Millionenstadt ohne RegierungSo funktioniert die Politik in Köln

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Blick in den Kölner Ratssaal: Links sitzen die Vertreter der Parteien, rechts die Spitzenbeamten der Stadtverwaltung. Im Vordergrund sieht man die Beobachter der Medien.

  • Am 27. September wählt Köln einen neuen Oberbürgermeister oder Oberbürgermeisterin.
  • Die Politik in dieser Stadt wird von einem komplizierten Miteinander zwischen ehrenamtlichem Rat und Profiverwaltung geprägt.
  • Wofür kandidieren die eigentlich alle? Und wer übernimmt welche Aufgaben? Wir geben einen Überblick.

Köln – Der Eindruck täuscht nicht: Noch nie hingen so viele verschiedene Politiker-Porträts an Bäumen, Laternen und Plakatwänden. „Lokalpolitik hat viele Gesichter“, hat eine kleine Partei auf ihre Plakate geschrieben – das ist ganz offensichtlich richtig. Allerdings sorgt die Bilderflut auch dafür, dass der Wähler schnell den Überblick verliert. Wofür kandidieren die eigentlich alle?

Das politische System einer Stadt wie Köln ist nicht unkompliziert. Anders als auf Bundes- oder Landesebene gibt es keine „Regierung“ und somit auch keine „Regierungskoalition“. Und streng genommen ist der Stadtrat auch kein „Parlament“, da er keine Gesetze erlassen darf. Im Gewirr der Kompetenzen und Zuständigkeiten ist es nicht einfach, immer klar zu sagen, wer nun für was verantwortlich ist. Stadtrat und Stadtverwaltung sind auf gutes Miteinander angewiesen. Das wichtigste Bindeglied ist die Oberbürgermeisterin, die sowohl Chefin der Stadtverwaltung wie auch Vorsitzende des Stadtrates ist.

Erst seit 1999 wird dieser wichtige Posten durch eine Wahl der Bürger bestimmt. Vorher war ein vom Stadtrat gewählter Oberstadtdirektor Chef der Verwaltung. Und ein nur mit magerer Aufwandsentschädigung bedachter ehrenamtlicher Oberbürgermeister hatte sich um die repräsentativen Pflichten und die Leitung der Ratssitzungen zu kümmern. Diese Positionen sind seit 1999 vereint. Der Oberbürgermeisterjob ist seit dem ein hauptamtlicher.

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Hobby-Politiker entscheiden über Kölns Zukunft

Der Stadtrat ist dagegen weiter ein Gremium für engagierte Ehrenamtler mit Mini-Aufwandsentschädigung geblieben. Nicht wenige halten das angesichts der Aufgaben in einer Millionenstadt für falsch.

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Nur einige Spitzenfunktionäre sind faktisch Profipolitiker, indem sie über einen Geschäftsführer-Job, ein Landtagsmandat oder Sonderregelungen mit ihren Fraktionen abgesichert wurden. So sitzen 90 mehr oder weniger ehrenamtlich tätige Politiker im Stadtrat einem riesigen hauptamtlichen Apparat gegenüber – leicht vorstellbar, welche Auswirkungen das auf den Ablauf von politischen Entscheidungsprozessen hat.

Der Stadtrat soll wichtige Weichen für die Zukunft stellen und dann die Umsetzung von Beschlüssen begleiten und kontrollieren. Damit hätte er genug zu tun. Doch in der kommunalpolitischen Praxis befasst er sich tatsächlich häufig mit einer Vielzahl von Kleinigkeiten. 

Schwierige Aufgabentrennung zwischen Rat und Verwaltung

Der Rat spiele zu häufig Verwaltung und die Verwaltung mache zu häufig Politik, hatte Oberbürgermeisterin Henriette Reker vor der letzten Wahl im Wahlkampf kritisiert. Die letzten Jahre belegen, dass es schwer ist, so eine klare Trennung hinzubekommen. Das liegt nicht nur an den Akteuren in Rat und Verwaltung. Es liegt auch an den Rahmenbedingungen, die die nordrhein-westfälische Kommunalverfassung vorgibt.

Einige Kölner Parteien verschwunden

Der Kölner Stadtrat hat 90 Sitze, hinzu kommt die Oberbürgermeisterin mit eigenem Stimmrecht. Da es auf kommunaler Ebene keine Fünf-Prozent-Hürde gibt, kommen auch kleine Gruppen leicht ins kommunale Parlament. Die aktuelle Zusammensetzung des Rates unterscheidet sich deutlich von der nach der letzten Kommunalwahl. In den vergangenen fünf Jahren hat es einige Veränderungen gegeben. 2015 errang die SPD 26 Sitze, zuletzt hatte sie 27. Zudem sind gleich drei Parteien, die damals den Einzug in den Stadtrat schafften regelrecht verschwunden.

