Pilzzucht in ehemaligem AutohausSo sieht es im „Wandelwerk“ in Köln-Neuehrenfeld aus

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Das frühere Autogeschäft soll unter anderem ein Ort für Diskussionen sein.

  • Die Initiative „Klug“ verwandelt ein ehemaliges Autohaus in ein Labor für die Stadt der Zukunft.
  • Im „Wandelwerk“ verschmelzen Ideen von nachhaltigem Wirtschaften mit politischem, sozialen und ökologischen Engagement.
  • Aktivisten kritisieren die Stadtentwicklungspolitik, die sich nicht genug den Herausforderungen der Zukunft stelle.

Köln-Neuehrenfeld – Dort, wo vor ein paar Monaten noch das Autohaus Levy Autos reparieren ließ, werden nun Transporter zu Wohnmobilen umgebaut. In den Pausenräumen der Toyota-Angestellten kann man Yoga machen. Ein ehemaliges Büro wird zu einem Indoor-Gewächshaus umgebaut, während im Keller Trevor Weiß und Christian Vetter stolz das erste Körbchen voll mit dicken Shiitake-Pilzen präsentieren. 

Sie wollen eine Pilzfarm aufbauen, die pro Woche 100 Kilo Speisepilze abwirft. Dazu sammeln sie in Neuehrenfeld und Ehrenfeld Kaffeesatz ein, der dann mit Pilzsporen geimpft wird – eine von mehreren Geschäftsideen, an denen hier gebastelt wird.

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Shiitake-Pilze aus dem Indoor-Gewächshaus

„Keimzelle für nachhaltige Konzepte“

Man wolle „eine Keimzelle für nachhaltige Konzepte“ sein, sagt Verena Hermelingmeier vom Verein „Köln leben und gestalten“, kurz „Klug“, während sie durch das „Wandelwerk“ führt. So haben die Macher ihr Projekt getauft, mit sie nun für mindestens neun Monate das verlassene Autohaus an der Liebigstraße in Neuehrenfeld gegenüber dem alten Schlachthofgelände bespielen wollen. Nur wenige Wochen nach dem Einzug herrscht reger Betrieb. Menschen, die hier arbeiten wollen, treffen auf Leute, die im alten Autohaus ihre Freizeit gestalten oder über Stadtentwicklungspolitik diskutieren wollen.

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Verena Hermelingmeier vom Verein „Köln leben und gestalten“

In der ehemaligen Ausstellungshalle für Neuwagen stehen Schreibtische, eine Kaffeebar und das zusammengezimmerte Mobiliar für Diskussionsrunden über die Stadt der Zukunft. Man kann Büroboxen mieten oder sich an Co-Working-Schreibtischen beteiligen. Von den Mieten soll sich der Betrieb der 4800 Quadratmeter finanzieren lassen. Wenn es gut läuft, gehe das ohne Selbstausbeutung, so die Verantwortlichen.

Alternatives Wirtschaften, Kreativität, politisches Engagement und soziale Begegnungen sollen in einem „Pop-Up-Transformationszentrum“ verschmelzen.

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Nur noch wenig erinnert an die Ausstellungshalle für Autos

Das klingt ein bisschen abgedreht, doch wer sich durch das umgenutzte Haus führen lässt, versteht schnell, was gemeint ist. Fast an jeder Ecke entsteht Spannendes: Es gibt eine Werkstatt für Fahrräder, eine zum „Upcycling“ von Wertstoffen ist in Planung. Eine offene Holzwerkstatt und eine Siebdruckmaschine können benutzt werden, hinter einer Kellertür mit der Aufschrift „Emulsionsspaltanlage“ – hier befasste man sich einst mit Abwasser – übt eine Band. Das alles verbindet sich mit einer Zukunftsidee für Köln.

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Die Holzwerkstatt im Wandelwerk

Kritik an Kölner Stadtentwicklungspolitik

„Es ist ein Problem, wenn in der Stadt alle großen Entwicklungsgebiete an private Investoren vergeben werden, ohne ausreichend auf die Herausforderungen der Zukunft zu reagieren“, sagt der Gründer von „Klug“, Jan Pehoviak. Er möchte, dass sich einiges in Köln ändert. Die Stadt könne eine „Vorreiter- und Gestalterrolle“ übernehmen.

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Klug-Gründer Jan Pehoviak

Der 27-Jährige ist seit neustem frisch gewählter Bezirksvertreter in Ehrenfeld, wo er die „Klimafreunde“ vertritt. Eine politische Festlegung der gesamten Initiative verbindet sich damit aber nicht. Das Bürgerzentrum Ehrenfeld hat genau wie die Macher des Projekts „Tag des guten Lebens“ eines der Büros angemietet. Der Verein „Klug“ hat seine Wurzeln in der Kunst- und Kulturszene. Es ist eine bunte Truppe, die sich hier vernetzt. Zur im alten Arbeiterviertel argwöhnisch beäugten Hipster-Szene möchte man nicht gehören.

Keine Vorreiter der Gentrifizierung

„Man muss sehr aufpassen, dass man nicht neue Ideen aus bestimmten Milieus hier hin exportiert“, sagt Hermelingmeier, die zur Zeit an ihrer Doktorarbeit über nachhaltige Stadtentwicklung schreibt. Das „Wandelwerk“ wolle kein Fremdkörper sein. „Man muss die Nachbarschaft mitnehmen.“ Das ist an diesem Ort eine besondere Herausforderung. Die Straßenzüge zwischen dem gentrifizierten Neuehrenfeld und dem trubeligen Nippes sind von einfachen Mehrfamilienhäusern geprägt. Früher wohnten hier die Arbeiter des Schlachthofs, als dieser noch die ganze Stadt versorgte. Schön ist es woanders, jetzt wird es wenigstens spannend.

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Die Kontaktaufnahme gelang leichter, als man vorher dachte, sagt die „Nachbarschaftsbeauftragte“ Mia Hiestand. Rund hundert Nachbarn folgten einer Einladung zur Besichtigung und ließen gleich eine lange Liste mit Wünschen von „Lan-Partys für junge Leute“ übers Adventskranzbasteln bis zu Bingo-Abenden für Senioren da. Man sehe, dass an Orten wie diesen zu wenig geboten werde, so Hiestand. Die Menschen wünschten sich eine funktionierende Nachbarschaft mit einladenden Angeboten.

Wandelwerk auf Zeit

Den Vorwurf, Vorboten der kommenden Gentrifizierung und möglichen Verdrängung der Alteingesessenen zu sein, wollen die Verantwortlichen im „Wandelwerk“ entkräften. Nicht sie seien die Gentrifizierer, sondern diejenigen, die hier in ein bis anderthalb Jahren anfangen wollen, einen Wohnblock zu bauen. Dann endet für das „Wandelwerk“ die Zwischennutzung im ehemaligen Autohaus.

Doch es soll in jedem Fall weitergehen. Der Wandel in der Stadt macht viele Immobilien frei, die anders genutzt werden könnten – ob als Zwischennutzung oder auch als Dauerlösung. „Das hier wieder aufzugeben wäre nur dann schwer, wenn wir keine weitere Perspektive hätten“, so Pehoviak. So hat die Suche nach einem neuen Ort bereits begonnen.

www.wandelwerk.koeln

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