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„Ich werde dich für immer lieben“Stalking in Köln – drei aktuelle Fälle und was Betroffene tun können

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6 min
Stalker nutzen heutzutage auch die sozialen Medien, um ihre Opfer zu verfolgen.

Stalker nutzen heutzutage auch die sozialen Medien, um ihre Opfer zu verfolgen.

Das Kölner Amtsgericht verhandelte diese Woche gleich drei Fälle von schlimmer Nachstellung. Das rät eine Opfer-Anwältin.

Unerwünschte Anrufe, Besuche an der Haustür, Nachrichten an Familie und Freunde: Wenn ein vermeintlicher Verehrer zum Stalker wird, beginnt für viele Betroffene eine Leidensgeschichte von Machtlosigkeit, Überforderung und Angst. 2024 kamen in Köln 647 Fälle von Stalking zur Anzeige – etwa 80 Prozent der Geschädigten waren Frauen. In dieser Woche verhandelte das Amtsgericht gleich drei solcher Verfahren. Wir erzählen die Geschichten. Und lassen eine Opfer-Anwältin zu Wort kommen, die erklärt, wie Betroffene sich schützen können – und warum frühes Handeln wichtig ist.

Fall 1: Soap-Schauspielerin im Internet verfolgt

Amtsgericht Köln, Montag, Saal 9: Es ist der bereits vierte Verhandlungstag in einem Fall, der einer Soap-Darstellerin aus dem Fernsehen das Leben seit geraumer Zeit zur Hölle macht. Immer wieder bekommt die Schauspielerin laut ihrer Angaben Nachrichten auf ihrem Instagram-Account, auch Freunde und Bekannte werden kontaktiert. Mal geht es um Inhalte ihrer TV-Serie, doch dann wird der Ton schnell schärfer. Ein Bild von ihrem Ex-Freund wird gepostet, dann die Anschrift der jungen Frau.

Kollegen erhalten per Künstlicher Intelligenz erzeugte Pornobilder mit dem Gesicht der Schauspielerin, verbunden mit dem Angebot der erotischen Massage. Wieder wird ihre Anschrift genannt. Der Stalker gibt sich als eine Freundin aus, chattet so weiter über die sozialen Netzwerke. Gefakte Pornobilder landen laut Anklageschrift auch per E-Mail bei der Agentur der Schauspielerin. In einer Nacht wurde das Auto der Frau mit Eiern beworfen. Ein Zettel lag dabei: „Du Schlampe!“

Sie habe sich „eklig gefühlt“, konnte ihren Job teilweise nicht mehr ausüben, denn auch Menschen in ihrem Umfeld hätten sich unwohl gefühlt. Die Frau sprach von einer Masse an Nachrichten von allen Seiten, die sie aufgrund der Fakenachrichten bekommen habe. Doch am Ende der Verhandlung erfolgt die Ernüchterung. Obwohl die Staatsanwaltschaft sechs Monate Haft für den Angeklagten – ebenfalls Schauspieler – fordert, ergeht ein Freispruch. Dem Gericht reicht die Beweislage am Ende nicht aus.

Fall 2: Am Arbeitsplatz aufgetaucht – aber nicht im Gericht

Amtsgericht Köln, Dienstag, Saal 22: Die Geschädigte ist da, sie hat sich Verstärkung mitgebracht. Ein Bekannter hält Ausschau nach dem mutmaßlichen Stalker. „Ist er das mit der Mütze?“, fragt er mit Blick auf den Eingangsbereich. Nein, ist er nicht. Denn der Angeklagte bleibt der Verhandlung fern. Laut Staatsanwaltschaft soll er seine ehemalige Partnerin über Monate per E-Mail beleidigt und hämisch ihr früheres Liebesleben kommentiert haben. Auch an der Wohnung und dem Arbeitsplatz der Geschädigten soll der Mann aufgetaucht sein.

Richterin Astrid Bernards wartet nach Aufruf der Gerichtssache fünfzehn Minuten, dann ergeht ein Urteil in Abwesenheit des Beschuldigten, ein sogenannter Strafbefehl. Die Staatsanwältin schlägt 3000 Euro Geldstrafe (100 Tagessätze zu je 30 Euro) vor, die Richterin handelt sie auf 90 Tagessätze und damit 2700 Euro Geldstrafe herunter, weil der Mann nicht vorbestraft sei. Die Strafe wird somit nicht im Führungszeugnis auftauchen. Der Beschuldigte kann noch Einspruch einlegen, dann käme es erneut zum Prozess.

Köln: Studentin fühlt sich in ihrer Wohnung nicht mehr sicher

Amtsgericht Köln, Mittwoch, Saal C: Die junge Studentin hat sich gut auf die Verhandlung vorbereitet. Sie zeigt Richter Christian Sommer ihre Aufzeichnungen – jeden WhatsApp-Anruf, den sie in den vergangenen zwei Jahren von ihrem unerwünschten Verehrer bekommen hat, jede Nachricht über TikTok oder Instagram. Der Mann, den sie zu Coronazeiten bei Spieleabenden kennenlernte und mit dem sie auch mal gemeinsam Musik machte, habe ihre Zurückweisung nicht akzeptiert. „Ich fühle mich langsam belästigt, lass mich in Ruhe, es reicht langsam, ich will keinen Kontakt“, schreibt die Frau zurück, nachdem der Verehrer, ihre ganzen Postings bei Instagram „geliked“ habe.

