Goths, Cyberpunks und viele schwarz gekleidete Besucher treffen sich an diesem Wochenende auf dem „Amphi-Festival“. Wir haben uns vor Ort umgesehen.
Lack, Leder, und Hauptsache SchwarzSo läuft das Amphi-Festival am Kölner Tanzbrunnen
Mehr als 40 Bands, zwei Bühnen und ein Schiff und dazu jede Menge Szenekult. Das Amphi Festival bringt alljährlich mit seinem breit gefächerten Musikprogramm ein heterogenes Publikum, darunter vor allem Anhänger der Alternativen und Schwarzen Szene zusammen. „Wir lieben die Musik und die Leute auf dem Festival und kennen viele der Menschen hier“, sagt Enrico, der mit seiner Freundin mit schwarzer Sonnenbrille vor der Hauptbühne dem Auftritt der Band „A Life Divided“ zuhört.
Sonst treffe man Szene-Leute ja nur in Clubs und selten unter freiem Himmel. Das sei bei dieser Veranstaltung schon besonders. Hier komme man als Familie zusammen.
Wer weiß trägt, fällt auf dem Amphi-Festival auf
Zur Amphi-Familie gehöre, wer entsprechend tolerant sei. Da sei auch das Outfit letztlich egal, erklärt Jörg Röttger, der schon jahrelang mit seiner Frau auf das Festival fährt. Dieses Jahr zum ersten Mal ganz in Weiß gekleidet. „Hauptsache, wir fallen auf!“, sagt der 63-Jährige. Das Paar ist mit seiner Farbwahl eine Ausnahme unter den Amphi-Besuchern.
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Der Rundgang am Tanzbrunnen gleicht einem Laufsteg für schwarze Mode. Man sieht Spitzen-, Lack und Lederoutfits, prächtigen Haarschmuck, Federn und Masken, Nieten, Schnallen, Stacheln, Latex.
„In der Szene geht man respektvoll miteinander um“
Mit neonblauen Haaren in Ledertop und Netzstrumpfhose bahnt sich Alice ihren Weg. Ihr Outfit habe sie extra fürs Festival zusammengestellt. Eigentlich sei sie kein auffälliger Typ, aber da sie sowieso Perücke tragen müsse „wollte ich dann einfach richtig übertreiben“, berichtet die Kölnerin.
Auch Ina hat für diesen Tag ein extra auffälliges Outfit gewählt. Eine Stunde habe sie sich heute Morgen geschminkt, um nun die Figur „La Catrina“, die symbolisch für den Tag der Toten in Mexiko steht, zu verkörpern. „Ich lebe Szene, ich bin ein klassisches altes Goth“, sagt die Ehrenfelderin. In ihrer Freizeit trage sie immer Schwarz. Dazu gehört auch eine bestimmte Lebenseinstellung: „In der Szene geht vor allem darum, wie man miteinander umgeht, respektvoll, tolerant und hilfsbereit. Offen gegenüber jedem Geschlecht. Man darf in der Szene alles sein und muss keiner Körper-Norm entsprechen“, erklärt sie. Ihr Mann im rotkarierten Schottenrock nickt.
Währenddessen heizt der Künstler Wesselsky mit den Worten „Hurra, wir leben noch“ den Festivalgängern vor der Hauptbühne ein. Sein Genre: Neue deutsche Härte. Als nächste Band steht das schwedische Synthie-Pop Trio S.P.O.C.K, mit Elektrosounds, inspiriert durch Science-Fiction, auf der Bühne. Als Headliner werden „Deine Lakaien“ und „OMD“ angekündigt.
Zur Musik wird geheadbangt und geschrien
Szenenwechsel zur Theater-Bühne im Innenbereich: „Aufstehen! Funktionieren!“ schreit Musker Xotox ins Mikrofon. Eine Frau im Rollstuhl am Eingang zum Konzertsaal hievt sich in dem Augenblick in den Stand, um mit dem Kopf zum Sound zu bangen. Eine Kinderstimme flüstert durch die Lautsprecher: „Leben und Sterben für Musik aus Strom“. Dann dröhnen technoide Beats durch die Halle. Weiße Lichtblitze. Nebel auf der Bühne. Und der Sänger schreit sich unter dem Deckengewölbe mit Zahnrad-Optik die Seele aus dem Leib.
Obwohl der Raum gut gefüllt ist, stehen die Leute in höflichem Abstand zueinander. Getanzt wird eher dezent, statt ausladend.
Ähnliche Szenen erlebt man draußen. Das Festivalgelände ist voll, trotzdem bleibt die Lage übersichtlich und entspannt. Auch am Autogrammstand: Zufrieden hält einer der Besucher seine frisch signierte Karte der Dark-Rockband Zeraphine in den Händen, die am Nachmittag die Bühne im Innenraum bespielt. Die Musik habe er schon als Kind über seine Eltern immer mitgehört, erzählt der 23-Jährige. Sein Vater gesellt sich ohne Autogramm hinzu. Er habe sich verquatscht und es dann nicht mehr zu seinem Sohn in die Schlange geschafft, sagt er. „Drängeln ist nicht so mein Ding“.
Menschen aus ganz Deutschland kommen zum Amphi-Festival
Man treffe viele nette Menschen, vor allem Gleichgesinnte, das sei das Schöne an diesem Festival, sagt Laura, die aus Stuttgart mit ihrem Freund angereist ist. Dort sei die Szene mittlerweile recht ausgestorben, „da freut man sich Köln zu erleben“, sagt sie, während der Regen einsetzt. Die Frau, optisch ein Gesamtkunstwerk, nimmt es gelassen hin, denn sie hat mit wasserfester Schminke vorgesorgt. Viel mehr Sorgen mache sie sich heute darum, dass ihr Plateau von den Schuhen abbrechen könnte.
Derweil führt ein Mann eine Frau an einer Halskette hinter sich her über das Gelände. An anderer Stelle gibt es blutende Fingerkuppen-Attrappen und Schmuck aus Tierschädelknochen zu kaufen. Sogar Quietscheenten mit Vampirzähnen und Skelettoptik sind zu sehen. Die Kulisse bleibt skurril, bis man das Gelände verlässt.