Weltreise in KölnIn Kalk ist der Orient ganz nah

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Saharashop in der Taunusstraße

Der Saharashop in der Taunusstraße ist ein Eldorado für Marokko-Fans. die hier von der Tajine bis zum  Hausschuh alles finden. 

Köln-Kalk – Urlaub, das ist auch immer der Aufbruch in die Fremde: Exotische Gerüche, neue Geschmackserlebnisse und Rhythmen, Radebrechen mit Menschen, die einen anlächeln, aber nur bedingt verstehen. Wenn man die Komfortzone verlässt, setzt Urlaub das dankbaren Gefühl frei, dass Vielfalt viel mehr Schatz ist als potenzielle Bedrohung. Er bietet die Gelegenheit, sich auf Zeit fremd zu fühlen und mal die Perspektive zu wechseln. Das Fremde als Bereicherung zu erleben in Zeiten, da es zunehmend mit Angst und Ablehnung konnotiert ist.

Menschen aus mehr als 180 Herkunftsländern

Wer in Köln lebt, hat den Luxus, dass er für die Erfahrung von Exotik und Fremdheit nicht tausende Kilometer, sondern maximal ein paar Meter Distanz überwinden muss. In Köln leben Menschen aus mehr als 180 Herkunftsländern, jeder Dritte hat ausländische Wurzeln. Die Urlaubsreise in den Orient kostet zum Beispiel nur ein KVB-Ticket nach Kalk: Wer sich an einem Urlaubstag mit Muße auf die Kalker Hauptstraße stellt oder vielleicht bei einem Glas türkischen Tee irgendwo niederlässt, der kann die Vielfalt am bunten Treiben ablesen, an den Gesichtern, die den orientalischen Schmelztiegel sinnlich wahrnehmbar machen: Die Türkei, Marokko, Ägypten, Iran und Syrien – alles zugleich.

Da ist zuvorderst die orientalische Gastfreundschaft: Zu genießen etwa bei „Urfa’m Cigköfte“. Cigköfte ist der letzte Schrei der veganen orientalischen Küche: Mustafa Usta reicht in seinem Imbiss die Spezialität, die aus Bulgur, 18 verschiedenen Gewürzen, Nüssen, Tomaten- und Paprikamark besteht, in einem Salatblatt. Dass das erste syrische Restaurant im Rechtsrheinischen genau hier vor ein paar Wochen seine Tore geöffnet hat, das ist eigentlich nur folgerichtig: Merfan Halah (29), der vor zwei Jahren aus Syrien gegeflohen ist, betreibt das „Cham“ mit traditioneller syrischer Küche.

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Urfa’m Cigköfte

Orient goes vegan: Bei „Urfa’m Cigköfte“ 

Ins Cham kommen 40 Prozent Araber und 20 Prozent Türken. Die restlichen 40 Prozent seien Deutsche und andere Nationalitäten, erklärt Halah: „Diese bunte Mischung in Kalk gefällt mir.“ Dass sich die Flüchtlinge gerade hier in die bunte kulturelle Vielfalt einreihen und kaufmännisch erste Schritte gehen, überrascht Söhret Gök nicht: „Da wo die Vielfalt wimmelt, wächst der Mut zu Experimenten.“

„1001 Kalk“

Gök macht für den Veranstalter „Kulturklüngel“ Stadtführungen durch „1001 Kalk“. Und wer ihr in den kölschen Orient folgt, dem öffnet sie nicht nur die Tür zu Geschäften, Gebäuden und Restaurants, sondern sie baut auf ihrer Wanderung Brücken für Begegnung und Gespräche mit Menschen, damit das Fremde ein Gesicht bekommt. Das ist das Konzept der Stadtführungen des Kulturklüngels.

