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Ehemalige Dombaumeisterin erinnert sichAls Edmund Stoiber den Kölner Dom besichtigte

Lesezeit 4 Minuten
Domgeschichten

Der damalige bayerische Ministerpräsident sieht angespannt aus zwischen Barbara Schock-Werner (l.) und seiner Frau Karin.

  • Den Kölner Dom kennt jeder. Aber wie gut kennen sich die Kölner wirklich aus in „ihrer“ Kathedrale?
  • Jede Woche haben wir für Sie eine neue Geschichte vom Dom – erzählt von einer, für die er eine Art zweites Zuhause ist: Dombaumeisterin a.D. Barbara Schock-Werner.
  • In dieser Folge geht es um den Besuch des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber.

Köln – Der skurrilste Besuch eines Politikers im Kölner Dom ist nun schon bald 20 Jahre her. Ich hoffe, Edmund Stoiber verzeiht es mir, wenn ich Sie Ihnen heute erzähle. Es war 2002. Stoiber war damals nicht nur CSU-Vorsitzender und bayerischer Ministerpräsident, sondern auch Kanzlerkandidat der Union. Wer einmal das ganze Land diesseits und jenseits des Weißwurst-Äquators regieren will, der muss sich gelegentlich auch mal ins Rheinland wagen. Die Umfragewerte gerade in Nordrhein-Westfalen waren in der Anfangsphase von Stoibers Kampagne noch nicht sonderlich berauschend. Da erschien es als eine gute Idee, wenn der Kandidat der Kölner Kathedrale als der bedeutendsten Kirche des Landes und wichtigem Nationalsymbol – im 19. Jahrhundert nicht zuletzt großzügig gesponsert vom bayerischen König Ludwig I. – die Ehre erweisen würde.

Politiker hat Höhenangst

Stoiber kam also an, und wir fuhren mit dem Lastenaufzug der Dombauhütte an der Bahnhofseite auf die Dächerebene. Wie unsere Kabine Meter um Meter nach oben ratterte, bemerkte ich schon, dass aus Stoibers Gesicht zusehends die Farbe wich. Schon ziemlich bleich kam er oben an, wo ihn ein WDR-Fernsehteam für ein Interview auf dem Domgerüst empfing. Mit dem Ort, an dem er sich gerade befand, hatten weder die Fragen noch die Antworten das Geringste zu tun. Stoiber schimpfte auf Kanzler Gerhard Schröder und die regierende SPD. Was der Oppositionskandidat eben so macht. Der Kameramann war gemein genug, immer wieder auf die Hände mit den weißen Fingerknöcheln zu halten, mit denen sich Stoiber an einer Gerüststange regelrecht festkrallte.

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Beim Weitergehen erwähnte ich, dass ich vorhätte, mit ihm noch auf den 110 Meter hohen Vierungsturm zu gehen, deren Aussichtsplattform auf einer Höhe von etwa 65 Metern liegt. „Kommt überhaupt nicht in Frage“, entfuhr es ihm in einer Heftigkeit, die auch dem Letzten klargemacht hätte: Der Mann hat schlicht Höhenangst. So beschränkte ich mich darauf, ihm im Inneren des Dom den Dachstuhl und die berühmte Eisenkonstruktion des Domdachs aus dem 19. Jahrhundert zu zeigen.

Alles zum Thema Barbara Schock-Werner

Friedrich Merz musste unten bleiben

Unten am Fuß des Fahrstuhls stand übrigens die ganze Zeit als Stoibers Schatten ein weiterer sehr bekannter und damals auch recht mächtiger anderer Unionspolitiker: Friedrich Merz, der CDU/CSU-Fraktionschef und Oppositionsführer im Bundestag. Ich weiß nicht, was es bei Stoiber war: Die Angst davor, noch länger auf dem Dach des Doms verweilen oder gar noch einmal mit dem Aufzug hinunter und wieder hinauf fahren zu müssen? Oder doch das Kalkül, allein vor der Kamera stehen zu wollen? Jedenfalls durfte der Aufzug nicht noch einmal in Bewegung gesetzt werden, um Merz abzuholen. Wie man mir anschließend erzählte, sei Merz darüber „not amused“ gewesen und habe die ganze Zeit gedrängelt, dass er hoch zu Stoiber wolle. Nichts da! Es sollte einfach nicht sein.

„Geschenk zweiter Klasse“

Als Stoiber dann selber wieder nach unten fahren sollte, stellte man fest, dass sich dort inzwischen Demonstranten mit Trillerpfeifen und unfreundlichen Parolen versammelt hatten. Ob es denn keine andere Möglichkeit gebe, wollte Stoiber wissen. „Doch, wir kommen auch auf der Südseite nach unten. Da müssen Sie aber Treppensteigen.“ Das hat ihn nicht abgeschreckt. So gelangte Stoiber wohlbehalten und unbehelligt wieder auf dem Erdboden an. Bei der Verabschiedung an der Pforte wandte er sich an einen Menschen aus seinem Tross und sagte den – für mich bis heute sensationellen – Satz: „Die Dame erhält von uns ein Dankgeschenk zweiter Klasse.“

Das Buch zur Serie

Eine Sammlung der schönsten Domgeschichten aus Geschichte und Gegenwart haben Barbara Schock-Werner und Joachim Frank im DuMont-Buchverlag veröffentlicht.

Dom-Geschichten. Mit der Dombaumeisterin a.D. durch die Kölner Kathedrale, 176 Seiten mit zahlreichen Fotos von Csaba P. Rakoczy, Köln 2020, 18 Euro.

Danach wartete ich natürlich gespannt, und tatsächlich traf nach einiger Zeit ein Päckchen ein mit einem bayrischen Löwen aus edlem weißem Porzellan und Stoibers Signatur auf einem Schildchen. Ganz schön für jemanden, der solche Stücke mag. Aber bis heute frage ich mich: Womit hätte ich mir die erste Klasse verdient? Und was wäre dann mein Preis gewesen?

Aufgezeichnet von Joachim Frank

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