Gerichtspräsident im GesprächDer Neubau, Kölner Verbrechen und „widerwärtige Fälle“

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Roland Ketterle (64) ist Präsident des Kölner Landgerichts. 

  • Roland Ketterle (64) ist seit acht Jahren der Präsident des Kölner Landgerichts.
  • Im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ spricht er über den geplanten Neubau des Justizzentrums, das Verbrechen in Köln und den Umgang mit widerwärtigen Verfahren.

Es steht so gut wie fest: Das Gebäude des Kölner Land- und Amtsgerichts soll nun doch abgerissen werden und einem Neubau weichen. Wie sehr freut Sie das, Herr Ketterle? 

Roland Ketterle: Ich freue mich sehr. Das ist ein Meilenstein für die Kölner Justiz. Und auch für die Bürgerinnen und Bürger ist es ein großer Gewinn. Der Grüngürtel kann durchgezogen werden und es ist ein Platz der Justiz geplant, wodurch auch die städtebauliche Attraktivität zunimmt. 

Was sind Ihre Wünsche für das neue Gebäude? 

Das neue Zentrum muss den funktionalen und qualitativen Anforderungen einer zeitgemäßen Justiz entsprechen. Das ist nun mal die Justiz des 21. Jahrhunderts. Dann müssen nach meiner Überzeugung auch die Sitzungssäle und die Büros für die Beschäftigten auf die Digitalisierung zugeschnitten sein. Zumal wir bis dahin in allen Bereichen mit der elektronischen Akte arbeiten. Der Neubau muss für eine moderne, transparente Justiz stehen und das auch ausstrahlen. 

Das derzeitige Justiz-Hochhaus erfüllt all das nicht. Woran hakt es am meisten? 

Man darf nicht vergessen: Vor 40 Jahren, als wir das Gebäude bezogen haben, galt es ja als eines der modernsten in Deutschland und ganz Europa. Diese Zeit ist jetzt leider vorbei. Es hakt vor allem an der räumlichen Funktionalität. Das fängt schon damit an, dass man in den Sälen über Verlängerungskabel stolpert. Dazu kommen die baulichen, brandschutztechnischen Probleme. Und generell haben wir einfach viel zu wenige Gerichtssäle. 

Zunächst geht es ja in ein Interim, die benachbarte alte Arbeitsagentur. Wie wird das ablaufen? 

Der Umzug soll 2024/2025 stattfinden. Die Büroräume werden kleiner sein als hier, weil sich der Baukörper nicht verändern lässt. Die Sitzungssäle bleiben ja im alten Gebäude. Daher wird eine Brücke gebaut, damit wir sicher und geschützt aus dem Bürobereich in den Saalbereich kommen. Dass wird natürlich weiterhin sehr beschwerlich sein für alle Beteiligten, weil auch im Saalbereich die Brandschutzsanierung durchgeführt werden muss. 

Immerhin bleibt das Justizzentrum an gewohnter Stelle. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit diesem Standort und dem alten Justiz-Tower ? 

Ich bin ja jetzt seit mehr als 35 Jahren in der Justiz tätig und habe einen Großteil meiner Tätigkeit auch hier im Gebäude verbracht, ich bin ja auch als Richter tätig. Ich habe deswegen sehr gute Erinnerungen an die Verfahren und die Verfahrensbeteiligten. Also insofern habe ich eine gewisse Anhänglichkeit an das Gebäude. Ich verbinde damit natürlich auch bittere und schmerzliche Erinnerungen. Ich war hier, als in einem laufenden Strafverfahren die berühmte Albanerbande mit  Waffengewalt befreit worden ist. Auch wurde in einem Schwurgerichtsverfahren ein Angeklagter erschossen. 

Sie leben ja im eher beschaulichen Bad Honnef. In einem Interview zu Ihrem Amtsantritt im Jahr 2014 sagten Sie: „Ich habe mich in Köln immer sehr sicher gefühlt.“ Gilt das für Sie auch heute noch? 

Ja, uneingeschränkt. Ich genieße das Privileg, in einem beschaulichen Ort zu wohnen und in seiner so unglaublich dynamischen Stadt arbeiten zu können, mit all dem, was wir an kulturellen und wirtschaftlichen Angeboten haben. Die Stadt Köln zeichnet sich durch Lebendigkeit und Jugendlichkeit aus. Sie ist lebensfroh, sie ist bunt, sie ist außerordentlich tolerant und gastfreundlich.

