Kölner KunstprojektIvo Weber fegt seit 17 Jahren den Wald

Lesezeit 4 Minuten
Das Resultat des Waldfegens ist ein vom Künstler durchchoreographiertes Bild mit den Beteiligten, ihren Rechen und dem Heiligenbild.

Das Resultat des Waldfegens ist ein vom Künstler durchchoreographiertes Bild mit den Beteiligten, ihren Rechen und dem Heiligenbild.

Köln – Stell dir vor, du triffst dich mit ein paar Leuten im Wald, fegst ein Stück Boden frei von Blättern, machst ein Foto und behauptest, das ist Kunst. Meine Kinder würden mir den Vogel zeigen. Aber genau das ist es, was Ivo Weber seit 17 Jahren tut: Das Projekt heißt Waldfegen. An der immer gleichen Stelle, irgendwo im Äußeren Grüngürtel, direkt an der A4, steckt er ein etwa 50 Quadratmeter großes Rechteck ab, das dann von einer kleinen Gruppe Menschen mit handelsüblichen Gartenrechen freigekehrt wird. Die Menschen und ihr Werk werden dann in einer vorher von Weber durch eine Zeichnung festgelegten Konstellation mit einer Plattenkamera dokumentiert. Es gibt Maultaschen und Glühwein, man redet und lernt sich kennen, dann wird der Waldboden wieder zugefegt. Nach ein paar Stunden sieht der Wald wieder aus wie vorher. Was bleibt, ist das Foto, das dann später im Rahmen einer Vernissage auf einer Hinterhofplakatwand ausgestellt wird, wie jedes Jahr.

Eine Regel besagt, dass man, abgesehen von Weber und seinem Fotografen Olaf Hirschberg, nur einmal im Leben teilnehmen kann. Die Gruppe 2020 durften Stefan Kraus und Barbara von Flüe von Kolumba zusammenstellen. In der illustren Gruppe sind unter anderem eine Restauratorin, ein Maler oder ein Historiker mit großem Spaß dabei.

„Gibt es etwas Sinnloseres?“

Stefan Kraus stützt sich leicht verschwitzt auf seinen Rechen und lächelt zufrieden. „Gibt es etwas Sinnloseres, als den Wald zu fegen?“ fragt sich der Direktor von Kolumba und beantwortet die Frage gleich selbst: „Irgendwie ist das für mich ein schönes Bild für die Museen und Theater, die Ihre Inszenierungen fertig haben, nun aber niemanden zeigen können. Kulturarbeit verpufft…“ Und seine Kollegin Barbara von Flüe ergänzt: „Der Ort hier an der Autobahn ist so in der Realität, den Verkehrslärm kann ich ja beim Fegen nicht ausschalten. Etwas surreales zu tun, was offensichtlich keinen Sinn hat, finde ich sinnvoll, denn wann man macht man das schon?“ Sonst müsse man immer die ganze Zeit überlegen: Was bringt’s? „Und das mal nicht zu tun, ist befreiend. Was uns bleibt, sind die Erinnerung und die Kontakte.“

Alles zum Thema Bundesautobahn 4

Künstler Ivo Weber dirigiert die Akteure.

Künstler Ivo Weber dirigiert die Akteure.

Für Ivo Weber, der sonst eher mit Skulpturen arbeitet, und gerade ein Stipendium der VG Bild gewonnen hat , das ihm ermöglicht, alle Waldfegen-Arbeiten deutschlandweit auf Plakatwänden zu präsentieren, stellt sich die Frage der Sinnhaftigkeit nur bedingt: „Wenn ich etwas noch so Absurdes mit Liebe und Lust mache, fängt es an, ernsthaft zu werden. Wenn ich es mit Wertschätzung mache, fängt es an, Kunst zu werden.“ Und der Maler Heiner Binding ergänzt: „Die Malerei hat ja oft einen zweckfreien Grund, auch wenn er nicht sinnfrei ist. Sobald man mit Kunst beginnt in dieser sehr auf Funktion ausgerichteten Gesellschaft, ist das eine immer wiederkehrende Frage: Wofür ist das? Das Waldfegen bringt das auf den Punkt.“

Ewiges Licht

In diesem Jahr hängt ein sogenannter Makel, ein kleines Bildnis des Heiligen Sebastian, an einem Baum, darunter brennt ein Ewiges Licht. „Er ist der Pestheilige – das passt gerade wunderbar“, erläutert Ivo Weber, „aber auch der Heilige der Jäger und Waldarbeiter.“ Der Wald sei in einem besorgniserregenden Zustand durch die anhaltend trockenen Sommer. „Das fühlt sich schlecht an, man ist so hilflos angesichts des Klimawandels. Seit 2003 hat sich der Wald total verändert, aber vielleicht hilft uns der Heilige ja“, sagt der Künstler.

Das könnte Sie auch interessieren:

Der Mensch könne nicht existieren ohne das Kulturgut Natur, und die Erholung, die sie ihm gebe. Das Sinnlose Tun in dieser Natur brächte gerade in der Stadt eine oft verlorene Nähe zurück. Für Weber ist das manchmal vordergründig Sinnlose von Kunst die Basis, der scheinbare Makel, etwas zu tun, was jeder kann, eine Qualität. „Wir merken doch gerade in der Pandemie, dass vieles, was so selbstverständlich da war, auf einmal weg ist.“

KStA abonnieren