Der „krasseste Abend im Leben“?Wie eine Nacht im Kölner Bootshaus wirklich ist

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Boothaus Symbol dpa 300719

Das Kölner Bootshaus zählt laut Umfragen zu den beliebtesten Clubs der Welt.

  • Das Bootshaus in der Deutzer Werft liegt laut einer Umfrage weltweit auf Platz 8 der beliebtesten Clubs. In Deutschland ist er die Nummer eins.
  • Redakteur Jonah Lemm hat den Club in der Deutzer Werft besucht.
  • Eine Nacht mit grölenden Fans, spontanen Tattoo-Gags und leuchtenden Fußball-Trikots. Aber wirklich der „krasseste Abend im Leben“?

Köln-Deutz – Die Zigaretten waren die letzte Ausrede. Jetzt, um 3.32 Uhr, sind sie leer. Unser Bargeld auch. Drinnen fährt die Achterbahn gerade wieder an, reißt die Menge in langsamen Vierteln in die Höhe, dann schneller, dann noch schneller, dann noch noch schneller. Wir müssten da jetzt rein. Unausgesprochenes Clubgänger-Gesetz. Draußen sind nur die, die rauchen, weil man drinnen ja nicht darf. Aber rauchen können wir ja jetzt nicht mehr. Der bootshauseigene Geldautomat hatte noch einen Zwanziger übrig. Der bootshauseigene Zigarettenautomat aber nimmt nur passende Bezahlung. Geld wechseln? Könne er nicht, sagt der Barkeeper. Man müsse schon etwas kaufen. Ich höre meine Freundin „Jägermeister“ über die Theke schreien. „Ich mag keinen Jägermeister“, sage ich. „Ich habe auch nur einen bestellt“, sagt sie. Willkommen im Bootshaus.

18.41 Uhr: Am Nachmittag noch Vorfreude. Könnte doch lustig werden. Eine Nacht also soll ich in diesem Club auf der anderen Rheinseite verbringen, hat mir die Redaktion befohlen. Denn das Kölner Bootshaus ist, wenn man der Fachzeitschrift „DJ Mag“ glaubt, seit März der beste Club Deutschlands.

Niemand meiner Freunde geht ins Bootshaus. Dort spielen sie meistens EDM. Also in etwa die Musik, die bei „1Live“ läuft, nur lauter und mit weniger Gesang. Wer ins Bootshaus geht, so war immer unsere Vorstellung, mag auch Kirmes, den Geruch von Supermarkt-Deodorants und Augenbrauenpiercings.

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Hauptact heute Abend ist „DJ Snake“. Das bekannteste Lied hat über eine Milliarde Wiedergaben auf Spotify. Ich kenne es von „1Live“. Es gefällt mir nicht.

Das Bootshaus in der Deutzer Werft

Als ein früher Ort der Techno-Kultur eröffnete 1991 das Warehouse. Ableger wurde das heutige Bootshaus.

Im Ranking der weltweit besten Clubs des DJ Magazine belegte das Bootshaus 2013 Platz 48 – erstmal unter den Top-100.

Im Jahr 2018 wurde der Club auf Rang 11, in diesem Jahr weltweit auf Platz 8 und deutschlandweit auf Platz 1 gewählt.  

19.23 Uhr: Nervosität vor dem Spiegel. Ich war lange nicht mehr aufgeregt, bevor ich in einen Club gegangen bin. Das letzte Mal war wahrscheinlich das erste Mal, mit 16, Party des Abiturjahrgangs meines Gymnasiums. Damals zog ich mir ein weißes Polo-Shirt an und eine beigefarbene Hose, weil ich im Prä-Oberstufen-Leben dachte, „feiern gehen“, das wäre etwas Schickes: Geburtstage, Weihnachtsfeste, Konfirmationen. Erst später offenbarte sich mir, dass es bei dieser neuen Art des „Feierns“ keinen Anlass mehr gab, sondern nur einen Selbstzweck: Viel Wodka-Energy trinken und vielleicht später noch mit jemandem knutschen.

Ich habe nicht mehr viele Erinnerungen an diese Nacht, aber geknutscht habe ich mit niemandem. Stattdessen riss mir die Hose. Der Türsteher schmiss mich raus. Und nun, sieben Jahre später, beim Gedanken daran: pure Angst. Ich entscheide mich für eine weite Jeans. Sicher ist sicher.

23.30 Uhr: Meine Freundin und ich treffen uns in einer Bar am Südbahnhof, ich habe sie verpflichtet mitzukommen. „Und, sehe ich bootshausgenug aus?“, frage ich zur Begrüßung. Sie lacht mich aus. Dann bestellt sie zwei Bier und Wodka, auch aus Selbstschutz. Bevor der Alkohol wirkt, kommt der Zug. Die Strecke dauert 40 Minuten. Muss man wollen.

0.12 Uhr: Wir haben die Haltestelle nicht gefunden und den Bus am Deutzer Bahnhof verpasst. Also zu Fuß.

Operngänger auf Hollandrädern und „Konzert-Tickets“ für den Club

0.29 Uhr: Zwei Rentner überholen uns auf ihren Holland-Rädern. Kommen scheinbar gerade aus der Oper. Schon hier kann man den Bootshaus-Bass die Deutzer Nachtluft verprügeln hören, aber: sehen kann man noch nichts. Kein Schild, kein Blinklicht, kein Partyvolk, das verrät, dass sich da vorn der beste Club Deutschlands befinden soll. Vor 15 Jahren hat sich das Bootshaus an den Mülheimer Hafen verirrt und nun liegt es dort, zwischen Therme und Schifffahrtsamt, wie ein Kamikaze-Party-Kommando im Familien-Wellnessressort. Ein Ort für Kenner. Oder für Verkannte. Je nachdem. 

