Mutter. „So neu und modern. Hier haben wir oft gesessen und Protokolle geschrieben.“

„Also ich hab einmal versucht, hier zu lernen“, schaltet sich meine Schwester ein, „aber: Die Rolltreppen waren viel zu laut!“ Auch ich erinnere mich an das nervige Tuckern. Heute ist es still. Die Rolltreppen wurden abgerissen. Jetzt führen Milchglastreppen in die oberen Stockwerke, da ist ein Innenhof mit Pflanzen. Und viel Licht.

Große Kastanie auf dem Biologie-Campus

Ein weiterer Lieblingsplatz meiner Eltern findet sich auf dem Biologie-Campus. An das alte Zoologie-Gebäude schmiegte sich ein Garten, dort wuchs eine große Kastanie. „Da haben wir uns manchmal mit den Biologen auf ein Bier getroffen“, sagt mein Vater.

Heute steht hier ein silbernes Gebäude mit Wellblech-Wänden, im Zoologie-Trakt ist jetzt das Institut für Informatik beheimatet. Das Büro von Papas Profs ist eine Baustelle. „Einmal haben wir im Seminarraum die präparierten Fische gebraten“, erzählt er. „Einer der Genetiker ist ganz aufgeregt durchs ganze Gebäude gelaufen.“ Papa sagt, er habe geleugnet.

Hörsaal XXX (Römisch 30), in dem meine Eltern Biologie-Vorlesungen hatten, gibt es noch. Wir betreten den Saal, meine Eltern nehmen in einer der Reihen Platz. Fürs Foto. „Ach, das ist noch die alte Bestuhlung hier“, ruft mein Vater mehrmals und streicht über die vergammelten Holzklapptische. Die Uni-Zeit sagt er, sei die schönste seines Lebens gewesen. Eigenständiges Arbeiten, Diskutieren, Frei-Sein. Ich habe auch Sehnsucht. 

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