2015 gewannen sowohl die „Piraten“ und die Wählergruppe „Deine Freunde“ wie auch die rechtsextreme Partei „Pro Köln“ jeweils zwei Sitze im Stadtrat. „Pro Köln“ gibt es nicht mehr, die beiden Ex-Mitglieder der vom Verfassungsschutz beobachteten Partei firmierten zuletzt als Gruppe „Rot-Weiß“. An Debatten nahmen sie praktisch nicht mehr teil.

Die Vertreter von „Deine Freunde“ gründeten die neue Ratsgruppe „Die Guten“, gaben aber die von „Deine Freunde“ bei der letzten Wahl errungenen Mandate nicht an die Partei zurück. Ähnlich verhielten sich die beiden Piraten im Stadtrat. Einer wechselte zur SPD, die andere machte als Parteilose weiter. 

Nicht nur der Job des Oberbürgermeisters vereint eine politische Funktion mit der – zumindest theoretisch möglichen – unpolitischen Leitung der Stadtverwaltung. Das gilt auch für den Stadtvorstand, zu dem neben der OB zur Zeit sieben Dezernenten gehören. Das sind „politische Wahlbeamte“. Sie werden vom Stadtrat gewählt, ihre achtjährige Amtszeit läuft unabhängig von der fünfjährigen Wahlperiode von Stadt rat und Oberbürgermeister. „Minister“ wie auf Bundes- oder Landesebene gibt es nicht.

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Der Stadtvorstand ist das zentrale Entscheidungsgremium aufseiten der Verwaltung. Gibt es dort unterschiedliche Meinungen, stellt der OB oder die OB eine „einheitliche Verwaltungsmeinung“ her, die dann bindend ist. Die Dezernenten haben die Möglichkeit, nach außen deutlich zu machen, wenn sie eine abweichende Meinung haben. Der Ort dafür ist der Hauptausschuss des Rates. In der Praxis kommt so etwas fast nie vor. In anderen Bundesländern gibt es andere Modelle für die kommunale Demokratie. Da lässt sich die Frage nach Verantwortlichkeiten leichter beantworten als in den Städten Nordrhein-Westfalens. Die unklare Rollenverteilung hier ist vom Gesetzgeber gewollt. 

Parteien bilden Koalitionen wie in einem Parlament

Nach dem Krieg hatte man eine recht idealistische Vorstellung von der Funktionsweise einer kommunalen Demokratie. Parteipolitik sollte nicht so wichtig sein wie das gemeinsame Ringen um den besten Weg. Die Praxis in den letzten Jahrzehnten – egal, wer die Mehrheit hatte oder wer OB war – sah anders aus. So haben sich die politischen Akteure immer wieder dazu entschlossen, wie in einem richtigen Parlament Koalitionen zu verabreden. Seit der Änderung der Kommunalverfassung 1999 hat es verschiedene Bündnisse unter Beteiligung von CDU, SPD, FDP und Grünen gegeben. Die Grünen waren fast immer dabei, mal als Partner der CDU, mal als Partner der SPD. In den letzten Jahren gab es im Stadtrat ein schwarz-grünes Bündnis, dem allerdings zwei Stimmen zur Mehrheit fehlten. Als kleiner Partner verhalf CDU und Grünen vor allem bei den wichtigen Verabredungen zur Verabschiedung des jährlichen städtischen Finanzplans die kleine Ratsgruppe „Gut“ zur Mehrheit. 

Weichen werden nicht im Kölner Stadtrat gestellt

Will man den Entscheidungsprozess in der Stadt beschreiben, muss man außerhalb des Stadtrats beginnen. Der Stadtrat ist der Ort, wo der Prozess mit einer letzten Abstimmung endet. Fast immer ist aber vorher klar, wie es ausgeht, weil alles ausführlich in Ausschüssen, interfraktionellen Besprechungen oder Koalitionsgremien verhandelt wurde. Die ersten Weichenstellungen erfolgen in den Arbeitskreisen der Fraktionen. Vor der ersten öffentlichen Abstimmung, die meist in einem der 19 Fachausschüsse stattfindet, steht meist fest, wohin die Reise geht.

Der zweite für eine Kommune wie Köln typische Entscheidungsprozess nimmt seinen Anfang in den Ämtern der Stadtverwaltung. Die meisten Beschlüsse, die der Stadtrat fasst, gehen auf Vorschläge der Verwaltung zurück, die Mitarbeiter in den Fachämtern vorbereitet und formuliert haben. In die politischen Gremien kommt eine solche Vorlage aber nur, wenn sie die Oberbürgermeisterin oder ein Oberbürgermeister „schlussgezeichnet“ hat – auch das beschreibt die exponierte Stellung im Entscheidungsprozess.

Eine politische Entscheidung ist das eine; ob, wann und wie sie umgesetzt wird, ist damit aber noch nicht klar. Die Gründe dafür, dass manches ewig dauert und einiges sogar in Schubladen verschwindet, sind vielfältig: Mal blockiert ein Dezernent, mal stellt sich ein Amt quer, nicht selten sind andere Dinge wichtiger. Zunehmende bürokratische Vorschriften erschweren die Umsetzung. Und auch der Mangel an Fachpersonal zwingt zu Verschiebungen.  

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