Einer der letzten Auftritte bei der Humba-Party (links) – Wilma Meyer auf ihrem 90. Geburtstag mit Márcia Ramalho von Humba Efau
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Wilma Meyer war Präsidentin der berühmten Pudelbande
Nun ist sie im Alter von 97 Jahren gestorben – ein Nachruf
Köln – „Wat sollen wir denn im Altersheim, bei Appelmus und Haferschleim?“ „Mer jonn nit heim, mer han noch Doosch, mer blieve he.“ Ihre Stimme klang laut und klar, schnurgerade flogen die Worte aus ihr heraus. Frotzelnde und trotzige, manchmal derbe, garantiert witzige, manchmal politisch unkorrekte, immer beseelte Sätze und Liedzeilen.
Wilma Meyer sprach und sang Kölsch und Hochdeutsch gemischt, wie es gerade passte, als Getränk mochte sie Kölsch nicht so gern, „lieber roten Genever, um die Kehle zu ölen“, sagte sie vor einem Auftritt mit ihrer Pudelbande, kippte den Schabau und lachte herzhaft.
Mit 85 Tanzclub für Senioren gegründet
Wer Wilma Meyer sah und hörte, den wunderte es nicht, dass sie noch mit 85 den Kalker Tanzclub Fidele Senioren gründete, dass sie die Präsidentin der Pudelbande war, dieser schon zu Lebzeiten legendären Clique lebenshungriger Witwen, die sich seit 1970 in einer Wirtschaft an der Olpener Straße in Höhenberg traf, um zu kegeln und frivole Spott-, Trink-, Küchen- und Karnevalslieder zu singen. Was an sich ja schon famos genug ist für eine Ü-70-Truppe. Nebenbei widerlegten sie noch das Klischee, frau müsse gebildet sein, um selbstbewusst und emanzipiert zu sein.
Die verstorbene Wilma Meyer (ganz links) sang mit den anderen Mitgliedern der Pudelbande bei vielen Veranstaltungen.
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Für sich blieben sie, bis Jan Ü. Krauthäuser die Frauen 1993 eher zufällig entdeckte. Krauthäuser, Erfinder der sagenhaften Humba-Parties für Weltmusik und kölsche Lieder, recherchierte über die Ursprünge der Kölner Karnevalsmusik und war entzückt von Wilma und den anderen Weibern, die wilde Krätzcher schmetterten, von denen sie manchmal selbst nicht wussten, wo sie herkommen, bis sich eines Tages, als sie schon bekannter waren, die Verwertungsgesellschaft Gema meldete und 3000 Euro forderte. „Wat wulle die? Ich weeß doch ja nit, wat dat is, die Jema“, sagte Wilma. Bei der RTL-Tanzshow „Let’s dance“ sammelte man für die Pudelbande. Die alten Frauen, die Lieder vom Trinken, Arbeiten und von ihren guten Figuren sangen, mussten bleiben. Und in ihrer Mitte die Frau, die den Ton angab: Wilma Meyer.
Auftritte mit den Bläck Fööss
Nach den ersten umjubelten Auftritten mit Musikern von Humba Efau stellte Jan Krauthäuser Kontakte zu den Bläck Fööss her, Wilma und die anderen Frauen sangen mit Stoppok, Tommy Engel, dem Markus-Reinhardt-Ensemble und bei der Stunksitzung, sie nahmen eine CD auf, waren im Fernsehen bei der „Schnieke Prunksitzung“ zu sehen und die Heldinnen eines Dokumentarfilms („Rüstig, lustig, kölsch“, WDR).
Die Wahlkölnerin Maryam Akhondy sang mit ihrer exiliranischen Frauenmusikgruppe Banu Lieder der Pudelbande auf Farsi und Kölsch, sie standen zusammen auf der Bühne, zwei Jahre vor ihrem Tod besuchte Akhondy Wilma noch zu Hause. „Ich habe sie als Menschen in Erinnerung, der nicht nur gesagt hat, dass er zufrieden ist, sondern es auch wirklich war“, sagt Akhondy. „Wilma hatte viel erlebt, den Krieg, den Tod von zwei Männern.
Lieder von einfachen, emanzipierten Frauen
Sie hatte das Leben in seiner Freude und seinem Leiden verstanden und akzeptiert. Sie war einfach und ist ein bisschen unschuldig und kindlich geblieben. Das war anrührend, das macht ihr Bild weiter lebendig.“ Akhondy entdeckte Parallelen zwischen traditioneller persischer Frauenmusik und den Liedern der Pudelbande: Beide handeln von selbstbewussten, ja, emanzipierten Frauen, vom Krieg und von Problemen mit Männern, die hie und da bespöttelt werden.
Einer der letzten Auftritte bei der Humba-Party
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„Dass man das auf Kölsch besingen kann als Iranerin, hat mich der Kölner Kultur viel näher gebracht. Das habe ich auch Wilma zu verdanken“, sagt sie. Als Wilma Meyer Maryam Akhondy in ihrem letzten Gespräch sagte, ihr Kölsch sei gut verständlich, sei das „ein Ritterschlag“ gewesen.
Vorbild für Krätzcher-Sänger
Der Kölner Philipp Oebel, der wohl einzige Kölner Sänger, der allein mit Krätzcher auftritt, sagt, ihn hätten höchstens noch die Fööss ähnlich inspiriert wie die Pudelbande. 2001 stand er zum ersten Mal mit den alten Frauen auf der Bühne – Wilma und Co. motivierten ihn, in der Folge auch allein alte Kölner Lieder zu singen.
