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Bezirksbürgermeister im Gespräch„Ehrenfeld braucht mehr Freiraum“

Lesezeit 6 Minuten
Volker-Spelthann

Will über den Horizont von Ehrenfeld hinausschauen: Bezirksbürgermeister Volker Spelthann (Grüne).

Köln-Ehrenfeld – Bei den Kommunalwahlen vor gut einem Jahr wurde Bündnis 90/Die Grünen im Stadtbezirk Ehrenfeld stärkste Fraktion und setzte seinen Anspruch um, den Bezirksbürgermeister zu stellen. Volker Spelthann trat im November 2020 als erster Grünen-Politiker das Amt an. Seit Bildung der Bezirksvertretungen im Jahr 1975 hatte in Ehrenfeld bis dahin jeweils die SPD diesen Posten besetzt. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ sprach mit Volker Spelthann über sein erstes Jahr im Amt.

Herr Spelthann, bei der Bundestagswahl gaben 28,29 Prozent der Wähler im Wahlkreis Köln III, zu dem Ehrenfeld gehört, ihre Erststimme für die Grünen ab, bei den Zweitstimmen waren es 28,76 Prozent. Wie sehen Sie die Ergebnisse?

Bei den Erststimmen lagen wir zwar knapp hinter der SPD, bei den Zweitstimmen aber konnten wir die Mehrheit der Stimmen verbuchen. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 haben wir unser Ergebnis verdoppeln können – das ist nicht nur ein Erfolg, sondern auch ein großer Auftrag. Ich sehe ein Wahlergebnis nämlich immer auch als Verpflichtung an, die mit einer gewissen Erwartungshaltung einhergeht: Die Menschen wollen, dass nicht nur geredet wird, sondern, dass Themen auch angegangen werden. Das Ergebnis der Wahl zeigt, dass uns Grünen dieses Vertrauen von vielen entgegengebracht wird. Das spornt natürlich auch noch einmal an, die wichtigen Themen wie Wohnraum und Schulbau anzugehen. Ansonsten gratuliere ich Rolf Mützenich herzlichst, der im Wahlkreis für die SPD das Direktmandat für den Bundestag erhalten hat.

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Rund ein Jahr stehen Sie an der Spitze der Bezirksvertretung Ehrenfeld. Was haben Sie als die wichtigsten Aufgaben ausgemacht?

In ganz vielen Dingen liegen wir sehr weit hinten, weil sie viel zu lange dauern von der Planung bis zur Umsetzung. Es gibt Projekte, die sich über zehn, zwölf Jahre hinziehen. Zum Beispiel die Sanierung der Takustraße. Hier wünsche ich mir in Zukunft mehr Tempo und vorausschauende Politik, in der frühzeitig erkannt wird, wo etwas gemacht werden muss.

Wie wollen Sie das erreichen?

Das ist nicht alleine meine Aufgabe, es ist Teamwork. Hier sind alle Mitglieder der Bezirksvertretung gefragt. Ich sehe mich ohnehin nur als einer von 19. Kürzlich habe ich mich bei einer Veranstaltung einer Schule den Schülerinnen und Schülern mal als „Klassensprecher der BV“ vorgestellt.

Das ist aber nichts Neues, dass Bezirkspolitiker über möglichst viele Vorgänge in ihren Vierteln auf dem Laufenden bleiben und entsprechend Anträge einbringen sollten.

Das stimmt, aber ich sehe hier Verbesserungspotenzial nicht nur was die eigene Arbeitsweise angeht. Oft werden wir von der Verwaltung mit dringlichen Vorlagen konfrontiert, worüber wir innerhalb kürzester Fristen abstimmen sollen, aber die Sachverhalte gar nicht im Detail kennen. Daher wünsche ich mir mehr Fachgespräche sowohl mit der Verwaltung als auch mit Investoren. Das soll uns befähigen, etwas zu bewerten, um besser darüber entscheiden zu können. Hier hat die Pandemie übrigens gut funktionierende digitale Veranstaltungsformen hervorgebracht, die oft zeitsparender sind als Präsenzveranstaltungen in einem größeren Saal.

Zur Person

Volker Spelthann (44) stammt aus Linnich bei Jülich. Er studierte Wirtschaftsgeografie in Bonn und Amsterdam. Er ist seit 2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Niederrhein Mönchengladbach am Institut für Regional- und Strukturforschung.. Mit der Familie (zwei Söhne, eine Tochter) wohnt er in Neuehrenfeld. Am 9. November 2020 wurde er offiziell durch die Bezirksvertretung zum Bezirksbürgermeister gewählt. (Rös)

Ihr Vorgänger Josef Wirges hat sich sehr beharrlich für mehr Zuständigkeit der Bezirke eingesetzt. Geht Ihr Wunsch in dieselbe Richtung?

