„Le Moissonnier“-Chefkoch„Dann hat sich das ganz anders entwickelt“ – Eric Menchon erklärt Aufstieg zum Kölner Spitzenlokal

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Menchon steht vor einem Bild von Paris.

Einer der besten Köche Deutschlands: der Franzose Eric Menchon kocht in Köln im Le Moissonnier.

Koch Eric Menchon spricht über Anfänge und Konzept des „Le Moissonnier“.

Herr Menchon, Ihr Restaurant „Le Moissonnier“ wird am 30. Juni schließen, weil der Patron Vincent Moissonnier sagt, er könne nicht mehr. Warum machen Sie nicht weiter?

Eric Menchon: Ich bin ein guter Koch, aber kein Unternehmer. Das kann und will ich auch nicht sein. Ich kann eine Küchenbrigade anleiten, aber alles andere, Büro, Steuer, Verwaltung, Personal, das ist nicht mein Ding. Ich bin da untalentiert. Die Anforderungen, die nötig sind, um eine Zwei-Sterne-Küche zu führen, die Kreativität, die es dafür braucht, binden meine ganze Energie. Ich bewundere Köche wie Pierre Gagnaire, der selbstständig ein Restaurant betreibt und trotzdem drei Sterne erkocht hat. Wahnsinn, dafür musst du wie Vincent fast rund um die Uhr arbeiten, sieben Tage die Woche. Das kann und will ich nicht.

Also fünf Tage arbeiten die Woche, zwei Tage frei. Und wenn Sie Urlaub haben, machen Sie auch Urlaub?

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Genau. Natürlich bleibe ich neugierig, gehe auch schon mal bei Kollegen essen, aber so wie die Moissonniers? Niemals.

Als Sie vor 36 Jahren angefangen haben, war die Küche noch einfach.

Das war eine andere Zeit. „Le Moissonnier“ hatte seit sechs Monaten auf, und Vincents Idee war in erster Linie, Wein zu verkaufen. Und dazu etwas zu essen anbieten. Mit dem ersten Küchenchef hat das wohl nicht geklappt.

Ich wollte gerne in die Sterneküche, aber das war in den 1980ern sehr schwer. Man musste mindestens sechs Monate bis ein Jahr umsonst arbeiten, um überhaupt da rein zu kommen
Eric Menchon, Sternekoch

Wie haben Sie sich kennen gelernt?

Ich war 23, sehr unerfahren und wollte meine Komfortzone in Südfrankreich verlassen. Ich hatte vier Jahre in Aix-en-Provence und Marseille gearbeitet. Ich wollte gerne in die Sterneküche, aber das war in den 1980ern sehr schwer. Man musste mindestens sechs Monate bis ein Jahr umsonst arbeiten, um überhaupt da rein zu kommen. Alle meine Anfragen wurden entweder gar nicht beantwortet oder abgelehnt.

Wie sind Sie dann auf Deutschland gekommen?

Ich wollte sozusagen auf Wanderschaft gehen und habe in einer Fachzeitschrift annonciert. „Jungkoch will im Ausland Erfahrung sammeln“. Ich bekam zwei Antworten, eine aus London, eine aus Köln. London war so schlecht bezahlt, dass ich nicht mal Zigaretten hätte kaufen können. Ich hatte ein bisschen Deutsch gelernt und gedacht, versuchst du es für ein Jahr. Daraus wurden 36.

Am Anfang war „Le Moissonnier“ ein französisches Bistro mit offenen Weinen.

Wir hatten eine Vinmatic, mit der man geöffnete Weinflaschen wieder luftdicht verschließen konnte. So konnten wir alle Weine Glasweise verkaufen. Das gab es sonst in Köln noch nicht. Und wir haben deftige, französische Hausmannskost gemacht. Boeuf Bourgignon oder Boeuf Gros Sel, Salate, Käse- und Wurstplatten, ganz einfache Gerichte. Wir waren zu zweit in der Küche, ich war Chef und das war eine große Herausforderung für mich.

