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Absurder und tragischer FallKölnerin täuscht eigene Entführung vor und erpresst Lösegeld vom Ehemann

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Die Angeklagte verdeckt im Amtsgericht Köln ihr Gesicht vor den anwesenden Pressefotografen. Rechts Verteidigerin Susanne Cziongalla.

Die Angeklagte verdeckt im Amtsgericht Köln ihr Gesicht vor den anwesenden Pressefotografen. Rechts Verteidigerin Susanne Cziongalla.

Beim Prozess im Kölner Amtsgericht äußerte sich die Beschuldigte ausführlich zu den kuriosen Vorwürfen.

Es war ein Fall, den selbst der erfahrene Strafrichter Rolf Krebber als „äußerst ungewöhnlich“ bezeichnete. Auf der Anklagebank vor ihm und den Schöffen saß am Mittwoch in Saal D des Kölner Amtsgerichts eine junge Mutter. Zwei Kinder, äußerlich ein intaktes Familienleben, eine stabile Ehe, ein Haus, ein geregelter Alltag. Doch tief im Inneren völlige Verzweiflung. Am Ende stand eine Tat, die so absurd wie tragisch wirkt. Die Frau täuschte ihre eigene Entführung vor und erpresste ihren Mann.

Kölner bekommt WhatApp von vermeintlichem Entführer

An einem Montagmorgen im Februar, um 9.42 Uhr, erreicht den Tiefbau-Spezialisten Domenico R.  (Name geändert) eine WhatsApp-Nachricht vom Handy seiner Ehefrau. „Hallo Amore, wie viel ist dir deine Frau wert? Ich sage 5000 Euro“, steht da geschrieben. „Amore“, das ist der Kosename, den ihm seine Frau gegeben hat und so in ihren Handykontakten steht. 2500 Euro soll Domenico R. innerhalb der nächsten zwei Stunden beschaffen, die gleiche Summe nochmal am Nachmittag. Als Lösegeld.

Weitere Nachrichten bauen immer mehr Druck auf: „Wir brauchen keine Polizei, wenn du deine Frau sehen möchtest“, heißt es da. Und: „Ich warte nur auf das Geld und dann kannst du deine Frau abholen.“ Der vermeintliche Entführer appelliert an den Ehemann: „Willst du deine Frau nicht wiedersehen? Ich habe nichts zu verlieren, du ja.“ Dann erhält Domenico R. eine Sprachnachricht, seine Frau spricht und fleht ihren Mann an: „Gebt ihm, was er möchte, ich möchte nach Hause.“

Zwischenzeitlich hatte Domenico R. erfahren, dass seine Frau an diesem Morgen nicht zur Arbeit erschienen war. Die Lage scheint ernst, todernst. Er geht auf die Forderung des vermeintlichen Entführers ein, die 5000 Euro auf das Konto seiner Frau zu überweisen. Mit deren EC-Karte wird das Geld schließlich an einem Geldautomaten einer Sparkasse abgehoben.  Am nächsten Morgen dann kommt eine weitere Nachricht aufs Handy: „Du kannst deine Frau vor dem Kölner Dom abholen“.

Kölner Polizei greift Vermisste vor dem Kölner Dom auf

Die längst eingeschaltete Polizei eilt zur Kathedrale und findet die Vermisste. Sie ist bleich, zittert und verhält sich irgendwie verdächtig. Die Beamten finden die 5000 Euro bei ihr – und die ganze Lügengeschichte fliegt auf. Sie selbst entpuppt sich als „der Erpresser“, die Nacht hatte sie im Hotel verbracht. Die Staatsanwaltschaft klagt die 33-Jährige wegen schwerer räuberischer Erpressung und Vortäuschens einer Straftat an. Vor dem Schöffengericht droht der Frau eine Gefängnisstrafe.

Was sich in der Anklageschrift wie eine abgezockte und dreiste Erpressung liest, entpuppt sich im Prozess als tragische Verzweiflungstat. Die Frau war nach außen hin stets die perfekte Ehefrau und Mutter, wie ihre Rechtsanwältin Susanne Cziongalla erklärt. Doch hinter der Fassade verbergen sich Depressionen, eine Spiel- und Kaufsucht und eine erdrückende Schuldenspirale. 20.000 Euro an Verbindlichkeiten hatte sie angehäuft, Zahlungsanbieter wie Paypal und Klarna wollten ihr Geld.

„Ich konnte mit niemandem darüber sprechen, ich fühlte mich ganz allein und wollte doch nur funktionieren und niemandem zur Last fallen“, sagt die Angeklagte mit brüchiger Stimme. Ihr Plan sei an jenem 24. Februar dieses Jahres ein ganz anderer gewesen. „Ich wollte mich umbringen, mit dem Auto gegen eine Wand fahren.“ Schon in den Tagen davor sei sie zu ihren Söhnen, drei und acht Jahre alt, „extra ruppig“ gewesen, so formulierte es die Anwältin. „Damit ihre beiden Kinder sie nicht zu sehr vermissen.“

Köln: Angeklagte zeigt sich beim Prozess erleichtert

Warum sie von ihrem Suizidplan abweicht und stattdessen ihre eigene Entführung inszeniert, kann die Beschuldigte auch auf mehrfache Nachfrage von Gericht und Staatsanwältin heute nicht mehr sagen. Es sei wohl ein letzter Versuch gewesen, etwas Luft im Schuldensumpf zu bekommen – und die Fassade der scheinbar heilen Familienwelt aufrechtzuerhalten. „Völlig irrational“ nennt Verteidigerin Cziongalla die Tat, denn die Mandantin habe ja letztlich ihr eigenes Familienvermögen erpresst.

„Ich bin froh, dass alles rausgekommen ist“, sagt die 33-Jährige beim Prozess. Sie fühle sich befreit, mache jetzt eine Therapie. Sie zeigte sich glücklich darüber, dass der Ehemann weiter zu ihr steht. Im Amtsgericht reicht der Mann seiner Frau eine Apfelschorle. Aussagen will er aber nicht – das muss er als Ehemann der Angeklagten auch nicht. Polizisten hätten sie nach dem Auffinden in die Psychiatrie gebracht. „Mein Mann hat mich sofort besucht und gesagt: ‚Wir fangen jetzt nochmal bei null an‘.“

Köln: Fake-Entführung sorgte für großen Polizeieinsatz

Richter Rolf Krebber zeigt sich in der Urteilsbegründung beeindruckt von der Leidensgeschichte der Angeklagten. Doch der Vorsitzende hebt auch hervor, was die 33-Jährige mit ihrer Lügengeschichte ausgelöst hat. Sie habe ihren Ehemann in Angst und Schrecken versetzt und für einen großen Polizeieinsatz gesorgt. Beamte hätten mit Hunden nach der vermeintlich Entführten gesucht, Telefonüberwachungen geschaltet. Sogar eine eigene Ermittlungsgruppe sei eingerichtet worden.

Ein Jahr und zwei Monate Haft auf Bewährung, so lautet am Ende das Urteil für die Angeklagte. Die Staatsanwältin hatte vier Monate mehr gefordert und erwägt in Berufung zu gehen. „Ich bin überzeugt davon, dass Sie keine Straftaten mehr begehen“, sagt Richter Krebber und verzichtet auf besondere Bewährungsauflagen. Die Frau befindet sich in Therapie, will bald wieder als Bürokauffrau arbeiten. Die angehäuften Schulden sind mittlerweile beglichen worden – und zwar vom Ehemann.