Zeichen von Angela Merkel gefordertKölner Politikerin wird in der Türkei festgehalten

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Hamide Akbayir

Hamide Akbayir

Köln – Hamide Akbayir lacht kurz auf, als sie über die Vorwürfe gegen sich spricht. „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ und „Propaganda“ wirft ihr die türkische Justiz vor. Wie allen unliebsamen Kritikerinnen. „Das ist ein Witz. Als Terror empfinde ich es, mich festzusetzen und zu bedrohen, weil ich meine Meinung frei äußere“, sagt sie, als der „Kölner Stadt-Anzeiger“ sie telefonisch erreicht.

Landtagsabgeordnete und Stadträtin

Akbayir engagiert sich seit vielen Jahren für den Umweltschutz, aber auch für Frauenrechte und Minderheiten in der Türkei. Sie war von 2010 bis 2012 für die Partei „Die Linke“ im nordrhein-westfälischen Landtag und von 2014 bis 2020 im Rat der Stadt Köln.

In die Türkei gereist war die 62-jährige Akbayir, die nur die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, um Verwandte zu besuchen und Familiengräber zu pflegen. Am 2. September wurde sie in der Türkei festgesetzt und mehr als zwölf Stunden lang verhört. Seitdem muss sie sich zweimal pro Woche bei der Polizei melden und darf die Türkei nicht verlassen.

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Mehr als zwölf Stunden verhört

„Das Verhör war sehr unangenehm. Ich sollte ganz offensichtlich eingeschüchtert werden. Ich werde diese Beschuldigungen nicht akzeptieren. Meine politische Arbeit für Menschenrechte als Terrorismus zu bezeichnen, ist absurd“, sagt sie dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Absurd, aber nicht neu ist für viele Beobachter auch, dass eine deutsche Staatsbürgerin in der Türkei für vermeintliche Rechtsbrüche festgesetzt wird, die sie in Deutschland begangen haben soll. Die Entwicklung sei schon lange „besorgniserregend“, sagt die Kölner Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz. Dass nun mit Hamide Akbayir eine Kommunalpolitikerin und Landtagsabgeordnete betroffen sei, bedeute „eine neue Qualität der Repressionen gegen Regimekritikerinnen und -kritiker. Das ist ein unhaltbarer Eingriff in die Meinungsfreiheit und in unsere Demokratie“.

Aymaz fordert Kanzlerin auf, Fall anzusprechen

Aymaz, als Erdogan-Kritikerin selbst im Visier von türkischen Islamisten, wünscht sich, dass „die Bundesregierung ihre Zurückhaltung gegenüber der Türkei aufgibt“. Diese sei inakzeptabel. Es sei „schlicht nicht hinnehmbar, dass eine deutsche Staatsangehörige aufgrund politischer Äußerungen in Deutschland in der Türkei festgesetzt wird“. Kanzlerin Angela Merkel müsse ihre bevorstehende Reise in die Türkei „auch dazu nutzen, diese Fälle auf die Tagesordnung der Gespräche mit Präsident Erdogan zu setzen und auf eine schnelle Rückkehr nach Deutschland von Akbayir und weiteren festgesetzten Menschen hinwirken“. Auch die Landesregierung NRW sei jetzt gefragt, sich für ihr ehemaliges Landtagsmitglied Akbayir stark zu machen.

Hamide Akbayir war in den vergangenen Jahren immer wieder in die Türkei gereist, um Verwandte zu besuchen. „Ein bisschen Sorge hatte ich schon bei der Einreise im Jahr 2015, als meine Mutter starb und wir sie ins Dorf überführten“, sagt sie. Jetzt existiert eine 40-seitige Akte über sie, in der es um ihre politische Arbeit in Deutschland gehen soll. Akbayirs Anwälte haben Akteneinsicht beantragt. Eine Aufhebung der Ausreisesperre wurde am 24. September abgelehnt.

Dramatischer Rückbau des Rechtsstaates

Die türkische Justiz hat kein Recht, sich in deutsche Angelegenheiten einzumischen“, sagt Akbayir. „Sie verstößt damit auch gegen die UN-Menschenrechtskonvention, die die Türkei unterschrieben hat. Und fügt hinzu: „In einer Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe am 23. Juni 2021 im Bundestag haben Experten auf zunehmende Menschenrechtsverletzungen hingewiesen – unter anderem auch auf den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen“. Von einem „dramatischen Rückbau des Rechtsstaates“ hätten die Beobachter gesprochen.

Akbayir_Nachbarschaft

Hamide Akbayir (r) beim Singen mit Nachbarn

Ähnliche Erfahrungen wie Akbayir hatte jüngst die Kölnerin Gönül Örs gemacht, die inhaftiert und festgesetzt worden war, als sie ihre inhaftierte Mutter Hozan Cane in der Türkei besuchen wollte – und schließlich unter anderem wegen der Teilnahme an einer Kundgebung in Köln zu zehn Jahren und fünf Monaten Haft verurteilt wurde. Aber nach Köln ausreisen durfte.

Solidarität von Nachbarn und Universität

Solidarität erfährt Hamide Akbayir derzeit von vielen Seiten. So haben Studierende der Universität zu Köln eine Online-Petition gestartet, in der die sofortige Beendigung der Festsetzung Akbayirs gefordert wird. „Wir wollen damit ein Zeichen setzen und versuchen, die Petition nach Kräften zu verbreiten“, sagt die Initiatorin Charlotte Meyer-Gerards. Axel Freimuth, Rektor der Universität, hat sich in einem Brief ans Auswärtige Amt für die Rückkehr Akbayirs nach Köln stark gemacht.

Mit Nachbarschaft sang sie während der Pandemie

Und da ist Akbayirs Nachbarschaft aus Höhenhaus. „Wir waren geschockt, als wir von Hamides Festsetzung erfahren haben“, sagt Angelika Spilker-Jacobs. In der Corona-Pandemie haben sich die Nachbarn mehrmals pro Woche getroffen, um draußen gemeinsam die „Ode an die Freude“ zu singen. Jetzt trommelte Spilker-Jacobs 60 Menschen aus der Nachbarschaft zusammen, die zusammen an Oberbürgermeisterin Henriette Reker, das türkische Generalkonsulat und das Auswärtige Amt schrieben.

Vertreter der Linken und der Grünen haben sich längst für Akbayir stark gemacht. „Es ist gut zu wissen, dass ich nicht allein bin“, sagt Hamide Akbayir, die aktuell mit ihrem Mann in der Provinz Elâzığ eine Wohnung sucht. Auch, dass sie in ständigem Austausch mit der deutschen Botschaft sei, beruhige sie ein wenig.

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Noch gibt es weder eine Anklageschrift noch einen Prozesstermin gegen sie. Sie rechnet daher damit, dass sie möglicherweise noch mehrere Monate lang nicht ausreisen darf – wie so viele Kritikerinnen und Kritiker von Staatspräsident Erdogan. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird Erdogan am kommenden Samstag in Ankara treffen. Es geht unter anderem um das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei. Hamide Akbayir und viele andere von der Türkei kriminalisierte Menschen hoffen, dass auch die Themen Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zur Sprache kommen.

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