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Eine Nacht am Kölner FlughafenVon Trauernden und Taxifahrern, Kanzlern und Katastrophenhelfern

Lesezeit 5 Minuten
Eine Gruppe mit acht Helfern steht vor dem Abflug ins Erdbebengebiet am Terminal 2 am Flughafen Köln/Bonn.

Kudret Altindag (rechts) fliegt mit Freunden ins Erdbebengebiet, um zu helfen.

Was passiert nachts am Flughafen? In Folge 2 sind unsere Reporter in den Terminals unterwegs – und treffen sehr unterschiedliche Menschen. 

Gibt es eine Bombendrohung? Eine neue Pandemie? Unwetter? Der Check-in-Bereich an Terminal 1 ist zur besten Sendezeit um viertel nach acht so verlassen wie eine Industriebrache. Aber das ist gar nichts Besonderes. „Abends ist hier meistens Ruhe, vor allem im Winter“, sagt Margarete Zehnpfennig, die mit Freund Mariusz hinter einem Treppenaufgang sitzt und Karten spielt.

Zehnpfennig ist seit mehr 20 Jahren obdachlos, in kalten Nächten komme sie manchmal in den Flughafen, sagt sie. „Vor einigen Jahren ist mein Onkel Albert erfroren, als er im Hauptbahnhof nachts rausgeschmissen wurde.“ Der Stadt-Anzeiger habe auch berichtet. „Ich stelle bis heute überall draußen Kerzen für ihn auf.“

Margarete Zehnpfennig kann gut von netten und nicht ganz so netten Security-Mitarbeitern, Polizisten, Fluggästen, Flaschensammlern (die meistens nachts kämen) und dem Leben auf der Straße erzählen. „Die Stadt muss mehr für Obdachlose tun – es gibt viel zu wenige Schlafplätze“, sagt sie.

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Taxi-Fahrer ringen um Fluggäste und klagen über Konkurrenz

Eine andere Perspektive auf die Dinge haben die Taxifahrer, die vor dem Eingang zu Terminal 2 stehen und rauchen. Imdat und Muzaffer haben seit 18 Uhr Schicht, aber knapp drei Stunden später noch keine Fahrt auf dem Tacho. „In Köln gibt es inzwischen ungefähr 1000 Uber-Fahrer, die die Preise kaputt machen“, sagt Muzaffer. „Dabei sind sie zum Teil sogar viel teurer als wir“, sagt Imdat. „Jetzt gibt es noch Bolt, die genauso arbeiten wie Uber, und die noch unterbieten wollen. Damit machen die sich wenigstens gegenseitig kaputt.“

Auf 100 Kilometer mit Fahrgästen müssten sie pro Schicht kommen, um Gewinn zu machen, sagen die beiden. „Das schaffen wir immer seltener“, sagt Muzaffer, der seit einem Vierteljahrhundert Taxi fährt. „Die Branche geht kaputt, und die Politik schaut zu.“

Im Restaurant Ständige Vertretung lächelt die Politik erhaben von den Wänden. Konrad Adenauer mit politisch längst unkorrektem Indianerhäuptlingsfederschmuck, Willy Brandt – auch nicht mehr mehrheitsfähig – mit Zigarette im Mundwinkel und Ukulele im Anschlag. Mit den Politikern, sagt Kellnerin Nopi Kasartziadou, kenne sie sich nicht so gut aus.

„Zu uns kommen nur noch die kleinen, unbekannten Kommunalpolitiker.“ Arabella Kiesbauer, Tom Gerhardt und Peter Maffay fallen ihr als mehr oder minder prominente Stammgäste spontan ein. Interessant sei die Arbeit, „weil wir hier das volle Leben mitkriegen – vom Millionär bis zur Obdachlosen, die nach heißem Wasser fragt, vom Verrückten bis zum Toten“.

Im vergangenen Jahr sei gleich unter den Porträts der Kölsch trinkenden Wolfgang Niedecken und Günter Grass ein Mann umgekippt und leider verstorben. Verrückt sei der Sommer 2022 gewesen: „Da standen die Menschen hier in kilometerlangen Schlangen, manche für acht, zehn Stunden – um dann doch zu spät zum Flieger zu kommen.“ Da, sagt Kasartziadou, „haben wir viel Wut und Frust abbekommen. Ich hoffe, das läuft diesen Sommer besser“.