Josefine, Christel, Maria, Else, Ida und Wilma wurden auf ihre alten Tage ein kölscher Hit, im wahrsten Sinne – die Fööss hörten das Lied „He deit et wih“ bei der Pudelbande, nahmen es neu auf und landeten damit auf Platz 34 in den deutschen Charts. Die Frauen – bitte nie, nie „Damen“! – waren auf jeder Sitzung die Hauptattraktion. In der Mitte: Wilma Meyer.
„Sie sah immer aus wie aus dem Ei gepellt“
In der Kneipe thronte Wilma am Tischende. Die Haare, jeden Mittwoch vor dem Tanztee frisiert, rochen nach Haarlack, die Haut nach Parfum, die Lippen leuchteten rot, „sie sah immer aus wie aus dem Ei gepellt“, sagt ihre Nichte Gisela Ischganeit, die für Wilma eine Tochter war. „Und saß da wie die Queen.“ „Ich bin fast immer die Königin“, sagte Wilma in einem Interview.
Sie meinte Kegel-Königin, doch war sie auch eine Königin von Köln, mindestens von Höhenberg, mit fast so vielen Schuhen und Täschchen wie die Queen, kerzengeradem Rücken und felsenfestem Selbstvertrauen.
Es wusste nur niemand, dass sie eine Queen war, bis dieser bunte Vogel namens Krauthäuser kam, der sich von brotloser Kunst in Form von Musik aus aller Welt zu ernähren schien und einen Narren an den Frauen gefressen hatte. „Endlisch entdeck’ misch ens einer“, sagte Finchen. „Et is schon schön, dat dat dene Lück jefällt“, sagte Wilma.
„Es ist wunderbar, wie vielen Menschen Wilma und die anderen Frauen Mut gemacht haben. Die Pudelbande hat gezeigt, dass man im Alter noch unglaublich viel machen kann“, sagt Jan Krauthäuser. „Wilma hat so viele Menschen mit ihrer Lebensfreude mitgerissen.“
Frühe Schicksalsschläge
Ein sonniges Gemüt hat Wilma schon als Kind ausgezeichnet. Sie hat es gebraucht. Ihre Mutter starb, als sie fünf war, zwölf war sie, als der Vater starb. Im Krieg wurde die Familie ausgebombt und floh nach Thüringen, nach dem Krieg wohnte Wilma mit ihrem Mann, den sie auf einer Karnevalssitzung kennengelernt und mit 17 geheiratet hatte, und den Schwiegereltern in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Höhenberg. Dass ihr Kinderwunsch sich nicht erfüllte, nahm sie hin – und bemutterte eben die Nichte Gisela. Wilma schenkte ihr Rollschuhe, die den Eltern zu gefährlich erschienen und buk ihr Plätzchen, wenn die Eltern ihr nur einen Apfel mitgegeben hatten.
Gedanken an Freitod
Eine „kleine, große Frau“ nennt Krauthäuser Meyer, und schwärmt von ihrem hellen Wesen. 1972 verfinsterte sich dieser leuchtende Mensch plötzlich und wäre fast erloschen. Als ihr Mann Robert, ein glühender Fußball-Fan, mit dem sie die größte Zeit des 1. FC Köln Anfang der 1960er Jahre in den Stadien erlebte, im Urlaub am Bodensee im Hotel zusammensackte und auf der Stelle an einem Herzinfarkt starb, dachte sie daran, 50 Valium-Tabletten zu nehmen und mit einer Flasche Asbach herunterzuschlucken.
Wilma Meyer auf ihrem 90. Geburtstag mit Márcia Ramalho von Humba Efau
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Sie erzählte einem Arbeitskollegen, wie sinnlos das Leben sei ohne ihre Jugendliebe, die ihre Liebe geblieben war. Der Kollege bog sie zurecht: „Bei einer Selbstmörderin im Grab möchte ihr Mann nicht liegen.“
Mit zwei verstorbenen Männern im Grab
Der Satz ging ihr nahe, „danach habe ich mich zusammengenommen“, sagte Wilma. Da stand sie vor dem Grab auf dem Mülheimer Friedhof, in dem da auch schon ihr zweiter Mann lag, den sie fünf Jahre nach dem Tod von Robert kennengelernt hatte. „Da hatte ich irgendwann Zweifel, ob das so richtig ist mit den zwei Männern im Grab. Ich wollte es rückgängig machen“, sagte sie.
Der Pfarrer habe ihr gesagt: „Ihr Mann ist seit 20 Jahren tot, da unten ist nix mehr. Wenn Sie weiter an die beiden denken, leben die beiden in ihnen weiter.“ Der zweite Mann blieb also beim ersten unter der Erde. Bis Ende November 2017 auch Wilma dazukam, blieb noch viel Zeit.
Also sang und tanzte sie, trank und schwatzte. Beim Tanzen stürzte sie zweimal schwer. Nach einem Oberschenkelhalsbruch war sie – mit 91 – für die eigene Wohnung nicht mehr mobil genug. Die letzten fünf Jahre verbrachte Wilma dann doch im Altersheim. Im Sankt-Theodor-Haus in Vingst saß Wilma am Tischende. Wer die Queen war, war gleich klar.