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11.11. in KölnZwischen Ekstase an Zülpicher Straße und Brauchtum in der Südstadt

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Tausende Jugendliche und junge Erwachsene feierten Karneval an der Zülpicher Straße.

Köln – Die Straßen im Kölner Süden sind noch leer an diesem Morgen des 11. November. Im Radio wird über den Prinzen geredet, der trotz doppelter Impfung positiv getestet wurde, das Dreigestirn hat alle Termine bis auf Weiteres abgesagt. Nebel klebt auf der Stadt und kleidet den Tag zunächst in ein tristes Grau. An einem Mehrfamilienhaus stielt sich ein Pärchen in Ringelhemden in die Eingangstür, er mit einer Kiste Kölsch, sie mit Luftballons bewaffnet. Ob die wohl geimpft sind?

Sicher feiern mit 2G-Plus in der Südstadt

Private Feiern wird keiner kontrollieren an diesem Elften im Elften, auch wenn die Zahl der Einsatzkräfte von Polizei und Ordnungsamt groß ist. Am Rodenkirchener Brauhaus Quetsch dekoriert Wirt Heiko Hörnecke den Außenbereich. Geschlossene Gesellschaft für ein Firmenjubiläum, Volker Weininger und die Bläck Fööss werden auftreten. „Einlass nur mit 2G plus aktuellem Schnelltest“, sagt er. Ein Satz, den viele Gastronomen wiederholen werden. Nur so könne sicher gefeiert werden. Und Feiern ist ein gutes Geschäft.

An der Südbrücke leuchten vier Teletubbies aus den Nebelschwaden, das andere Rheinufer ist nicht zu sehen. Lea, Jonathan, Marius und Pascal sind aus Berlin, Coburg und Rostock gekommen, „weil der Karneval legendär ist – Köln garantiert einen guten Absturz“, sagt Jonathan. „… wenn man an Fasching interessiert ist“, ergänzt Lea, die gerne tanzt und schunkelt. Darauf einen Klopfer aus der Großpackung, dann weiter in die Altstadt. Für den Nachmittag ist die „Trash Island Party“ in der Live Music Hall gebucht.

Alles zum Thema Bläck Fööss

Um 11.11 Uhr bebt die Zülpicher Straße

Alles andere als beschauliche Leere herrscht bald darauf im Kwartier Latäng rund um die Zülpicher Straße. Während die Zugänge zur Feierzone gegen kurz vor 10 Uhr nur mäßig ausgelastet sind, wird es pünktlich zu 11 Uhr richtig voll auf der Feiermeile in der Nähe der Universität. Das Publikum ist, wie in den Jahren zuvor, auffallend jung. Wer hier feiert, ist zwischen 17 und Anfang 20. So auch Zoé und Fine, beide 21 Jahre alt. Für den 11.11. sind sie aus Bonn angereist. „Die Stimmung ist super“, sagt Fine. Dass im Kölner Karneval 2G gilt, befürworten beide. „Mir gibt es ein gutes Gefühl. Ich finde es besser mit 2G. Wir wollen heute auch lieber draußen bleiben, als in eine Kneipe zu gehen“, sagt Zoé.

Die letzten zehn Sekunden vor 11.11 Uhr zählen Tausende Feiernde dann gemeinsam herunter. Jubel und Ekstase am Zülpicher Platz: „Wer nicht hüpft, der ist kein Kölner“ wird kollektiv angestimmt. Dario Mohn, 19 Jahre alt, steht mittendrin. „Wir haben uns das ganze Jahr darauf gefreut“, so der Kölner. „Es war von Anfang an klar, dass wir auf der Zülpicher Straße feiern wollen.“ Angst vor einer Infektion habe man nicht. „Ich habe mich doch impfen lassen, damit ich hier feiern kann“, sagt Kumpel Niklas Schlüter.

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Heruntergelassene Rollläden in der Südstadt

Auf dem Chlodwigplatz stehen kurz vor Mittag keine 200 kostümierten Menschen mit Getränken in Pappbechern. Der Weinberg am Sevrinstor versteckt sich hinter Dixie-Klos und mobilen Pissoirs. Aus der Lotta schallt „Mer losse d’r Dom in Kölle“, davor hat sich eine kleine Warteschlange gebildet , die Einlasskontrollen sind hier wie fast überall gründlich. Drei Ordnungsbeamte prüfen die Papiere eines Obdachlosen. Das Früh em Veedel hat geschlossen wie viele Kneipen, in denen sonst zu diesem Datum die Post abgeht: Mainzer Hof, Chlodwigeck, Terrarium, Fertig – rund die Hälfte aller Gaststätten und viele Geschäfte haben Ruhetag.