„Warum bist du so zu mir? Ich war immer lieb zu dir. Sag die Wahrheit“, soll der Stalker geschrieben haben. „Ich habe seine Profile geblockt, doch es tauchten immer mehr Accounts auf“, berichtet die Geschädigte. „Ich werde dich für immer lieben“, habe sie mehrfach gelesen. Sie habe das mehr oder weniger ertragen, sei dann für einige Monate ins Ausland gegangen. Nach ihrer Rückkehr liegen Blumen, ein Paket und eine Karte vor ihrer Wohnungstür. „Ich habe diese Blumen wachsen lassen, ich habe gewartet, um sie dir zu geben. Ich weiß, du hast Angst, das macht mich traurig. Ich habe aufgehört Gras zu rauchen und so viel zu trinken“, steht auf der Karte und der Name des Angeklagten – ein Supermarktleiter. „Damit war für mich eine Grenze überschritten“, sagt die Geschädigte. Sie geht zur Polizei und zeigt den mutmaßlichen Stalker an. „Der war für mich einfach unberechenbar, der hat da eine Fantasie einer romantischen Beziehung zusammengesponnen und dann kommt der noch zu mir nach Hause.“ Sie habe Ängste ausgestanden, was danach passieren könnte.

„Übertreiben Sie nicht etwas?“, fragt der Verteidiger des Angeklagten die Geschädigte unverblümt. „Nein, das glaube ich nicht“, antwortet sie. Für den Anwalt seien das doch eher harmlose Liebesschwüre eines unglücklich Verliebten. Und wirklich bewiesen sei ja ohnehin nicht, dass sie von seinem Mandanten stammten. „Ist das denn nicht ihre Handschrift?“, fragt Richter Sommer daraufhin und hält die Postkarte hoch. „Doch, ist es“, antwortet der Angeklagte und räumt damit zumindest das Auftauchen vor der Wohnung ein.

Den Straftatbestand der Nachstellung sieht der Rechtsanwalt trotzdem als nicht erfüllt an. Paragraf 238 des Strafgesetzbuches besagt, dass mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird, „wer einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung nicht unerheblich zu beeinträchtigen“. „Ich kann an seinem Handeln nicht Unanständiges und schon gar nichts Strafbares finden“, erklärt der Anwalt und fordert Freispruch.

Richter Christian Sommer sieht das komplett anders. „Die Geschädigte hatte Angst, sie hat sich in ihrer eigenen Wohnung nicht mehr wohlgefühlt – die Lebensgestaltung war also erheblich beeinträchtigt“, urteilt das Gericht. Die Strafe fällt aber auch hier moderat aus: 70 Tagessätze zu je 40 Euro, also insgesamt 2800 Euro Geldstrafe. Rechtskräftig wird das Urteil an diesem Tag nicht.

Kölner Opfer-Anwältin rät zu schnellem Handeln

Das sagt die Opfer-Anwältin: Rechtsanwältin Eva Kuhn hat schon viele Stalking-Opfer vertreten und weiß, wie Betroffenen schnell geholfen werden kann. „Viele Frauen fühlen sich unwohl, sie haben Angst – und sie wollen einfach, dass es aufhört“, sagt Kuhn. Kommen Stalking-Opfer zu ihr in die Kanzlei, dann rät sie zunächst eins: Alles dokumentieren, Anzeige erstatten und beim Amtsgericht einen Eilantrag auf ein Kontaktverbot stellen, eine sogenannte einstweilige Anordnung. „Wenn das Gericht den Antrag anerkennt, gilt das Kontaktverbot sofort“, sagt Kuhn. Und das gelte nicht nur für persönliche Kontakte, sondern auch für die sozialen Medien oder den Kontakt über Dritte.

Anwältin Eva Kuhn

Die Kölner Rechtsanwältin Eva Kuhn vertritt viele Opfer von Stalking und Gewalt.

Von späteren strafrechtlichen Sanktionen einmal abgesehen, sei bereits ein Verstoß gegen ein Kontaktverbot mit unangenehmen Konsequenzen für den Stalker verbunden. „Bei einem Verstoß kann ein Ordnungsgeld verhängt werden, das sich nach dem Einkommen richtet“, erklärt die Opfer-Anwältin. Und das könne sich summieren. Kuhn schildert einen Fall, da habe sich das Ordnungsgeld von anfänglich 500 Euro auf etwa 7000 Euro summiert. „Und wer nicht zahlt, der riskiert Ersatzhaft.“ Wichtig sei: Betroffene sollten sich ihrem Umfeld öffnen, den Kampf vor Gericht nicht allein ausfechten. Hilfe finden geschädigte Frauen und Männer auch bei Opferorganisationen wie dem Weißen Ring oder direkt bei der Opferschutzstelle der Kölner Polizei.