Erfolg der UniklinikMethode lässt entfernten Knochen von Kölnerin selbst nachwachsen

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Arzt Dr. Kourosh Zarghooni zeigt Patientin Cilly Schmitt den Erfolg der Behandlung auf einem Röntgenbild.

  • Cilly Schmitt aus Köln musste aufgrund eines Knochentumors ein zwölf Zentimeter langes Stück aus dem Oberschenkelknochen entfernt werden.
  • Die 58-jährige hatte zuvor eine Schwellung am linken Bein, der sie wenig Bedeutung beimaß.
  • Nach der Entfernung wurde das fehlende Stück rekonstruiert – vom Körper selbst. Die Kölner Uniklinik ist das erste Krankenhaus in Deutschland, in dem ein Knochentumor mit dieser neuen Methode erfolgreich behandelt wurde.

Köln – Cilly Schmitt ist 58 Jahre alt. Mit Ausnahme eines zehn Zentimeter langen Knochenstücks in ihrem linken Oberschenkel. Das ist erst wenige Wochen alt. Es ist nachgewachsen, nachdem der ursprüngliche, von einem Tumor befallene Knochen entfernt werden musste.

Dass sich Knochengewebe regeneriert, ist bekannt, zum Beispiel nach Brüchen. Doch Cilly Schmitt ist die erste Tumorpatientin in Deutschland und erst die vierte weltweit, bei der die Lücke zwischen der oberen und unteren Knochenhälfte mit Hilfe eines sogenannten Knochentransportnagels geschlossen wurde.

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Der Nagel wird innen in dem Röhrenknochen verankert. Er ist hohl und verfügt über ein Gewinde, Schrauben, Magnete und eine Art Transportschlitten. Die nachwachsende Knochensubstanz wird mit Hilfe eines Motors Millimeter für Millimeter von oben nach unten gezogen. „Der Knochen wächst, ohne dass dies von außen sichtbar ist“, sagt Dr. Kourosh Zarghooni, Teamleiter Tumororthopädie und Sarkomchirurgie an der Kölner Uniklinik, der die Patientin operiert und mit der neuen Methode behandelt hat.

Kölnerin hatte Knubbel am Bein

Zwischen der Diagnose, mehreren Operationen und dem Ende April abgeschlossenen Knochenaufbau liegen eineinhalb Jahre. Es begann mit einer Schwellung am linken Bein, der Cilly Schmitt wenig Bedeutung beimaß. Als sie Mitte Dezember 2018 wegen einer beginnenden Hüft-Arthose zur Routine-Untersuchung ging, zeigte sie ihrer Orthopädin auch die Veränderung am Oberschenkel. Was die Kölnerin für eine harmlose Kleinigkeit hielt, versetzte ihre Ärztin in Alarmbereitschaft. „Sie hat gleich telefoniert. Eine Stunde später war ich beim MRT“, erinnert sich Schmitt, „am nächsten Tag sagte mir meine Ärztin, dass der Verdacht auf einen Knochentumor bestehe.“

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Arzt Dr. Kourosh Zarghooni zeigt Patientin Cilly Schmitt den Erfolg der Behandlung auf einem Röntgenbild. 

Klarheit sollte eine Biopsie (Gewebeentnahme) bringen. „Ich wusste gar nicht, wie mir geschah. Der Knubbel schmerzte nicht.“ Sechs quälende Wochen später – so lange dauerte die Auswertung und das Einholen einer zweiten Meinung – stand die Diagnose Knochentumor (Osteosarkom) fest.

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„Es gibt viele Arten von Osteosarkomen. Etliche fallen durch Schmerzen oder einen Knochenbruch auf. Das war bei Frau Schmitt nicht der Fall. Es handelte sich um einen bösartigen knochenbildenden Tumor, der auf der Knochenoberfläche in Richtung der Muskulatur gewachsen ist, daher die Schwellung auf dem Oberschenkel“, erklärt Dr. Zarghooni.

Kölnerin Cilly Schmitt hatte Glück im Unglück

Bösartige Osteosarkome sind insgesamt seltene Tumore. Der, der sich bei Cilly Schmitt zeigte, zählte zu einer noch viel seltener auftretenden Unterform. Das war Glück im Unglück. „Bei dieser Form reicht es aus, wenn man den Tumor und angrenzende Bereiche vollständig entfernt. Chemotherapie und Bestrahlung sind weder vorher noch nachher notwendig“, sagt der Arzt.

Die Operation, bei der ein zwölf Zentimeter langes Stück aus dem Oberschenkelknochen entfernt wurde, fand im Februar 2019 statt. Anfang März lagen die endgültigen pathologischen Ergebnisse vor: Die verbliebene Knochensubstanz war tumorfrei, die biologische Rekonstruktion konnte beginnen. Dazu wurde der Nagel aus Titan eingesetzt. Er ist 40 Zentimeter lang und hat einen Durchmesser von 13 Millimetern. Das neugebildete Knochengewebe – der Fachbegriff lautet Kallus – wurde pro Tag um einen Millimeter nach unten gezogen. „Dazu musste ich zweimal am Tag im Abstand von zwölf Stunden jeweils für eine Minute ein Gerät, den Motor, auf eine vorher markierte Stelle am Oberschenkel aufsetzen. Der Motor gab dem Magneten innen den Impuls, den Knochen zu transportieren. Bei jeder Sitzung wurde das Gewebe um 0,5 Millimeter bewegt. Gespürt habe ich das nicht“, sagt Schmitt.

Nach vier Monaten war der Transportknochen von oben bis zu seinem Pendant herunter gewachsen. Die Fortschritte wurden ständig via Röntgen- und MRT-Untersuchungen überwacht. „Man macht sich im Prinzip die normale Knochenheilung zunutze. In dem Moment, in dem das neu gebildete Knochengewebe noch weich ist, wird der Kallus auseinandergezogen“, erläutert Dr. Kourosh Zarghooni.

Mittlerweile sind die beiden Teile zusammengewachsen und der Knochen ist fest. „Seit Ende April darf ich das Bein wieder voll belasten. Ein wenig Übung brauche ich noch, die Muskulatur muss geschmeidiger werden und das Knie meckert manchmal. Aber das mit dem Laufen klappt ganz gut, obwohl das linke Bein jetzt etwas verkürzt ist“, sagt Cilly Schmitt. Dass sie einen langen Nagel mit sich herumträgt, spürt sie nicht. In etwa zwei Jahren soll der ohnehin wieder entfernt werden.

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