Auch am Backes sind die Rolläden heruntergelassen, dafür schallt aus dem Haus gegenüber Karnevalsmusik. Oben im Nebel, auf einem Balkon im Dachgeschoss, grölen Kostümierte „Guten Morgen, Barbarossaplatz, bist du auch noch wach?“ Zwei blutverschmierte Chirurgen tragen leere Kölschkästen die Straße entlang. Eike aus Ehrenfeld raucht eine Zigarette vor dem Coellner. Er ist mit Freunden unterwegs, war morgens schon auf einer WG-Party.

2G-Plus selbst auf der Privatparty

„Selbst da war 2G plus, ich finde das gut“, sagt er, man müsse lernen, mit dem Virus zu leben. In der Südstadt feiere man „veedelsmäßiger“ als etwa an der Zülpicher, „da sind mir zu viele Sauftouristen. Hier ist das echte Kultur.“ Marcel aus Stuttgart stimmt ihm zu, er ist schon zum fünften Mal extra zum 11.11. gekommen. „Geil hier, echt geil“, sagt der Schlagerfan. „Und der Dialekt – super.“

Anne, Lisa und Lisa feiern ihre Elften-Elften-Premiere im Severin gleich neben der Kirche. Alles sei super organisiert, findet Anne, die erst vor Kurzem aus Mönchengladbach nach Köln gezogen ist. Dass man trotz Impfnachweis einen Schnelltest vor der Tür machen könne und müsse, gebe Sicherheit beim Feiern, sagen sie und sind schon gut in Stimmung. Wieder draußen, knieen drei Männer vor einem Engelchen auf der Straße und lassen sich Klaren einflössen. Die Nebel am Himmel lichten sich gerade.

Video von 11.11 Uhr geht viral - die Feiernden kümmert es nicht

13 Uhr. Die Sonne strahlt über dem Kwartier Latäng. Das Viertel ist komplett ausgelastet, der Alkoholpegel der Feiernden auf dem Höhepunkt. Rund um die Glasverbotszonen sammeln sich Müll und Scherben. Die ersten Feiernden müssen aufgeben, taumeln von Freunden gestützt Richtung Ausgang, Erbrochenes liegt am Weg. Doch die Stimmung ist noch ausgelassen.

Ein Video des „Kölner Stadt-Anzeiger“, auf dem der Jubel der Masse um 11.11 Uhr auf der Zülpicher Straße zu sehen ist, schlägt in den sozialen Medien hohe Wellen. Eine Gruppe Feiernder aus dem Sauerland und aus Köln kann die Kritik nicht nachvollziehen. „Das ist doch dumm. Wir sind alle doppelt geimpft – irgendwann muss es auch mal weitergehen, gerade für die Wirtschaft. Ich habe da kein schlechtes Gewissen“, sagt ein als Arzt verkleideter Jeck.

Ein 11.11. zwischen Nostalgie und Partywahn

Kurz vor drei am Eierplätzchen fühlt man sich um Jahrzehnte zurückgebeamt. Achim an der Quetsch, Felix mit Gitarre und Hendrick singen mit Jecken aller Generationen „Stääne“ von den Klüngelköpp. Die drei Kölner leben mittlerweile über Deutschland versprengt, sind aber zum 11.11. nach Hause gekommen: „Nach Corona muss man alles mitnehmen“, sagt Achim und lacht. Kellerkalt nennt sich die Truppe, aber sie machen warm ums Herz: „Jo, dann weiß ich, dat ich doheim bin.“

Am Nachmittag ist im Kwartier Latäng noch lang nicht Schluss. Dass die Stadt Köln die Jecken dazu aufruft, dass Zülpicher Viertel nicht mehr anzusteuern, ist dort noch nicht angekommen. Auf den nun ebenfalls freigegebenen Uni-Wiesen tanzt man mit Tausenden zu Querbeat und Kasalla. Auf der Straße wird eine Runde des Trinkspiels „Flunky Ball“ nach der anderen gespielt – wer das Kölsch schneller austrinkt, gewinnt. „Wir haben endlich wieder unsere Jugend zurück“, sagt Eva, 18 Jahre alt. „Das ist das Wichtigste.“ 

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