Aber der Laden ist gut gelaufen …

Von Anfang an, ja. Sehr gut. Vincent wollte den Kölnern ein altmodisches Pariser Bistro präsentieren, das war ja neu hier, und das hat er geschafft. Aber dann hat sich das ganz anders entwickelt (lacht).

Wie kam es dazu?

Vincent wollte immer Neues ausprobieren. Er wollte Abwechslung für die Gäste, und das geht in der Küche und mit neuen Speisekarten einfacher als beim Wein. Also haben wir die Karte alle drei Monate gewechselt. Das war gut, denn irgendwann kannst du den Eisbergsalat mit Lachs nicht mehr sehen.

Aber mit zwei Mann in der Küche sind die Möglichkeiten begrenzt.

Das ist die Stärke von Vincent, er hat viel auf die Küche gesetzt. Und investiert. Sobald es finanziell möglich war, hat er die Brigade vergrößert. Er hat schnell gemerkt, dass nur der Wein nicht ausreicht, wenn die Gäste wieder kommen sollen. Ich musste nie zu ihm hingehen und um neue Leute bitten, das hat er immer von sich aus getan.

Ich habe sehr lange gebraucht, um meinen eigenen Stil zu finden
Eric Menchon, Sternekoch

Also es ging los mit Kaninchen in Cassis, und dann wurden die Gerichte komplexer.

Alles eine Frage der Mittel. Wie viel Personal, wie viel Zeit, wie viel Geld hast Du? Statt zwei oder drei Komponenten in einem Gang machst du dann vier oder fünf. Am Anfang macht jeder alles, und irgendwann hast du die Möglichkeit, Posten zu machen. Dann macht einer den Patissier, einer Gemüse, einer Fleisch und Fisch. Heute haben wir zehn Köche: zwei am Gemüseposten, für Fisch und Fleisch sind wir zu Dritt, Vorspeise vier und Dessert zwei. Plus zwei Spüler.

Vergrößern ist das Eine, verbessern das Andere. Wie muss man sich die Kreativprozesse vorstellen?

Vieles basiert auf Erfahrung. Ich habe sehr lange gebraucht, um meinen eigenen Stil zu finden. Wir haben wie alle Köche der Welt viel kopiert am Anfang.

Also fährt man nach Paris, um bei Ducasse zu essen?

Haben wir auch gemacht, aber das zeigt dir erst einmal, wie weit du noch weg bist von dem, was die machen. Da liegen Welten zwischen. Als ich das erste Mal bei Pierre Gagnaire gegessen habe, war ich wie vor den Kopf geschlagen. Das war der Hammer, das hat etwas gemacht mit mir. Das hat meinen Ehrgeiz angestachelt, sowas wollte ich irgendwann auch mal machen. Und es liegt mir, tief in die Materie einzusteigen, ausprobieren, tüfteln, was vielleicht geschmacklich zusammenpassen könnte. Das Handwerk zu lernen, geht vergleichsweise schnell.

Hätten Sie ein Beispiel von der aktuellen Karte?

Früher hatten wir einen Gulasch, also Fleisch mit Sauce, dazu eine Beilage wie Kartoffeln, fertig. Jetzt machen wir als einen Hauptgang: Bretonische Rotbarbe auf Holzkohle gegrillt, dazu Champagner-Fenchel-Sauce und Zitronen-Gel nach Mojito-Art. Der zweite Teller ist Couscous-Hirse, Meerrettich-Creme und Bottarga von der Meeräsche sowie Langustinen-Mousse mit Orangenblütenwasser. Und der dritte Teller, als Beilage sozusagen, eine Sizilianische Caponata, Parmesan-Chips, eine weiße Polenta mit Ricotta, Cidre-Butter und Forellenkaviar. Das ist ein Gang, der kostet 67 Euro. Wir haben gerade fünf solcher Hauptgänge auf der Karte. Und fünf Vorspeisen, die sind genauso konstruiert, also mehrere Teller für einen Gang. Dafür braucht man ein paar Hände mehr und ein bisschen mehr Zeit (lacht).

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Zitrone zum Fisch kann jeder, sie machen ein Zitronen-Gel nach Mojito-Art.

