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Ehrenfelder BahnhofZweites Wohnzimmer im Hotel Anlauf

5 min

Ehrenfeld – Dass es so etwas überhaupt noch gibt, mitten im hippen Ehrenfeld. Unentdeckt von der Szene, von jenen, die den Stadtteil für das kölsche Brooklyn halten und T-Shirts tragen, auf denen die Linien 3 und 4 der Kölner Verkehrs-Betriebe so verfremdet sind, als seien sie Teil der New Yorker Subway.

Seit 50 Jahren besteht das kleine Hotel mit der Speisegaststätte der Familie Anlauf in der Stammstraße 2 a, direkt am Ehrenfelder Bahnhof. Bei Balloni um die Ecke werden Fernsehpreise und andere Mega-Parties gefeiert, bei den Anlaufs nebenan übernachten Monteure und Menschen, die sich Fünf-Sterne-Herbergen nicht leisten können oder wollen. Zehn Gästezimmer, sechs Doppel und vier Einzel für maximal 28 Euro mit Frühstück, bezahlt wird im Hotel Anlauf in der Regel bar. Einen Internet-Auftritt sucht man – noch – vergeblich, und jeden Mittag kommen vornehmlich alte Ehrenfelder zum Stammessen, gutbürgerlich, für 5,95 Euro. Nur samstags nicht, samstags ist zu.

Ginge es nach Peter Anlauf und seiner Frau Elisabeth, könnte das noch Jahre so weitergehen. Doch erstens geht der Chef, der noch bis vor kurzem mit seinem Sohn Thomas (36) in der Küche stand, stramm auf die 80 zu. Und zweitens ist mit der alten Stammkundschaft allein auf Dauer kein Geschäft mehr zu machen. „Wir müssen uns an den Gedanken erst noch gewöhnen, aber jetzt muss die jüngere Generation ran. Mit neuen Ideen und neuem Schwung.“

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An Tisch neun kennengelernt

Elisabeth Anlauf (71) ist vom ersten Tag an dabei, als ihr Onkel Hans Göbbels am 15. Januar 1964 das kleine Hotel eröffnete. „Eigentlich sollte es nur vorübergehend sein.“ Schließlich habe sie Textilverkäuferin gelernt und wollte in ihrem Beruf arbeiten. Eigentlich. Auf dem schweren Tisch im Speiseraum liegen alte Fotoalben mit vergilbten Bildern. Elisabeth mit einer Hochsteckfrisur Ende der 1960er Jahre vor dem Restaurant unter der Leuchtreklame von Wicküler Bier. Die Hochzeitsfotos mit ihrem Mann Peter, der damals noch Koch im Tessiner Hof war. An Tisch neun des Hotels, das damals noch den Namen ihres Onkels Hans Göbbels trug, haben sie sich kennengelernt. Er war zu Gast, sie hat ihm Schellfisch mit Salzkartoffeln und Salat serviert.

Das war im Sommer 1974. Kurze Zeit später entschied sich Peter Anlauf, der als Koch auf einem Frachter um die Welt gereist war und fünf Saisons auf Teneriffa arbeitete, für Elisabeth und die Stammstraße. Tisch neun gibt es immer noch – und jedes Jahr zum Hochzeitstag am 27. Dezember sitzen die beiden dort. Seit einem Jahr nicht mehr allein, denn am 27. Dezember 2012 hat Sohn Thomas, wie der Vater Koch von Beruf, seine Melanie (37) geheiratet. Die nächste Generation übernimmt am 15. Januar 2014. Bis dahin ist geschlossen, wird repariert und renoviert.

„Wir haben den Kopf voller Ideen“, sagt Thomas, und man muss sich nur einmal umschauen um zu erahnen, was mit diesem Kleinod alles anzufangen ist. Die Theke mit der gläsernen Vitrine, hinter der Frikadellen und frische Soleier präsentiert wurden; die Tische, die Garderobe, die bleiverglasten Fenster – alles im Originalzustand der 60er Jahre. Ein schwarzes Schild mit der Aufschrift „Speiseraum“, eine alte Jägermeister-Reklame. „Wir haben auch noch die Musikbox aus der Zeit. Die werden wir zuallererst reaktivieren.“ Behutsam soll der Wandel vonstattengehen, man wolle das Stammpublikum keinesfalls vergrätzen. „Das würden sich unsere Gäste auch nicht bieten lassen. Für die meisten sind wir doch ihr zweites Wohnzimmer.“

Doch einen Wandel muss es geben, sonst werde man nicht überleben. Die Speisekarte wird sich ändern, ein Internetauftritt ist in Arbeit, die neue Leuchtreklame ebenfalls. „Wir liegen im Zentrum von Ehrenfeld, und trotzdem kennt uns keiner. Vor allem das muss sich ändern.“

Von der Fahrt im Thalys nach Paris träumen

Thomas träumt von einem großen Wandbild an der Fassade, gestaltet von Graffiti-Künstlern, so auffällig, dass es vom Gürtel aus zum Blickfang wird. Es überrascht ein wenig, dass sich vor allem die Film- und TV-Szene in all den Jahren von dieser Kulisse nicht faszinieren ließ. „Ein paar Szenen für einen Tatort sind hier mal gedreht worden“, erinnert sich Elisabeth. Der Komiker Wigald Boning sei mal interviewt worden. Kurz nach der Jahrtausendwende habe eine Boulevardzeitung unter der Schlagzeile „Das erwartet Sie für 35 Mark“ das Hotel Göbbels mit der Luxussuite im Hyatt verglichen: „Chefin Else managt alles hinterm Tresen, Küchenmeister Peter Anlauf bereitet die deftigen Tagesgerichte. Im Doppelzimmer nach vorne raus kann man das Bahnhofstreiben verfolgen und von einer Mitfahrt im Thalys nach Paris träumen.“

Bis auf die Preise gilt das alles bis heute, und die jungen Anlaufs spüren irgendwie, welchen Wert diese Tradition hat. Man muss nicht gleich an Oma Kleinmanns, Lommerzheim und den Weißen Holunder denken, doch die Wahrscheinlichkeit, dass das neue Hotel Anlauf zum Geheimtipp werden könnte, ist recht hoch. Im Internet wird das Lokal schon mit freundlichen Kommentaren versehen.

„Ihr sucht eine Oma? Ihr kriegt eine Oma!“, schreibt Nicole H. über die Anlaufs. „Hier bedient die ältere Inhaberin des Lokals noch selbst, und der Opa steht in der Küche. Die Einrichtung wurde seit Jahrzehnten nicht ausgetauscht, und so findet man sich tatsächlich im damaligen Wohnzimmer seiner Großeltern wieder. Retro der 50er Jahre mit Maggi-Fläschchen auf jedem Tisch. Zum Mittagstisch gibt es immer zwei bis drei Speisen zur Auswahl. Wenn daraus nichts gefällt gibt es noch eine kleine Speisekarte. Man bekommt immer zu seiner Speise ein Tagessüppchen dazu. Das sollte auch brav aufgegessen werden, um die alte Lady nicht zu verärgern.“

Na bitte. Vom Geheimtipp zum Sprung in den Lonely Planet und andere Reiseführer ist es häufig nur die Frage von ein paar Facebook-Empfehlungen. Ob man den Anlaufs diesen Rummel wünschen sollte? Da könnte der Schellfisch schon mal knapp werden. An Tisch neun im Speiseraum.