Gefängnis in KölnDer Schwarzmarkt hinter Gittern

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Ein Häftling wird in der JVA Köln-Ossendorf eingeschlossen.

Ein Häftling wird in der JVA Köln-Ossendorf eingeschlossen.

Köln – Wenn er wollte, sagt Werner Heger (Name geändert), dann könnte er hinter Gittern viel Geld verdienen. „Gelegenheiten gäbe es genug“, schildert der hochgewachsene Mann und drückt eine Zigarette im Aschenbecher aus. Heger rattert die Preise herunter: „50 Euro für eine Flasche Korn, 100 für eine Flasche Wodka, 200 bis 250 für ein altes Handy – das ist es, was die Gefangenen dir anbieten.“

Seit vielen Jahren arbeitet Heger im Klingelpütz in Ossendorf. Er ist Justizvollzugsbeamter – das, was Viele abschätzig „Schließer“ oder „Wärter“ nennen. Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ beschreibt ein JVA-Beamter erstmals öffentlich, wie der Schwarzmarkt hinter den Mauern funktioniert – wie verbotene Gegenstände in den Knast gelangen, wo die Gefangenen sie verstecken, was sie bereit sind, dafür zu bezahlen oder einzutauschen. Hegers einzige Bedingung: Sein richtiger Name solle bitte nicht in der Zeitung genannt werden.

Er selbst sei nie bestechlich gewesen, betont Heger, und das träfe auch auf nahezu alle seiner Kollegen zu. Das letzte Mal, das seines Wissens in Köln einer entlassen wurde, weil er mit Häftlingen Geschäfte machte, sei um die Jahrtausendwende gewesen. Aber der Markt ist da, die Nachfrage nach verbotenen Waren unter den Gefangenen sei groß: Cannabis, andere illegale Drogen, Alkohol und Handys – das seien die begehrtesten Artikel, erzählt Heger. Und weil Beamte für Kurierdienste in aller Regel nicht in Frage kommen, suchen die Gefangenen andere Mittel und Wege – und finden sie offensichtlich auch.

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Schwachstellen: Besucher und Hafturlauber

„Das meiste kommt über die Besucher rein“, weiß Heger. Angehörige, Freunde, Bekannte. Wer in der JVA Köln einen Strafgefangenen besucht, gibt an der Pforte seinen Personalausweis ab, Wertsachen kommen ins Schließfach. Mit einem Metalldetektor scannt ein Beamter jeden Besucher ab, Jacken und Mäntel werden geröntgt, wie am Flughafen. „Das sicherste Versteck für ein Tütchen Cannabis sind die Socken“, sagt Heger. „Da guckt niemand rein.“

Eine Etage höher, in der Toilette neben dem Warteraum, holt der Besucher die Tüte hervor, verbirgt sie unter seiner Kleidung oder in der Handfläche und betritt den Besuchsraum. An neun Tischen sitzen sich dort Besucher und Häftlinge gegenüber, im Extremfall bis zu 20 Menschen, bewacht von einem Bediensteten. „Der kann gar nicht alles überblicken“, sagt Heger, „vollkommen unmöglich.“

Auch die Hafturlauber seien eine Schwachstelle; Gefangene also, die sich gut führen und schon mal für ein Wochenende oder länger entlassen werden. Kehren sie zurück, würden sie in der Regel nur bei einem konkreten Verdacht gründlich durchsucht, etwa wenn jemand früher schon mit Schmuggel aufgefallen ist, erzählt Heger. Oft würden auch Mitinsassen, die als Musterhäftlinge gelten, genötigt, Drogen mit reinzubringen. „Bei denen käme nie einer auf die Idee, dass die was dabei haben, und die werden dann auch nicht so genau kontrolliert.“

57 Drogenfunde in einem Jahr

Wer auf Nummer sicher gehen wolle, verstecke Rauschgift oder Handybauteile in Körperöffnungen. Rektale und vaginale Untersuchungen sind den Bediensteten untersagt. Das dürfen nur Ärzte, und auch nur dann, wenn es aus medizinischen Gründen erforderlich ist, nicht für eine bloße Kontrolle auf verbotene Gegenstände.

Im Jahr 2012 gelangen den Beamten in der JVA Köln 57 Drogenfunde, insgesamt hundert Gramm, überwiegend Cannabis. Im Vorjahr waren es 179 Gramm Drogen bei 64 Aufgriffen. Gefundene Handys wurden nicht gezählt. Einer Studie der Uni Köln zufolge konsumiert ein Drittel der jugendlichen Gefangenen in NRW während der Haft illegale Drogen, für Experten keine Überraschung: „Die Vorstellung einer drogenfreien Justizvollzugsanstalt ist wünschenswert“, sagt ein Sprecher des NRW-Justiziministeriums, „sie erscheint aber nicht realistisch.“

Glaubt man Werner Heger, ist das so manchem Bediensteten auch ganz recht. Benebelte Insassen sind schließlich leichter zu bewachen. „Ich kenne Kollegen, die sagen: »Lass die doch auf der Zelle ihr Pfeifchen rauchen, dann schlafen sie früh, und ich habe meine Ruhe«“. Mediziner indes warnen gerade vor dem verborgenen Konsum hinter Gittern: Er sei besonders riskant, weil Häftlinge alles nähmen und mischten, was sie in die Hände bekämen.

Um bei einer Zellenkontrolle nicht aufzufliegen, verstecken Gefangene Drogen oft in den Werkstätten der JVA, in denen sie arbeiten. Wer das Rauschgift nicht nur für den Eigenbedarf nutzt, sondern verkauft, akzeptiert Bargeld, das allerdings im Knast ebenso verboten ist wie Rauschgift und nur in geringen Mengen verbreitet ist. „Die Hauptwährung ist Tabak“, weiß Heger. Den können die Häftlinge legal im Gefängnisladen kaufen – vom Geld, das sie mit ihrer Arbeit hinter Gittern verdienen und das einem Konto gutgeschrieben wird. Auch Zucker und Kaffee seien als Tauschware beliebt. Als Faustregel gilt: Ein Joint gegen zwei Päckchen Tabak – oder ein Joint gegen ein Päckchen Tabak und eine „Bombe“ Kaffee, Knastjargon für eine 500 Gramm-Packung löslichen Kaffees.

Die Strafen für Drogenbesitz sind hart: Strafanzeige, Freizeit- und Urlaubssperre oder Verlegung in eine andere Haftanstalt. Gefangene, die einen gewissen Status genießen, gehen das Risiko eher ein, berichtet Heger. Sie bräuchten selbst die routinemäßigen Zellenkontrollen kaum zu fürchten. „Es gibt Kollegen, die gucken bei denen nur nach, ob die Gitter noch drin sind.“ Der Grund: „Wenn ich die Zelle von einem Mafiaboss auf links drehe, weiß ich, dass ich den ab sofort am Hals habe, beschimpft und bedroht werde. Das wollen sich viele ersparen.“

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