„Corona-Maßnahmen sind unverhältnismäßig“Der Kölner Kulturszene droht der Kollaps

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„Gesperrt“ steht auf Zetteln, die an Plätzen an der Volksbühne am Rudolfplatz haften.

  • Kölner Kulturschaffende haben einen verzweifelten Appell an Stadt und Land gerichtet.
  • Neue Regeln wie die Wiedereinführung des Mindestabstands im Saal sowie eine Belegungsgrenze von 20 Prozent trotz eines Hygienekonzepts seien katastrophal.
  • Dabei lassen sich die Infektionen nicht auf Kulturveranstaltungen zurückführen.

Köln – Es ist ein verzweifelter Appell aus der Kulturszene: Torsten Schlosser vom Atelier Theater, Bernd Rehse vom Artheater und andere Kulturschaffende haben mit einem offenen Brief an die Kölner Politik und Verwaltung auf die verschärften Corona-Regelungen reagiert, die seit vergangenen Freitag auch auf den Kulturbetrieb einprasseln. In dem Brief heißt es: „Kulturveranstaltungen sind keine Super-Spreader-Ereignisse“. Dass die Stadt nun den Mindestabstand von 1,5 Meter in den Sälen wieder einführe, wirke sich massiv existenzbedrohend auf die Kultur aus, so die Unterzeichner.

Zuvor war es zulässig, auf den vorgegebenen Mindestabstand zu verzichten, sollte bei einer Reihenbestuhlung die Rückverfolgbarkeit jedes einzelnen Gastes gewährleistet sein. Nun muss zwischen jedem Stuhl in jede Richtung – also auch nach vorne und hinten – 1,5 Meter Abstand sein.

Mit ihren genehmigten Hygienekonzepten, „mit Engagement und dem disziplinierten Verhalten des Publikums“ beugten die Veranstalter Infektionen vor, heißt es in dem offenen Brief. Sie fordern daher eine „unverzügliche Überprüfung“ und die „Rücknahme der inakzeptablen Punkte“. Prominente Unterstützer des Appells sind etwa die Kabarettisten Jürgen Becker und Wilfried Schmickler.

Kölner Kulturschaffende verweisen auf RKI-Ergebnisse

„Das Robert Koch-Institut hat veröffentlicht, wo Infektionen stattfinden: Nicht in den Kulturstätten“, so Torsten Schlosser im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Die Besucher sind keine Partyleute, sie wollen gepflegt ins Theater gehen.“ Tatsächlich ist in Köln bisher noch keine Infektion nach einer Kulturveranstaltung bekannt geworden. Mit Sicherheit sagen kann es die Stadt auf Anfrage aber nicht. Das herauszufinden, sei aktuell zu aufwendig, so eine Sprecherin der Stadt.

Mit der vor zwei Wochen beschlossenen Verschärfung der Maskenpflicht auch am Sitzplatz seien sie gut zurechtgekommen, so Schlosser. „Wir hatten sogar das Gefühl, dass die Leute sich dadurch sicherer fühlen.“ Das Nachsehen haben hierbei jedoch jene Veranstalter, die während der Aufführung Speisen und Getränke anbieten wollen – wie bei einem Konzert in einer Kneipe. Auch dort gilt die Pflicht, eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen. Der Mundschutz darf – wenn man etwas trinken möchte – nur kurz abgenommen und muss anschließend wieder aufgesetzt werden.

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Mit einer Begrenzung von 20 Prozent der Regelauslastung – die das Land jüngst formuliert hat – können viele Kulturschaffenden aber erst gar nicht arbeiten. „Dann können wir nur 20 von unseren 100 Plätzen belegen. Das ist unmöglich“, sagt Torsten Schlosser. 

Bei allem Verständnis für die neuen Auflagen, fühle man sich dennoch in eine Schmuddelecke gedrängt, sagt Axel Molinski, Geschäftsführer der Volksbühne am Rudolfplatz. Man habe schon vor einigen Tagen das Gesundheitsamt angeschrieben, was nun gelte – das genehmigte Hygienekonzept oder die neuen Vorschriften aus dem Amtsblatt. Molinski: „Leider haben wir darauf bislang keine Antwort erhalten. Da lässt man uns Kulturschaffende einfach in der Luft hängen.“

Kölner erreichen Stadt nicht

Auch Alexandra Kassen vom Senftöpfchen-Theater versuche seit Tagen vergeblich, Kontakt mit der Stadt aufzunehmen. „Wenn dann jemand drangeht, wissen die auch nicht weiter “, so Kassen. „Derzeit sage ich drei von fünf Veranstaltungen pro Woche ab“. Unabhängig von dem neuesten Regel-Wirrwarr seien die Menschen schon seit Wochen zurückhaltend. „Im August waren die Leute wieder froh, dass etwas stattfand. Seit die Werte hochgehen, kommen sie aber nicht mehr.“

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Manche Live-Musik-Stätte kann den Plan einer Wiedereröffnung mit bestuhlten Veranstaltungen wieder ganz auf Eis legen: wie etwa das Gebäude 9 in Deutz. Umso froher ist die Clubszene, dass die Stadt nach dem Notfallfonds im Juni nun einen zweiten Topf in Höhe von 600.000 Euro auflegt. „Es ist gut, dass die Stadt weitere Gelder gewährt, da sich die Existenzkrise der Clubs weiter hinziehen wird“, sagt Jan van Weegen, Vorsitzender der Klubkomm, dem Interessenverband der Kölner Clubs sowie Betreiber des Gebäude 9.

Erbost sind auch die Künstler selbst, die mitunter ihre Auftritte absagen müssen. Der Kabarettist Robert Griess sollte zwei Abende in Folge im Senftöpfchen auftreten. „Jetzt spiele ich nur noch einen Tag. Es ist ein Elend.“ Griess kritisiert „die Unlogik“ der neuen Maßnahmen: Genehmigte Hygienekonzepte würden auf einmal als unsicher gelten – ein Widerspruch.

Und: „Vor gut zwei Wochen feierten Politiker aller Parteien in NRW fröhliche Wahlpartys ohne Abstand und ohne Masken. Seitdem steigen die Zahlen weiter.“ Wovon sollten die Künstler leben, fragt Griess. „Der Staat hilft uns nicht, zum Beispiel mit Kurzarbeitergeld. Gut, im Gegensatz zur Lufthansa habe ich Reserven aufgebaut. Bis vor kurzem hießen diese »Altersvorsorge«“. 

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