Die Kehrseite ist: Es kann hier nicht immer aussehen wie in einer Kleinstadt auf dem Land. Und deswegen haben wir bestimmte Problembereiche hier. Große Sorge bereit es mir etwa, in wie vielen Verfahren Messer eine Rolle spielen. Aber es ist ja auch sehr viel für die Sicherheit der Stadt gemacht worden, so wurde ja etwa die Videoüberwachung auf kritischen Plätzen intensiviert. 

Sehen Sie eine Entwicklung beim „Kölner Verbrechen“? 

Wir sehen ja hier nur das, was überhaupt zur Anklage kommt. Da kann ich allerdings sagen, dass wir nun deutlich mehr Strafkammern haben als früher. Was sicherlich auch damit zu tun hat, dass die einzelnen Verfahren deutlich aufwendiger und komplizierter werden.

Wir werden teilweise ja nicht mehr nur mit Aktenordnern überfrachtet, sondern es werden Festplatten mit mehreren Terabytes an Daten abgeliefert, die wir erst alle auswerten müssen. Und es wird intensiver gerungen. Das ist das natürlich das gute Recht der jeweiligen Verteidigung in den Strafverfahren. 

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Unfassbare Datenmengen und unzählige Beschuldigte gibt es ja auch in den verschiedenen Missbrauchs-Komplexen. Wie reagiert das Landgericht darauf? 

Es gibt Planungen, eine zweite Jugendschutzkammer einzurichten, weil einfach die Kapazitäten nicht mehr reichen. In dem Bereich wird es immer komplexer, schwieriger und einfach widerwärtiger, was an inhaltlichen Verfahren kommt. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen hat das ja zu einem Ermittlungsschwerpunkt gemacht. Es ist wirklich ein ganz furchtbarer Bereich von Straftaten und ich bin voller Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen bei Polizei, Staatsanwaltschaft und auch hier im Hause, die diese Verfahren bearbeiten. 

Kann man es sich als Richter aussuchen, ob man diese Fälle bearbeitet oder nicht? 

Richterinnen und Richter müssen grundsätzlich bereit sein, alles zu machen. Das ist die Kernaufgabe, und das Präsidium kann diese Aufgaben jedem zuweisen. Allerdings machen wir das natürlich immer im Einvernehmen mit den Kolleginnen und Kollegen. Und ich bin mit dem Präsidium der festen Überzeugung, wenn jemand aus besonderen familiären Gründen oder durch Vorbelastung sagen würde, ich kann in diesem Bereich nicht tätig sein, dann wäre es auch nicht hilfreich und sachgerecht, ihn oder sie dort tätig werden zu lassen. 

Derzeit läuft unter immensen Sicherheitsvorkehrungen das Verfahren gegen den Reemtsma-Entführer Thomas Drach. Wie sehr verfolgen Sie solche großen Strafprozesse vor dem Landgericht? 

Wenn sich die Gelegenheit für mich ergibt, dann schaue ich auch neugierig bei solchen Verfahren vorbei. Bei den großen Strafverfahren ist meine Kernaufgabe aber, im Vorfeld sicherzustellen, dass diese Verfahren überhaupt durchgeführt werden können. Dass der Sitzungssaal zur Verfügung steht, die Technik funktioniert. Und dazu gehört bei Hochsicherheitsverfahren auch die Kommunikation mit dem Polizeipräsidenten zwecks Amtshilfe.

Für den Neubau brauchen für auch dringend bauliche Strukturen, die den Erfordernissen entsprechen, die man für diese Verfahren braucht. Das sind ja jetzt massive Einschränkungen für die Beschäftigten, für die Rechtsuchenden, auch für die Anwälte und vor allen Dingen für die Bürgerinnen und Bürger um uns herum, die hier wohnen. Und das kann durch einen modernen Neubau auf ein Mindestmaß reduziert werden. 

Oft hört man, Kölner Richter würden im Vergleich zu anderen Städten oder Bundesländern milder urteilen. Wie kommt das? 

Das sind schlicht und ergreifend Vorurteile. Anders kann ich es nicht sagen. Die Kölner Richter urteilen, so wie alle Richterinnen und Richter, immer tat- und schuldangemessen, so wie es das Gesetz vorsieht. Ich vermag einen irgendwie gearteten Nord-Süd-Ost-West-Konflikt, was die Strafmaße angeht, nicht zu sehen.

Mittlerweile generiert sich der juristische Nachwuchs ja auch nicht mehr aus einer Region oder einem Bundesland. Wir haben Kolleginnen und Kollegen aus den östlichen, aus den südlichen und nördlichen Ländern übernommen, und wir haben mittlerweile eine ganz bunt gemischte Richterschaft. Da lässt sich durch die Herkunftsprägung keine Besonderheit mehr feststellen.

Das Gespräch führte Hendrik Pusch.

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