„Zu uns kommen die Messegäste und die Ballermann-Touristen, die sich warmtrinken“

Die Wintermonate sind ruhiger am Flughafen – aber nicht unbedingt weniger aufregend. In diesen Tagen fliegen viele Maschinen mit Hilfsgütern Richtung türkisches Erdbebengebiet, am Donnerstag habe in der Ständigen Vertretung eine Gruppe Ärzte noch ein Kölsch getrunken, eben haben einige freiwillige Hilfskräfte vor ihrem Flug nach Istanbul noch etwas gegessen. „Zu uns kommen die Messegäste und die Ballermann-Touristen, die sich warmtrinken. Bei manchen fragen wir uns, ob sie danach noch in den Flieger gelassen werden“, sagt Michael Ebbers, Kellner in der Ständigen Vertretung, beim Abwischen der Theke um kurz vor zehn. „Und einige kommen einfach, um sich die Politiker-Bilder anzuschauen.“

Erkan und Serkan Durmus stehen um 23 Uhr vor dem Sicherheitscheck und zeigen Fotos von der stark zerstörten Stadt Hatay in der Türkei. Die Brüder leben in den Niederlanden und fliegen für eine Hilfsorganisation ins Erdbebengebiet. „Unsere Aufgabe wird es sein, die Toten, die zum Beispiel in Kellern von nicht eingestürzten Krankenhäusern oder in Turnhallen liegen, an den Ort der Bestimmung zu bringen“, sagt Erkan Durmus. Das sei traurig, er habe Verwandte in der Region und trauere. „Aber es ist wichtig, dass die Menschen würdig bestattet werden.“ Noch ein Foto, dann müssen die Brüder zum Sicherheitscheck.

Wir müssen alle zeigen, dass wir Menschen sind
Kudret Altindag, freiwilliger Katastrophenhelfer, der ins Erdbebengebiet reist

Der Check-in von Terminal 2 füllt sich vor Mitternacht mit Menschen, die den Flug um 2.05 Uhr nach Istanbul gebucht haben. Seit der Erdbeben-Katastrophe sind fast alle Flüge in die Türkei ausgebucht. Kudret Altindag aus Kassel und fünf Kumpels haben sich zwei Wochen freigenommen, um im Katastrophengebiet zu helfen. Sie schleppen Umzugskartons mit Winterkleidung, Medikamenten, Babynahrung, Desinfektionsmitteln, Schlafsäcken, Helmen und Schlagbohrhämmern ins Terminal. Die Airlines nehmen die Hilfsgüter unentgeltlich mit. „Meine Freunde und ich kommen aus dem Norden der Türkei – jetzt helfen wir im Südosten. Wir müssen alle zeigen, dass wir Menschen sind“, sagt Altindag.

Um kurz vor drei am Morgen ist es im Ankunftsbereich voller als um 20.15 Uhr. Eine Mutter löst Kreuzworträtsel, ihre Tochter kuschelt schlafend links von ihr an ihrer Schulter, während der Ehemann rechts neben ihr beim Schlafen keinen Körperkontakt sucht. Ein Mann mit orangefarbenem Jogginganzug und Tütenwein in der Hand irrt Selbstgespräche führend durch die Gänge.

Im Rewe-Supermarkt, der 24 Stunden geöffnet hat, versorgen sich Fluggäste und Security-Bedienstete mit Brötchen und Energie-Drinks. Ein staksiger, riesenhafter Mann trägt Maske und fällt damit inzwischen wieder auf. Margarete Zehnpfennig und Mariusz liegen hinter einem Treppenaufgang und schlafen.


Wie funktioniert der Flughafen Köln-Bonn? Ein Reporterteam des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat eine Nacht in Tower, Terminals und auf dem Rollfeld verbracht. Alle Texte, Bilder und Videos finden Sie in den einzelnen Kapiteln aus der Nacht.

Lesen hier Teil 1 unserer Flughafenreportage zur Gepäckabwicklung. In Teil 2 erzählt unser Reporterteam von spannenden Begegnungen am Terminal. Für Teil 3 begleitete das Team des Zolls am Flughafen und in Teil 4 Piloten und Flugbegleiterinnen von Eurowings vor einem Flug. In Teil 5 berichten unsere Reporter von dem Wettlauf gegen die Zeit im Frachtbereich. In Teil 6 besuchen unsere Reporter den Tower.

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