Es gibt keine Regel, wie man Gerichte entwickelt. Am Ende muss es schmecken und die Leute müssen Spaß daran haben. Fertig. Wie im richtigen Leben alles eine Frage der Gewichtung. Ob Beziehung oder Kochen – es muss ausgewogen sein. Bei beidem gibt es erstaunliche Kombinationen, bei denen man denkt, das passt im Leben nicht. Aber es geht. Als ich das erste Mal bei Gagnaire war, habe ich gedacht: Wie soll das zusammen gehen? Niemals. Grapefruit mit Langustinos, essbaren Blüten, einem  Minzsorbet. Als ich das dann probiert habe, hat mich das umgehauen. Es war ein Gedicht, so schön. Es hat perfekt gepasst.

In diesen Dimensionen ist Kochen Kunst.

Wenn man einen bestimmten Level erreicht hat, kann man das Kunst nennen. Für mich ist das trotzdem eher Handwerk, selbst wenn es Emotionen weckt. Und letztendlich entsteht das im Team, alleine bekommst du das nicht hin. Das limitiert auch. Ich mache das mit meinen beiden Sous-Chefs Christian Zupan und Michael Steiner und dem Chef-Patissier Olivier Toussaint. Wir arbeiten seit mehr als 15 Jahren zusammen. Ohne die wären wir nicht da, wo wir sind.

Das alles klingt sehr komplex. Was heißt das für den Gast?

Die müssen das nicht wissen, viele interessiert auch nicht, was da an Arbeit hinter steckt.

Aber muss der Gast verstehen, was der Koch da macht? Oder stelle ich mich im übertragenen Sinn vor das Bild und lasse es einfach wirken?

Das ist von Gast zu Gast verschieden. Natürlich kann man das in langen Texten zerlegen. Wir haben eine komplexe Küche, aber beim Essen kommt es darauf nicht an. Andererseits: Wenn der Gast nur ein Drittel raus schmeckt, dann habe ich verloren. Bei der Rotbarbe muss man den Mojito schmecken können, aber auch den Champagner, und die Rotbarbe natürlich auch, sonst machen wir in der Küche etwas falsch. Ein bisschen Schmeck-Erfahrung ist hilfreich. Wenn man etwas über ein Bild weiß, erweitert das ja auch den Blickwinkel. Es darf aber nicht so kompliziert und abgefahren werden, dass die Kunden wegbleiben. Das wäre schlecht fürs Restaurant. Wenn wir nur für Gastro-Kritiker kochen würden, wäre der Laden leer. Das ist ja nicht der Sinn der Sache.

Wenn wir nur für Gastro-Kritiker kochen würden, wäre der Laden leer. Das ist ja nicht der Sinn der Sache
Eric Menchon, Sternekoch

Und dann kamen die Sterne…

Das war eine Riesenüberraschung, mit der ich nie gerechnet hätte. Vor allem der Zweite. Was mich besonders stolz macht, dass wir zwei Sterne haben, obwohl ich nie in einem anderen Sternelokal gearbeitet habe. Das zeigt, dass ich meinen eigenen Stil gefunden habe.

Wie würden Sie ihren Stil beschreiben?

Der Ansatz, einen Gang auf mehreren Tellern zu servieren, ist schon sehr typisch. Das sieht besser aus, und auch für das Geschmackserlebnis ist es aufregender. Man kann erst alles für sich probieren, und dann schauen, was passiert, wenn man Komponenten zusammen isst. Da haben die Leute Spaß dran. Es öffnet sich ein Fenster. Andererseits: Es ist und bleibt ein Essen. Da soll man Spaß mit haben, und irgendwann ist es weg.

Bedauern Sie, nie einen dritten Stern bekommen zu haben?

Darüber entscheiden andere, wer wie viele Sterne bekommt. Vincent und ich haben so nie gedacht, wir haben nie so gearbeitet. Es hat sich ergeben, und das ist ein großes Glück. Sterne unbedingt zu wollen, ist der falsche Weg. Warum sich diesen Druck machen? Dann fängst du an, Porzellan für 300 Euro das Stück zu kaufen? Den Stress muss ich nicht haben. Ich will gut kochen und zufriedene Gäste.

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