Köln früher und heuteWie aus einer Kirche auf der Moltkestraße ein Bürohaus wurde

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Schon 1906 war die Ar­chi­tek­tur der Kirche an der Ecke Molt­ke­stra­ße/Jü­li­cher Straße au­ßer­ge­wöhn­lich. Der Neubau Anfang der 90er Jahre nimmt mit seinem Stahl­ge­rüst die Giebel der alten Kirche auf.

Köln – Der Bau an der Ecke Jülicher Straße und Moltkestraße nimmt sich ungefähr so zurück wie ein Song von Modern Talking. Die gespiegelten Fassaden mit der roten Stahlumrahmung verströmen derart den grellen Pop der 1980er Jahre, dass kaum jemand den Blick abwenden kann. Dabei steckt mehr hinter der Architektur in der südlichen Neustadt als pures Spektakel, sie gehört vielmehr zur Avantgarde.

Schon die Auferstehungskirche, auf die der heutige Bürokomplex äußerlich Bezug nimmt, war außergewöhnlich. Mit einer Mischung aus romanischen Elementen und Anleihen am Jugendstil betrat Architekt Peter Recht Anfang des 20. Jahrhunderts bislang unerforschtes Terrain. „Das war völlig revolutionär für 1906“, sagt der ehemalige Kölner Stadtkonservator Ulrich Krings: „Das hätte die römisch-katholische Kirche niemals zugelassen.“ Die Kölner Bistumsverwaltung habe regelrecht verboten, den damals modernen Jugendstil bei Kirchenbauten anzuwenden.

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Das dürfte die Bauherren an der Moltkestraße nicht gestört haben, im Gegenteil. Die altkatholische Gemeinde, die sich dort an prominenter Stelle einen Sakralbau mit markant gebrochenen Giebeln gönnte, gehörte zur katholischen Reformbewegung, die sich in Folge des Ersten Vatikanischen Konzils von 1869/ 1870 gegründet hatte. Die dort beschlossene Unfehlbarkeit des Papstes in Fragen der Moral und des Glaubens und seine Entscheidungsgewalt über die gesamte Weltkirche wollten etliche Gläubige nicht mittragen. Sie wurden aus der Kirche ausgeschlossen und gründeten eigene Gemeinden.

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Originelle Lösung für den „Geiste des Ortes“

„Die Bewegung hatte einen enormen Erfolg im wirtschaftsliberalen katholischen Bürgertum“, sagt Ulrich Krings – vor allem in katholisch geprägten Städten wie Köln. Die Mitglieder der Kölner Gemeinde waren wohlhabend, entsprechend stattlich fiel ihre Kirche aus. „Damit zeigten die Altkatholiken, dass sie zum einen die Moderneren waren und sich zum anderen vom Stildiktat der römisch-katholischen Kirchenverwaltung des Kölner Bistums abgekoppelt haben“, so Krings. Den Weg zur poppigen Postmoderne hat der Kunsthistoriker Ende der 1980er, Anfang der 1990er intensiv begleitet.

Die Situation der altkatholischen Gemeinde hatte sich zu diesem Zeitpunkt enorm verändert. Das Kirchenschiff war im Zweiten Weltkrieg unrettbar zerstört und danach durch eine Notkirche auf historischem Sockel ersetzt worden. Das Pfarrhaus und der große Turm standen zwar noch, der Sanierungsstau war jedoch groß. „Als es der Gemeinde finanziell nicht mehr so gut ging, wollte sie das Grundstück verkaufen, neu bebauen lassen und sich im neuen Komplex einen Kirchensaal errichten lassen“, sagt Ulrich Krings, der Ende der 1980er Jahre noch stellvertretender Stadtkonservator war. Von dem Geld sollte auch die Turmsanierung finanziert werden.

Zunächst habe die Gemeinde für das Grundstück an der Kreuzung Pläne für einen sechsgeschossigen Winkelbau vorgelegt, der den denkmalgeschützten Kirchturm in den Hinterhof verbannt hätte. Es wäre ein „Klotz wie überall in der Neustadt“ geworden, sagt Krings. Doch der „genius loci“, der Geist des Orts mit seiner Geschichte, habe nach einer originelleren Lösung gerufen. Auch die Kreuzung mit ihren Blickachsen Richtung Barbarossaplatz und Brüsseler Platz sei zu prominent, um langweilig bebaut zu werden.

Vorbildhaftes Projekt

Die originelle Idee kam schließlich von Architekt František Sedláček. Er schlug vor, mit einem roten Stahlgerüst die Giebel der alten Kirche nachzuempfinden und damit dem Bürokomplex Kontur zu geben. „Das war eine Erinnerung an die städtebauliche Situation der Vorkriegszeit, aber modern genutzt“, sagt Ulrich Krings. Und damit ein zweites Mal revolutionär. Zwar wurde das 1993 fertiggestellte Gebäude mit den integrierten Gemeinderäumen von Kritikern der Postmoderne belächelt und das Erzbistum bemängelte die Diskrepanz von Form und Funktion. Für Köln allerdings habe die optische Wiederauferstehung der Auferstehungskirche neue Türen aufgestoßen, sagt Ulrich Krings. Für die Kranhäuser des Rheinauhafens etwa, die ebenfalls mit der Tradition des Ortes spielen, war das Projekt der altkatholischen Gemeinde durchaus vorbildhaft.

Die Nachempfindung eines historischen Baus mit modernen Mitteln sei seitdem nicht mehr undenkbar, so Krings. Nur die verspiegelte Fassade sei vielleicht doch etwas zu viel Zeitgeist gewesen.

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