Großdemo auf dem HeumarktTausende gehen in Köln für eine Bildungswende auf die Straße

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Demonstrationsteilnehmer mit Fahnen und Plakaten.

Auf dem Heumarkt waren viele Demonstranten zusammengekommen, die mit Plakaten auf die Bildungsmisere aufmersam machten.

Die Demonstrierenden fordern ein gerechteres und inklusives Bildungssystem und eine bessere Finanzierung.

Auf dem Heumarkt ist es fast so voll wie an Weiberfastnacht. Aber statt dreimal „Kölle Alaaf“ schallt von der Bühne das Wort „Bildungswende“ – und die große Menge auf dem Platz antwortet dreimal mit einem lautstarken „Jetzt!“. Rund 3000 Menschen waren nach Veranstalterangaben am Samstag (23. September) bei strahlendem Sonnenschein auf den Heumarkt gekommen, um für eine Wende in der Bildungspolitik zu demonstrieren und ein gerechteres und inklusiveres Bildungssystem sowie eine bessere Finanzierung einzufordern.

Die Polizei sprach von mehr als 2000 Menschen. Bundesweit hatte dazu Eltern- und Lehrerverbände sowie 150 weitere Organisationen als gemeinsames Bündnis "Bildungswende. Jetzt!" zeitgleich in 29 Städten aufgerufen. Der Schwerpunkt für NRW lag in Köln. „Der ganze Platz ist voll, um für unsere wichtigen Anliegen zu kämpfen“, begrüßt Eva-Maria Zimmermann, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Köln, die Eltern, Kinder und Lehrkräfte, die sich versammelt hatten.

Überfüllte Schulklassen in Nordrhein-Westfalen

Die Grundschülerinnen Lovisa, Mathilda, Julia, Carlotte und Luise stehen ganz vorne und machen mit Trillerpfeifen einen ohrenbetäubenden Lärm. „Mehr Personal in eine Klasse, um Kinder besser zu fördern“ oder „Ein Schulplatz für alle am Wohnort“ steht auf den Plakaten, die sie hochhalten. „Wir sind mit den Kindern hier, weil sie sich etwas ändern muss“, sagt die Mutter von Lovisa. Bei ihnen in der Grüngürtelschule in Rodenkirchen hatten die Kinder im ersten und zweiten Schuljahr 29 Kinder in der Klasse. „Wie soll da noch ein Kind individuell gefördert werden?“, fragen sie sich. Erst in der vergangenen Woche hatte eine Erhebung ergeben, dass Nordrhein-Westfalen bundesweit die größten Klassen hat, während in den Hamburger Grundschulklassen nur 18 Kinder sitzen.

Von der Max-Ernst-Gesamtschule ist eine große Abordnung gekommen. „Wir verlieren immer mehr Lehrerinnen und Lehrer, weil der Beruf bei großen und überfüllten Klassen immer unattraktiver wird“, sagt Lehrer Martin Popp. Er wünscht, sich, dass auch auf der Bundesebene die Bildungsmisere endlich ernst genommen und gemeinsam von Bund und Land in einem Bildungsgipfel angegangen wird. Es gehe angesichts der Krise nicht mehr so weiter, dass 16 Bundesländer unterschiedliche Maßnahmen ergreifen und unterschiedliche Wege gehen. Angesichts der Krise brauche es mehr Absprachen und entschlossenes, abgestimmtes Handeln.

Fünf Mädchen mit Plakaten in der Hand.

Auch Lovisa, Mathilda, Julia, Carlotte und Luise kamen zum Demonstrieren.

Ein Viertel der Kinder kann am Ende der Grundschulzeit nicht mehr richtig lesen. Knapp jedes zehnte Kölner Kind bekommt sonderpädagogischen Förderbedarf attestiert. Gleichzeitig sind zehn Prozent der Schulleitungsstellen vakant, 6700 Lehrerstellen in Nordrhein-Westfalen sind nicht besetzt. Nach Prognosen werden bis 2030 mindestens 160.000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen. „Schule ohne Lehrer, ist wie ein Schwimmbad ohne Wasser“, steht auf den Plakaten, die Demonstranten hochhalten.

Das Bündnis „Bildungswende. Jetzt!“ fordert in ihrer Petition ein Sondervermögen für Bildung von 100 Milliarden Euro. „Und das wäre ja angesichts der maroden Schulen nur ein Anfang“, sagt David Steimel, Lehrer am Kölner Hölderlin-Gymnasium. „Damit bekäme man ja bundesweit noch nicht mal die ganzen maroden Turnhallen saniert.“ Außerdem eine Ausbildungsoffensive für Lehrkräfte und Erzieher sowie eine inklusive, zukunftsfähige Bildung: Lehrpläne sollen überarbeitet und mehr Freiräume für intellektuelle, emotionale und soziale Entwicklung geschaffen werden. Alle diese Forderungen wurden auch in einer Petition festgehalten, die bislang bereits von 100.000 Menschen unterzeichnet wurden.

Demonstration am Heumarkt: „Es geht auch um eure Kinder“

Der viele hundert Meter lange Zug der Demonstranten setzte sich dann lautstark begleitet von Trommel und Samba-Rhythmen und Sprechchören in Bewegung durch die Innenstadt vorbei am Neumarkt durch die Fußgängerzone. Dort wurden immer wieder Passanten aufgefordert, sich dem immer länger werdenden Demonstrationszug anzuschließen. „Es geht auch um eure Kinder“, rief GEW-Chefin Zimmermann den Menschen vom Lautsprecherwagen aus zu. Und rechnete vor, dass die Regierungschefs von Bund und Ländern eigentlich schon vor Jahren versprochen hätten, künftig zehn Prozent des Bundesinlandsprodukts für Bildung zu investieren. Aber 2022 seien es auf diesem wichtigsten Zukunftsfeld immer noch nur 4,6 Prozent gewesen. „Wer in Krieg investiert und bei Schulen spart, dem ist unsere Zukunft egal“, skandierten die Demonstranten als Antwort.

Im Anschluss an die Demonstration versammelten sich die Teilnehmer wieder auf dem Heumarkt zu einem Bildungsmarkt der Möglichkeiten und einem Bühnenprogramm mit vielen prominent besetzten Gesprächsrunden. Moderiert von Shary Reeves erzählten Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte aus ihrem Alltag und wie sie die Bildungskrise vor Ort erleben. Die Gewerkschaften GEW, Ver.di und DGB formulierten Forderungen aus Sicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Bildungsberufen. Besonders pointiert konnte der bekannte Lehrer und Bildungsinfluencer Bob Blume die Forderungen auf den Punkt bringen. Schließlich wurden verschiedene Leuchtturmprojekte präsentiert, um zu belegen, dass es in NRW durchaus Beispielschulen dafür gibt, wie die Schule der Zukunft aussehen kann.

Deutschlandweit mehr als 15.000 Menschen auf die Straße, wie die Veranstalter mitteilten. Allein in Berlin seien 7000 Menschen zusammengekommen und zogen vom Brandenburger Tor bis zum Roten Rathaus. Die Polizei sprach von 4500 Teilnehmern in Berlin-Mitte. In München kamen nach Angaben der Veranstalter rund 2000 Menschen zur Kundgebung, dort gab es zunächst keine Schätzung der Polizei.

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