Von Damaskus aus sind es nur wenige Meter bis in die Taunusstraße nach Marokko. Dass die Straße eine kostenlose kleine Reise nach Marokko ist, das spricht sich unter Marokko-Fans und den vielen hier lebenden Studenten langsam rum: „Wir freuen uns, dass immer mehr Leute die Straße entdecken, nicht nur Studenten, sondern auch Touristen“, erzählt Ahmed Aljannayi von der marokkanischen Gemeinde. Das freut ihn, der sich so sehr wünscht, hier besser in Kontakt zu kommen mit Deutschen. Man spürt seinen Redebedarf, sobald man ein offenes Ohr signalisiert;

„Seit der Kölner Silvesternacht ist vieles anders geworden. Wir spüren einfach mehr Zurückhaltung in der Begegnung, mehr Misstrauen.“ Am leichtesten ins Reden kommt man übers Essen: Das geht etwa im Casablanca, der marokkanischen Bäckerei, in der sich Berge orientalischer Süßigkeiten und Gebäck türmen. Sie ist so etwas wie das deutsch-marokkanische Wohnzimmer.

Casablanca

In der Bäckerei Casablanca kann man Süßigkeiten schlemmen.

Der marokkanische Barbier fehlt in der Taunusstraße ebenso wenig wie das marokkanische Reisebüro. Marokkanische Restaurantbetreiber hauchen den leerstehenden Kölsch-Kneipen neues Leben ein.

Orientgefühl fürs Wohnzimmer

Im Saharashop gibt es bei Elgandi Reda orientalische farbenfrohe Wohnkultur wie auf dem Basar: Teekannen, Lampen, Weihrauch und die berühmte Tajine – eine Art marokkanischer spitzer Römertopf – samt einem Plausch über Rezepte. „Viele Kölner setzen hier ihren Marokkourlaub fort“, meint Reda. „Ende der 90er war diese Straße mausetot“, erinnert sich Aljannayi. „Bis wir Marokkaner hier ein Gebäude nach dem anderen wieder mit Leben gefüllt haben.Was uns rettet, ist unser schlechter Ruf“, meint er. Will sagen: Nur deshalb sind die Preise hier so, dass sich auch solche Dynamik entwickeln kann.

Der Orient ist neben Düften und sinnlichen Genüssen ganz viel Musik: Auf der Wanderung des Kulturklüngels lassen sich die Teilnehmer von Oum Zehra in die Welt des Bauchtanzes und der ägyptischen Folklore entführen.

Eine Bautänzerin

Eine Bautänzerin

Für die Tänzerin, die in den Räumen der Kalker Gold-Krämer-Stiftung auch Anfänger unterrichtet, ist Tanz Spiritualität pur. Hüfte schwingend Geist, Körper und Seele in Einklang zu bringen, das sei der Zauber, erklärt sie tanzend. „Der Bauch ist Sitz der Intuition. Es geht um das reine Gefühl und es fordert Mut, Gefühle zu zeigen.“

Wenn der Hüftschwung fehlt

Die Gruppe lässt sich darauf ein, ihre Bewegungen zur Musik nachzumachen. Das Gekicher über die kollektive mangelnde Geschmeidigkeit erzählt – wie immer beim Einlassen auf Fremdes – sehr viel über die eigene Kultur: „Mann, sehen wir scheiße aus“, bricht es lachend aus einem in der Gruppe heraus. Orientalische Selbsterfahrung in Kalk: Spielerisch entsteht die Ahnung, welche Kraft in der Musik und im Tanz stecken, die für so viele Völker Teil ihrer Seelenhygiene ist. Und wie blass unsere tanzentleerte Kultur danebensteht.

So ganz kann eine Tour durch den Orient natürlich auch die aktuelle Lebenswirklichkeit vieler Neu-Kalker nicht ausblenden: Auch das am Ottmar-Pohl-Platz gelegene Integrationshaus ist ein Stück Orient. „Rassismus führt zu Wahrnehmungsstörungen“, steht am Eingang des Hauses, wo Elizaveta Khan mit viel positiver Energie versucht, die Schätze derer, die hier Hilfe und Orientierung suchen, zu heben.

Elizaveta Khan

Elizaveta Khan

Wer hier vorbeikommt, der sollte sich unbedingt die Poetry Slamer anhören: Das sind Flüchtlinge wie der Syrer Ahmad Zaza (23), der die Gebrochenheit seiner Seele und die Sehnsucht nach der Heimat und den Menschen, die er in den Trümmern zurücklassen musste, in poetische deutsche Verse kleidet: Wehmütig und doch der Zukunft zugewandt. Wer ihn sieht und hört (siehe Link im blauen Kasten), der wird berührt, ja beklommen.

