Kölner Corona-Protokolle„Kinder genießen in der Krise nicht höchste Priorität“

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Künstlerin Nina Poppe

  • „Die Krise macht etwas mit uns“ heißt es oft. Was das ist, erfahren wir am besten, wenn wir Menschen begleiten.
  • In der Serie „Kölner Corona-Protokolle“ erzählen regelmäßig fünf Menschen, was die Pandemie mit ihnen macht: Sie gefährdet ihre Gesundheit, ihre Freiheit, ihren Beruf und ihre Träume.
  • In dieser Folge gewährt Künstlerin Nina Poppe einen Einblick in ihr Leben und ihre Gedanken zur Corona-Krise.

Köln – Marie Köhler, freie Fotografin und Medienkünstlerin, die wir für die Serie „Kölner Corona-Protokolle“ durch die Pandemie begleiten, überlässt ihren Sprechplatz für diese Geschichte ihrer Kollegin Nina Poppe. Zum einen, weil das weitgehende Berufsverbot ihr momentan wenig Spielraum lasse, und auch, weil ihr die passenden Worte fehlten, „da mich die aktuellen Entwicklungen in Bezug auf die Kunst und die Kultur sprachlos machen“, sagt Köhler.

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Medienkünstlerin Marie Köhler

„Zum anderen bin ich zwar als Künstlerin stark von der Krise betroffen, aber alleinstehend – und habe immerhin Zeit, mich zu organisieren und mir gegebenenfalls Alternativen zu überlegen, um Geld für die Miete zu verdienen. Kolleginnen mit Familie haben es in der Hinsicht viel schwerer“.

Karriere hatte gerade begonnen

Bevor die Kinder kamen, hatte Nina Poppe (42) mit ihrem Foto-Projekt über Frauen, die auf einer japanischen Insel nach kostbaren Schnecken und Muscheln tauchen, damit wohlhabend werden und in Japan verehrt werden, Ausstellungen in Amsterdam, Rom und Arnheim, internationale Medien berichteten über sie. „Die Geburt unserer Kinder war dann ein harter Einschnitt für das Arbeiten an künstlerischen Projekten – die Corona-Pandemie ist der zweite“, sagt sie. Ein Protokoll aus dem Leben einer Künstlerin, die zwischen Familie und Kunst, Optimismus und Verzweiflung pendelt.

Alles zum Thema Angela Merkel

„Am meisten beschäftigt mich seit Beginn der Pandemie die Betreuung unserer Kinder. Wenn sie zu Hause sind, muss einer von uns beiden auch zu Hause sein – und das bin öfter ich, weil mein Mann als Schauspieler mehr verdient, und eine Familie eben irgendwie finanziert werden muss. Im ersten Lockdown gab es nur für die Kinder von Eltern mit sogenannten systemrelevanten Berufen eine Betreuung. Am Anfang hat man das akzeptiert, aber je länger dieser Zustand anhielt, umso absurder wurde es.

Geschlechtergerechtigkeit zunichte gemacht

Etwa zur gleichen Zeit drangen Sätze von Angela Merkel in die Öffentlichkeit, wonach es schwierig sei, die Rettung von Künstlerinnen und Künstlern in Deutschland zu begründen, wenn man zeitgleich über europaweite Kredite diskutiere. Kulturschaffende waren also nicht systemrelevant – das war ein Schlag ins Gesicht. Merkel hat das später revidiert, nachdem Bundespräsident Steinmeier die Wichtigkeit der Kunst benannte.

Offenbar auch nicht systemrelevant waren und sind Eltern und ihre Kinder – zumindest mussten und müssen die Kinder zu Hause bleiben. Wahrscheinlich ist es verhältnismäßig, dass es Wechsel- und Distanzunterricht gibt, allerdings fragen sich natürlich viele Eltern, warum es für Unternehmen keine Verpflichtung zum Homeoffice gibt und warum es dort bis heute keine Verpflichtungen zu Tests gibt. Arbeitgeber sind zwar verpflichtet, Tests zur Verfügung zu stellen, aber die Arbeitnehmer sind nach wie vor nicht in der Pflicht, sie auch zu machen.

