Gerichtspräsident greift einKölner Prozess um Glukose-Tod von Mutter und Baby soll endlich starten

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Die Heilig-Geist-Apotheke in Köln-Longerich direkt am Heilig-Geist-Krankenhaus

Die Heilig-Geist-Apotheke in Köln-Longerich direkt am Heilig-Geist-Krankenhaus

Der schreckliche Fall um die Abgabe verunreinigter Glukoseabfüllungen – eine Mutter und deren Baby starben – soll nach dem Willen des Kölner Landgerichtspräsidenten Roland Ketterle nun mit Nachdruck vorangetrieben werden. 

Es war ein Skandal um die Abgabe verunreinigter Glukoseabfüllungen, die zur Herstellung von Glukosetoleranztests bei Schwangeren verwendet werden. Eine Mutter und ihr Baby starben. Einer Apothekerin der Heilig-Geist-Apotheke im Kölner Stadtteil Longerich wird fahrlässige Körperverletzung, versuchter Mord und Körperverletzung vorgeworfen. Der Fall stammt aus dem Jahr 2019.

Über die Zulassung der Anklage, die vor rund zwei Jahren erhoben wurde, soll nun rasch entschieden werden. Wird die Anklage zugelassen, dann soll im Jahr 2023 definitiv der Prozess starten. „Wir können nicht hinnehmen, dass das nicht verhandelt wird, das beschäftigt uns sehr“, sagte Landgerichtspräsident Ketterle. „Es geht um die Angehörigen, die Hinterbliebenen und das darf nicht mehr länger dauern.“

Landgericht Köln: Strafkammern sind überlastet

Als Grund der Verzögerung nannte Ketterle eine Überlastung der Schwurgerichtskammern des Landgerichts. Zudem gingen Haftsachen vor und die Apothekerin befindet sich auf freiem Fuß. Die knappen Kapazitäten seien generell ein Problem.

Insbesondere bei Drogendelikten explodierten die Fallzahlen, entsprechende Strafkammern seien aufgestockt worden und auch das reiche noch nicht.

Landgerichtspräsident Roland Ketterle steht vor dem Kölner Justizgebäude an der Luxemburger Straße.

Roland Ketterle, Präsident des Kölner Landgerichts

Köln: Sorgfaltswidrige Verwechslung von Gefäßen

Im ersten Fall gehen die Ermittler davon aus, dass die Apothekerin unbewusst durch eine sorgfaltswidrige Verwechslung von Standgefäßen Glukose-Monohydrat mit dem Betäubungsmittel Lidocainhydrochlorid verunreinigte, das später als Glukoseabfüllung in der Apotheke an Kundinnen ausgegeben wurde.

„Während eine Kundin den bitteren Geschmack der mit der verunreinigten Glukose hergestellten Lösung erkannte und deswegen am 17.09.2019 in der Praxis ihres Gynäkologen nur einen Schluck der Lösung trank, trank die andere Geschädigte am 19.09.2019 gegen 9.30 Uhr in der Praxis des gleichen Gynäkologen die Lösung ganz aus“, teilte das Landgericht Köln bereits 2020 mit.

In der Folge wurde die Frau bewusstlos in ein Krankenhaus eingeliefert und musste ab 10 Uhr reanimiert werden. Gleichzeitig wurde mit einem Notkaiserschnitt ihr Kind zur Welt gebracht, das zu diesem Zeitpunkt bereits unter Atemstillstand und hypoxischen Gehirnschaden litt und reanimiert werden musste.

Köln: Mutter und Baby sterben nach der Vergiftung

Das Kind verstarb nach dem Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft am nächsten Tag an seiner Frühgeburtlichkeit oder an einer Lidocainvergiftung, die Mutter verstarb noch am Nachmittag des selben Tages an einer Lidocainvergiftung. Die andere Geschädigte, die nur ein Schluck der Lösung zu sich genommen hatte, erholte sich nach einer stationären Aufnahme rasch von der Lidocainvergiftung und konnte das Krankenhaus am nächsten Tag verlassen.

Neben fahrlässiger Tötung nimmt die Staatsanwaltschaft im Fall der Verstorbenen auch versuchten Mord an. Demnach habe die Apothekerin nach einer Rückmeldung aus der gynäkologischen Praxis und einer Ärztin aus dem Krankenhaus spätestens um die Mittagszeit des 19. September 2019 wissen müssen, dass bei den später Verstorbenen eine Lidocainvergiftung als Ursache für den schlechten Gesundheitszustand in Betracht kommt.

Köln: Verdeckungsabsicht als Mordmerkmal

Gleichwohl habe die Apothekerin eine entsprechende Mitteilung an das behandelnde Krankenhaus unterlassen, wodurch eine gezielte Behandlung verhindert worden sein soll.

Dies hätte nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft deren Rettungschancen erhöhen können. Die Angeschuldigte habe deswegen „billigend in Kauf genommen“, dass die Verstorbenen auch aufgrund ihrer unterlassenen Mitteilung (früher) versterben könnten.

Warum nur eine Anklage wegen versuchten Mordes? „Dass eine solche Mitteilung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Rettung der Verstorbenen geführt hätte, davon geht auch die Staatsanwaltschaft nicht aus. Weil dieser Umstand nicht feststeht, hat sie Anklage wegen versuchten Mordes erhoben", obwohl der Tod tatsächlich eingetreten sei, erklärte Prof. Jan F. Orth, Sprecher des Kölner Landgerichts.

Köln: Das sagt die Verteidigung der Apothekerin

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft entbehre jeder Grundlage, teilte Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen mit. „Die Vorwürfe sind falsch und werden entschieden zurückgewiesen“, so Douglas und es sei befremdlich, dass sich die Staatsanwaltschaft an entscheidenden Stellen ihrer Argumentation auf Spekulationen stütze, „statt auf eine gründliche und vorurteilsfreie Auswertung der Akten“.

Es sei laut Akten nicht geklärt, wie die Verunreinigung mit dem Betäubungsmittel entstanden sei und damit auch nicht, wer dafür verantwortlich ist. Die Mandantin habe von Anfang an die Ermittlungen unterstützt und nichts verheimlicht, vielmehr habe sie das betroffene Glukosegefäß sofort zur Untersuchung herausgegeben.

Anwalt: Vorwurf des versuchten Mordes abwegig

Es sei abwegig, dass die Apothekerin den Tod der Kunden billigend in Kauf genommen hätte. Es gebe laut Kanzlei wohl keinen erfahrenen Heilberufler, zu der auch die Mandantin zähle, der eine Verwechslung verschweigen würde. Er würde vielmehr alles unternehmen, die Einnahme eines falschen Medikaments seitens des Kunden zu verhindern.

Die Beteiligung der Apothekerin am Geschehenen fasste Anwalt Douglas so zusammen: „Sie hat 50 Gramm Glukose aus einem Vorratsbehältnis abgefüllt. Eine Pflichtverletzung, gleich welcher Art, lag bei der Abfüllung nicht vor.“ Der Sachverhalt sei tragisch, könne aber nicht zu einer Verurteilung führen. Die Verteidigung zeige sich zuversichtlich, „dass sich die Unschuld unsere Mandantin im weiteren Verfahren erweisen wird“.

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