Kölner Infektiologe„Die Lage ist bedrohlicher als im März“

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Aller Voraussicht nach wird es im kommenden Jahr mindestens einen Impfstoff gegen das Coronavirus geben.

  • Professor Oliver Cornely aus der Uniklinik Köln spricht über steigende Corona-Zahlen und Impfstoffe.
  • Der Professor appelliert an die Maskenpflicht, das Einhalten der Kontaktbeschränkungen und Abstandsregelungen.
  • Eine fachliche Einschätzung der zukünftigen Entwicklungen rund um die Impfstoff-Forschung.

Köln – Das Robert-Koch-Institut meldet immer öfter mehr als 10000 Neuinfektionen an einem Tag. In Köln sind mehr als 2000 Menschen akut infiziert. Wie bewerten Sie die Lage? Prof. Oliver Cornely: Die Lage ist meiner Ansicht nach bedrohlicher als im März. Wir wissen, dass bereits einige deutsche Krankenhäuser sehr stark durch Corona-Patienten in Anspruch genommen sind. Die meisten anderen sind es glücklicherweise noch nicht, doch das kann sich schnell ändern. Wir müssen hellwach sein.

Wie wichtig sind Zahlen, um die Lage zu beurteilen?

Sie sind für die Kliniken als kleiner Blick in die Zukunft entscheidend: Man kann hochrechnen, wie viele der Neuinfizierten krank und schwer krank werden, wie viele einen Platz in der Klinik brauchen werden. Die Statistik hängt natürlich auch mit der Zahl der Tests zusammen. Doch diese liegt seit einiger Zeit konstant bei gut 1,1 Millionen pro Woche. Die Infektionszahlen hingegen steigen – und damit auch die Positivrate. Ich rechne fest damit, dass die Krankenhäuser bald voller sein werden, als sie es im März gewesen sind. Positiv bewerte ich im Vergleich zum Frühjahr die verbesserte Behandlung.

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Wie ist die Situation an der Kölner Uniklinik?

Wir haben aktuell kein Kapazitätsproblem. Derzeit (Stand Freitag, Anm. d. Red.) behandeln wir sieben Corona-Patienten stationär. Doch das kann sich mit Blick auf andere Städte und Länder schnell ändern, wenn sich das exponentielle Wachstum bei den Fallzahlen fortsetzen sollte.

Wie kann es der Politik gelingen, das Infektionsgeschehen unter Kontrolle zu halten?

Es wäre wichtig, möglichst intensiv zum Maskentragen aufzufordern. Ich halte wenig davon, dass es öffentliche Lebensbereiche gibt, die von der Pflicht ausgenommen sind. Natürlich ist das Infektionsrisiko minimal, wenn jemand alleine durch den Wald geht – aber überall dort, wo kein Abstand gehalten werden kann, müsste die Maske selbstverständlich sein. Als einzige Ausnahme kommt für mich die eigene Wohnung infrage.

Doch genau dort, in geschlossenen Räumen, stecken sich die meisten an. Verfehlen die aktuellen Maßnahmen nicht ihr Ziel?

Die Gefahr besteht durchaus, doch uns fehlen zur Beurteilung jegliche Vergleichswerte. Ich sehe den Lockdown im Berchtesgadener Land als wichtiges Quasi-Experiment. Auch wenn die Struktur eine völlig andere ist als in Großstädten, werden wir dort beobachten können, wie viel mit umfangreichen, verschärften Maßnahmen zu erreichen ist. Meine Erwartung ist, dass die Zahlen dort in wenigen Tagen rasch sinken werden. Der Lockdown ist dennoch keine Musterlösung, die Kollateralschäden sind dafür zu hoch.

Was im Privaten stattfindet, lässt sich kaum steuern.

Richtig. Deshalb ist es wichtig, dass wir alle lernen, Masken auch auf privaten Feiern zu tragen. Politik kann nur anregen, unter Anregung fallen im Übrigen auch Sanktionen. Sie kann – und das ist gut so – das Verhalten jedes Einzelnen nicht steuern. Es kommt mehr denn je darauf an, dass jeder sich vernünftig verhält. Würden wir ab sofort in ganz Deutschland zwei Wochen lang konsequent Masken tragen und Abstand halten, wäre das Virus weitestgehend verschwunden. Das wird nicht passieren, man sollte es sich dennoch bewusst machen – und Menschen, die keine Maske tragen, höflich bitten, eine anzuziehen.

Braucht es schon jetzt Pläne für einen Zeitpunkt X, ab dem die Verfolgung von Infektionsketten nicht mehr möglich sein wird?

Unbedingt. Dafür sollte man weitere Maßnahmen in Betracht ziehen – beispielsweise sollte die Corona-Warn-App auch auf älteren Geräten funktionieren. Aktuell ist das nicht der Fall, ich halte das für völlig inakzeptabel. Vorhandene Tools und Regeln, dazu zählt die Maske, müssen optimiert werden – das wäre sinnvoller als etwa neue Einschränkungen der Versammlungsfreiheit.

Die Impfstoff-Forschung schreitet voran, viele Experten hoffen auf den Durchbruch im nächsten Jahr.

Wir werden nach allem, was wir heute wissen, im nächsten Jahr mindestens einen Impfstoff zur Verfügung haben. Dass bereits 2021 alle Kölnerinnen und Kölner gegen SARS-CoV-2 geimpft sein werden, halte ich allerdings für unwahrscheinlich. Es wird vor allem um die Frage der Verteilung gehen: Wenn alles gut läuft, schaffen wir es, Risikogruppen effektiv zu schützen und viele Todesfälle zu verhindern. Zu einer Vor-Corona-Normalität werden wir so schnell allerdings nicht kommen.

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Wir müssen also noch lange geduldig bleiben, was Kontaktbeschränkungen angeht?

Auf große Konzerte und Geburtstagsfeiern müssen wir vermutlich auch im kommenden Jahr verzichten. Und dennoch wäre viel erreicht, wenn wir diesen Winter kontrolliert überstünden und bald einen Impfstoff gezielt einsetzen könnten.

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