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„Violence as a Service“Jugendlicher aus Holland zündet Sprengsatz in Köln – das sagt er beim Prozess

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Der angeklagte 18-Jährige wird von einem Wachtmeister in den Gerichtssaal gebracht. Links seine Verteidigerin.

Der angeklagte 18-Jährige wird von einem Wachtmeister in den Gerichtssaal gebracht. Links seine Verteidigerin.

Die Beauftragung junger Handlanger wird in Verbrecherkreisen immer beliebter.

Ein lauter Knall riss die Einwohner der Ehrenstraße in der Nacht zum 18. September vergangenen Jahres aus dem Schlaf. Flammen schlugen aus einem Modegeschäft, das Erdgeschoss wurde weitgehend zerstört. Ein Fahrradfahrer bemerkte den Brand, sprang ins Geschäft und warf Kleidung heraus. Er versuchte das Feuer einzudämmen und begab sich dabei in Lebensgefahr. Der Verursacher der Explosion muss sich seit Donnerstag vor dem Amtsgericht verantworten – ein 18-jähriger Auftragstäter aus den Niederlanden.

Köln: Hintermänner engagieren immer wieder Jugendliche

„Violence as a Service“ (zu Deutsch: Gewalt auf Bestellung) heißt das Phänomen, das in Verbrecherkreisen immer beliebter wird. Statt sich buchstäblich selbst die Finger schmutzig zu machen, werden Jugendliche für einen geringen Lohn engagiert. So auch in diesem Fall. Zum Prozessbeginn legte der Angeklagte über seine Verteidigerin ein Geständnis ab. Er habe in Amsterdam nach einem Job gefragt, habe eigentlich kellnern wollen, führte er aus – um diverse Bußgelder aus Verkehrsverstößen zahlen zu können.

Scherben und Kleidungsstücke liegen nach der Explosion vor dem Geschäft in der Ehrenstraße in Köln.

Scherben und Kleidungsstücke liegen nach der Explosion vor dem Geschäft in der Ehrenstraße in Köln.

Über den Social-Media-Dienst Snapchat habe er dann eine Nachricht bekommen. 2000 Euro wurden ihm für einen „Job“ angeboten. „Das klang wie Weihnachten und Geburtstag zusammen“, sagte der Beschuldigte. Er sei nicht abgeneigt gewesen und habe dann den Auftrag bekommen, in Nijmegen ein Fenster einzuwerfen. Er habe Bedenken gezeigt und sei daraufhin bedroht worden. Aus Sorge um seine Mutter und Schwester habe er dann doch mitgemacht. Statt nach Nijmegen habe man ihn aber dann nach Köln gebracht.

Kölner Ehrenstraße: Sprengsatz in Modegeschäft gezündet

In der Einkaufsstraße angekommen, hätten ihm die Männer eine Plastiktüte und eine Art Silvesterböller in die Hand gedrückt. In der Tüte befand sich eine Vorrichtung mit Benzin. Er habe die Scheibe des Geschäfts in der Ehrenstraße eingeworfen, die Tüte platziert und den Sprengsatz gezündet. Wie mit dem Auftraggeber verabredet, habe er sich schnell vor das Gebäude gestellt und alles gefilmt – als Beweis für seine „Arbeit“. Die Komplizen seien einfach gefahren. Er sei dann mit dem Zug zurück in seine Heimat.

Die vereinbarten 2000 Euro habe er nie erhalten, ließ der Angeklagte erklären. Der Auftraggeber habe danach seinen Account blockiert und sich nicht mehr gemeldet. Wer dahinter steckte, wisse er nicht. Auch der Geschäftsinhaber gab sich im Zeugenstand ratlos. Er sei aber von einem gezielten Anschlag ausgegangen, da zwei Monate zuvor bereits ein Brandanschlag auf seine Filiale in Amsterdam verübt worden sei. Allein den Schaden in der Ehrenstraße bezifferte die Kölner Staatsanwaltschaft auf 600.000 Euro.

Kölner Ermittler rechnen Sermet A. den Auftrag zu

Die Ermittler rechnen den Auftrag dem mutmaßlichen Drogenboss Sermet A. zu, vermuten eine offene Rechnung mit einem Ex-Mitarbeiter der Modekette. A. muss sich ab Montag wegen diverser Delikte – darunter weitere Explosionen, Drogenhandel im großen Stil und Geiselnahmen – vor dem Landgericht verantworten. Die Ermittler kreiden A. im aktuellen Fall an, einen Jugendlichen für die Sprengung engagiert zu haben – dabei dürfte er laut Ermittlern gewusst haben, dass wenige Monate zuvor ein 17-Jähriger in Solingen bei einem ähnlichen Auftrag gestorben ist.

Auch diese Empathielosigkeit spreche für die Gefährlichkeit von Sermet A. Die Ermittler fordern Sicherungsverwahrung. „Die Auftraggeber aus kriminellen Netzwerken der Organisierten Kriminalität nutzen junge Menschen auf diese Weise aus, um Anschläge, Einschüchterungen oder andere Straftaten zu begehen. Sie werden für Einzeltaten rekrutiert und sind dabei hohen Risiken ausgesetzt“, sagen die Behörden. „Violence as a Service“ stelle die Polizei, Justiz und Prävention vor neue Herausforderungen.

Der Prozess gegen den Jugendlichen wurde am Donnerstag vertagt, es müssen noch mehrere Polizisten im Zeugenstand gehört werden. Der Angeklagte äußerte die Hoffnung, bald einer geregelten Arbeit nachgehen zu können. „Mein großes Vorbild ist meine kleine Schwester, sie möchte Stewardess werden“, äußerte der Beschuldigte. Identifiziert wurde der 18-Jährige, nachdem er nach der Tat in der Ehrenstraße gefilmt hatte und später von Zeugen erkannt wurde. Es erging ein internationaler Haftbefehl.