0.40 Uhr: Die Schlange ist kurz, wir sind spät, im Bootshaus kommt man früh. Auch, weil es sich lohnen soll, der Eintritt für den heutigen Abend kostet 39 Euro. Andere Clubs verlangen nicht einmal die Hälfte. Vor der Tür scannen Securitymänner die Eintrittskarten, die aussehen wie Konzertkarten. Mehr als die Hälfte der Besucher, sagen sie im Bootshaus, komme nicht aus Köln, sondern extra angereist. Exzess nach Kalender.

Wir dürfen rechts vorbei, für mein Experiment habe ich Gästeliste-Tickets bekommen. „Viel Spaß“, sagt der Türsteher. Er lacht nicht.

Bootshaus Schild dpa

Das Schild verrät nicht zwingend, dass hinter ihm der beliebteste Club Deutschlands schlummert.

0.51 Uhr: Es gibt drei Tanzflächen im Bootshaus, aber heute sind nur zwei geöffnet: der Mainfloor und die Dreherei. Die Blackbox bleibt zu, weil eh alle zu DJ Snake auf den Mainfloor wollen. Gerade spielt noch ein anderer DJ, warm machen muss er aber niemanden, auf der Tanzfläche herrschen subsaharische Temperaturen. Schwüler Nebel, Lichtblitze zischen. Beine zittern. Menschen werfen sich gegeneinander, ineinander, aufeinander. Ekstase und Vergessen. „Köln, seid ihr da? Habt ihr noch Bock?“ Jahaaa, wuhuuuu und ööööh.

2.00 Uhr: Draußen, im Innenhof, haben sie anlässlich des 15-Jährigen Jubiläums ein mobiles Tattoo-Studio aufgebaut. Das Stechen ist gratis. Es gibt drei Motive zur Auswahl: das Bootshaus-Logo, den Bootshaus-Schriftzug. Und den Bootshaus-Schriftzug in kursiv. Die Schlange ist sehr lang. Ein dünner Mann liegt auf einer der Liegen. Die Nadel surrt über seinen Unterarm. Er schaut auf sein Handy, dann entgleiten seine Gesichtszüge. „Scheiße, jetzt beginnt DJ Snake“, sagt er.

Die Nummer eins in Deutschland, die acht der Welt

2.10 Uhr: DJ Snake hat noch nicht begonnen, er verspätet sich. Neben uns zieht sich eine Frau vorsorglich ihre glitzernden Ballerinas aus. Ihr Freund trägt ein Fußballtrikot, auf dem hinten „DJ Snake“ steht. Und dann kommt da, unter großem Jubel, auf die Bühne: DJ Snake, mit Stirnband, einem T-Shirt, das im Dunkeln leuchtet und – Sonnenbrille. Smartphone-Kameras öffnen sich, als ob jetzt irgendwas passieren würde. Aber es passiert natürlich nichts, außer, dass DJ Snake einen Knopf drückt und die Musik einfach weitergeht.

Ich wippe mit oder werde mitgewippt und denke an das Berghain in Berlin, in den vergangenen Jahren immer der beste Club Deutschlands. Im Berghain werden am Eingang die Handykameras abgeklebt, Fotos aus dem Inneren sind verboten. Feiern ohne Beweise.

2.30 Uhr: „Das wird jetzt natürlich sehr schwierig“, sagt Niclas, Social-Media-Mann des Bootshaus. „Wir sind seit diesem Jahr nicht nur Nummer eins in Deutschland, sondern auch Nummer acht der Welt.“ Vor dem Bootshaus, da stünden in der Liste jetzt nur noch die richtig großen Clubs: Ibiza, Washington, Singapur. Erreichen ein viel größeres Publikum, müsse man jetzt erstmal schaffen, an denen noch vorbeizukommen. Ich frage ihn, ob die Menschen mit Bootshaus-Tattoo in Zukunft keinen Eintritt mehr zahlen müssten. Doch, sagt er, sei ja nur ein Gag.

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2.40 Uhr: Mir wird der Besitzer des Bootshaus’ vorgestellt, Fabian Thylmann, dem einst mit Youporn die bekannteste Pornowebsite der Welt gehört hat. Aber das weiß ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Netter Typ. Wir unterhalten uns, darüber, wie experimentell und avantgardistisch das Bootshaus früher war und heute noch sei. Darüber, dass hier ja durchaus auch mal Techno-Parties stattfinden.

3.50 Uhr: Wir sind fertig. Mit allem. Und uns. Unter der Zoobrücke versuchen wir ein Taxi zu bekommen, in dem man per EC-Karte bezahlen kann. Beim dritten Versuch mit Erfolg. Zwei junge Männer hinter uns hören, dass wir zum Zülpicher Platz müssen, fragen, ob wir uns nicht die Fahrt teilen wollen. Und: Warum auch jetzt aufhören mit der unangenehmen Nähe zu schwitzenden Fremden? Sie erzählen, sie seien auf dem Weg in ihre Ferienwohnung. Eigentlich kämen sie aus Göttingen.

„Aber für das Bootshaus würden wir überall hin fahren“, sagt der eine. „Ja, einfach immer krassester Abend im Leben“, der andere. Unrecht hat er nicht.

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