Die Zuständigkeit ist ja mittlerweile besser in der Gemeindeordnung geregelt. Es geht dabei aber nicht um Geltungsbedürfnis, sondern darum, wo etwas am besten gelöst wird. Hier braucht eine Bezirksvertretung bessere Ressourcen. Hier muss besser kommuniziert werden. Aber Ehrenfeld ist keinesfalls eine Wagenburg. Im Gegenteil gibt es einige bedeutende Themen, die überbezirklich behandelt werden müssen. Zum Beispiel die Rahmenplanung im Kölner Westen oder den Fahrradgürtel von Riehl bis Marienburg. So etwas sollte meines Erachtens zukünftig nicht mehr nacheinander in den jeweiligen Bezirksvertretungen unabhängig voneinander behandelt werden, sondern gemeinsam.

Was macht Ehrenfeld in ihren Augen aus?

Ich habe das Gefühl, dass es in Ehrenfeld besonders viele engagierte Bürgerinnen und Bürger gibt, die wirklich etwas bewegen möchten. Deswegen finde ich es für den Bezirk sehr wichtig, die Bürgerbeteiligung mehr auszubauen. Die Leute hier wollen dabei mitentscheiden können, was geschieht und auch mitkriegen, was aus einzelnen Projekten wird. Wir haben in letzter Zeit einige „systematische Öffentlichkeitsbeteiligungen“ durchgeführt – etwa zur Rahmenplanung im Westen oder zur Bezirkssportanlage Ehrenfeld. Das ist nicht nur bei den Bürgern sehr gut angekommen. Auch in der Verwaltung war man regelrecht euphorisch, weil man sehen konnte, dass sich die Menschen für die Dinge interessieren und mitsprechen wollen. Gerade wenn es um Bauthemen geht, ist der Wunsch nach Beteiligung sehr hoch. Das muss also auf jeden Fall noch weiter vertieft und mit Leben gefüllt werden.

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Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Ehrenfeld?

Als Grüner stelle ich mir den öffentlichen Raum zukünftig lebenswerter vor – meine Vokabel lautet dabei „Freiraum“. Hier in Ehrenfeld hat es noch nie so viele KFZ-Zulassungen gegeben, wie das derzeit der Fall ist. Gleichzeitig gab es noch nie so viele Fahrzeuge, womit ich nicht nur Autos, sondern auch Anhänger und Wohnmobile meine, die nicht bewegt werden. Die Leute fahren selten mit ihren Fahrzeugen, deswegen stehen sie in der Stadt, nehmen viel Raum ein und schaffen Gefahrenquellen, die es ohne sie nicht geben würde. Ich möchte beispielsweise, dass Kinder sicher zur Schule gehen können, ohne hinter einem Wohnmobil auf die Straße treten zu müssen und nicht gesehen zu werden. Wir leben quasi auf einem Parkplatz. Uns alle eint dabei aber, dass wir eine lebenswerte Stadt wollen. Nicht alle Bürger haben einen Garten oder einen Balkon und möchten sich natürlich manchmal raussetzen und mit den Nachbarn quatschen. In Köln findet das öffentliche Leben auf der Straße statt, wo auf Grund der vielen Fahrzeuge aber leider wenig Freiraum vorhanden ist. Dabei lautet das Bedürfnis ja gar nicht „Auto fahren“ – und schon gar nicht „Auto parken“ – sondern Mobilität. Deswegen muss man andere Möglichkeiten der Mobilität erschließen und fördern, um diesem Problem zu begegnen.

Stichwort Mobilität. Hierbei sind das Radverkehrskonzept und vor allem die Verhältnisse auf der Venloer Straße besonders im Fokus. Was erhoffen Sie sich vom bald beginnenden Verkehrsversuch?

Man muss klar trennen zwischen dem, was wir beschlossen haben, und dem, was zunächst erprobt wird. Da ist zunächst das Gesamtpaket, die große Lösung für den Bereich zwischen Innerer und Äußerer Kanalstraße. Der Versuch führt nun Elemente dieser Lösung nacheinander in einem Teilbereich ein. Davon erhoffen wir uns Erkenntnisse für das Gesamtpaket. Das sehe ich als großen Fortschritt, zumal es ja schon bald startet, und keineswegs als Verzögerung der großen Lösung.

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