Reise nach Persien

„Schau hinter die Gesichter: Jeder von ihnen hat eine richtig harte Geschichte.“ Der, der das sagt, heißt Mr. Shirazy.

Mr Shirazy

Mr Shirazy mit seinem Instrument „Freeak“

Wir sind inzwischen in Persien gelandet, bei ihm auf der Dachterrasse in der Sieversstraße, wo seine Musik wieder für ein Stück Leichtigkeit sorgt. „Die Deutschen stellen sich das so vor, dass jemand einfach daheim im Garten in seinem Schaukelstuhl sitzt und sagt, weißt du was, ich hau ab nach Deutschland.“ Er selbst kam Mitte der 80er Jahre mit 14 Jahren auf der Flucht vor dem Iran-Irak-Krieg nach Deutschland. Ohne Eltern. Als sein bester Freund im Leichensack von der Front zurückkam, „da bin ich los.“ Gelandet in Bochum – in der Hauptschule in der Marxstraße, wo sie 30 allein geflüchtete Jungs aus dem Iran einquartierten. „Wir durften umsonst in die Musikschule, um dort ein ein Instrument zu lernen. Das war meine Rettung.“

Ein Angebot für Wallfahrer

Ein Angebot für Wallfahrer

Er hat seine Mission gefunden: durch Musik die Menschen mit sich selbst verbinden, nicht nur, wenn Nachbarn ihm auf seiner Terrasse lauschen. Mit seinem selbst gebauten elektronischen, weltweit einmaligen Musikinstrument namens „Freeak“, tourt er mit dem „Exil-Orchester“ über die Bühnen. Über den Kalker Dächern stimmt er ein wehmütiges persisches Lied an: „Es gibt den Kreis aus Kommen und Gehen, der dich umarmt. Er hat keinen Anfang und kein Ende. Keiner kann die Wahrheit für sich beanspruchen“, übersetzt er für die Zuhörer. „Und manchmal spielt das Leben uns,“ fügt er hinzu. Und gebiert ein Stück Orient in Kalk.

Tipps für Orient-Entdecker in Köln

Der „Kölner Kulturklüngel – eine Art Reisebüro für die eigene Stadt – bietet die Möglichkeit, in das multikulturelle Köln einzutauchen. Ziel ist auch Kommunikation gegen Klischees und Vorurteile. Zum Orient gibt es folgende Führungen: Orient – 1001 Kalk mit Söhret Gök, Iran - Morgenland in Köln mit Anahita Mehdipor, Türkei mit Söhret Gök, persischer Kochkurs mit Nina Helfrich, Kulinarische Weltreise und Radtour interreligiös mit Th. Bönig. www.kulturkluengel.de

Mehr zum Orient in Köln unter www.kulturkluengel.de/Kulturen/orient

Kulinarik

Restaurant Cham, syrische Küche, Kalker Hauptstr. 188, Marokkanische Spezialitätenbäckerei „Casablanca“ Taunusstr. 1

Bauchtanz

Wer Bauchtanz live erleben will kann das im Yadaary Orienthaus in Ehrenfeld, Sömmeringstraße 48 tun. In dem Restaurant ist samstags Bauchtanz.

www.yadaary-orienthaus.de

Integrationshaus

Das „Integrationshaus“ in Kalk ist ein interkulturelles Zentrum mit einem breiten Engagement gegen Rassismus und für eine offene Gesellschaft. Die Beiträge der Poetry Slammer kann man sich im Internet anschauen unter dem Link: https://ihaus.org/was-wir-machen/projekte/

Einen Höreindruck von Mr Shirazy und seinem Exile Orchestra kann man sich verschaffen unter www.mrshirazy.com

Wer sich für die Saz interessiert – eine Langhalslaute, die etwa in der türkischen, kurdischen, iranischen und afghanischen Musik gespielt wird, sollte in der Werkstatt „Dostlar Saz“ in der Bergisch Gladbacher Straße 101 vorbeischauen. (ari)

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