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Nina Poppe lebt und arbeitet in Ehrenfeld.

Die Krise hat einige Erfolge in Sachen Geschlechtergerechtigkeit zunichte gemacht – und das liegt sicher auch daran, dass Kinder hierzulande nicht die höchste Priorität genießen – in anderen Ländern wurden die unterschiedlichsten Modelle versucht. Einige haben sehr gut funktioniert. Ich verstehe nicht, warum wir in Europa nicht besser voneinander lernen.

„Wir wollen nicht vereinnahmt werden“

Es ist schwierig, solche Themen offen zu diskutieren – weil man dann schnell in die Ecke gestellt wird – und von Rechten instrumentalisiert werden könnte. Wir haben mit einigen Kölner Künstlerinnen auch überlegt, eine Demonstration zu organisieren, uns aber dagegen entschieden, weil wir nicht von Leuten vereinnahmt werden wollen, mit denen wir nichts zu tun haben möchten.

„Ein Jahr ohne neue Bücher, Bilder, Geschichten“

Ein Bekannter hat mir kürzlich gesagt: „Hey, mal im Ernst, es gibt doch gerade wichtigere Dinge als Kunst und Kultur, oder?“ Da habe ich ihn gebeten, sich mal vorzustellen, es gebe ein Jahr lang keine neuen Bücher, keine Musik und keine neuen Fotos, keine neuen Filme, Bilder und Geschichten. Wie er das fände? Was das mit der Demokratie machen würde? Stimmt, meinte er daraufhin, das wäre schlecht.

Momentan befinden wir uns in einem Teufelskreis: Kunst steht für offenen Dialog, der für demokratische Gesellschaften grundlegend ist. Die Pandemie macht diesen Dialog aber schwieriger. Man sieht das in vielen Medien wie in Freundeskreisen: Wer gegen einige Entscheidungen der Politik ist, wird schnell in die Coronaleugner-Ecke gerückt, in der sich Rechtsextreme und Spinner tummeln. Dabei sind Kritik und Extremismus zweierlei: Das eine muss möglich sein, das andere muss bekämpft werden.

„Kunst ist dazu da, der Entfremdung zu begegnen“

Aber für Kritik und Kampf gegen die Extreme scheint uns die Kraft zu fehlen: Wir ziehen uns in unsere Familien und Wohnungen und Sorgen zurück, reden über vieles nicht oder kaum miteinander – und verstehen uns dadurch auch weniger. Es findet eine schleichende Entfremdung statt.

Die Kunst ist dazu da, dieser Entfremdung zu begegnen, darf das aber zu großen Teilen nicht, weil die Bühnen und Ausstellungsräume und Kinos zu sind – und kann es zu kleineren Teilen auch nicht: Weil viele Künstlerinnen und Künstler mit sich und ihren Nöten beschäftigt sind – und mit der Unsicherheit, was die Zukunft bringt.

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Kunst braucht Raum und Zeit. Wenn die Kinder zu Hause sind, habe ich beides nicht oder kaum. Trotzdem müssen meine Projekte weiterlaufen – ich habe Geld für Stipendien bekommen und muss zusehen, wie ich diese Projekte gestemmt bekomme, um die Förderung nicht zurückzahlen zu müssen. Aktuell schneide ich einen Dokumentarfilm über zehn Künstlerinnen, die unter unterschiedlichen Bedingungen in verschiedenen Ländern arbeiten. Natürlich sind wir da in Deutschland vergleichsweise privilegiert. Meine Sorge ist, dass in der Zukunft im Kulturbereich radikal gespart wird und viele von uns ihre Existenzgrundlage verlieren. Das wäre nicht nur für jeden Einzelnen fatal, sondern für die ganze Gesellschaft, die damit weiter vereinsamen würde.

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