Köln – Herr Becker, schön, wieder in Köln zu sein?
Ja, es ist ein bisschen wie nach Hause kommen. Ich war zwar jetzt etwas mehr als drei Jahre weg, kenne die Stadt und die Kölner Behörde aber doch ziemlich gut. Ich habe in Mülheim Abitur gemacht, 1980 als Polizist in Köln angefangen und mehr als 15 Jahre im Präsidium gearbeitet.
Zur Person
Stephan Becker (55) ist neuer Chef der Kriminalpolizei in Köln. Zuvor war der Familienvater Abteilungsleiter beim Landeskriminalamt (LKA) in Düsseldorf, davor Chef der Kriminalinspektion Organisierte Kriminalität bei der Polizei Köln.
Als Abteilungsleiter Staatsschutz beim LKA hatten Sie vor allem mit islamistischen Extremisten zu tun. Gibt es auch eine Szene in Köln?
Hier ist nicht der Hotspot in NRW, aber sogenannte Gefährder und entsprechende Ermittlungen gibt es auch in Köln. Nehmen Sie Ibrahim Abou-Nagie: Sicher niemand, der selber einen Anschlag begehen würde, aber ich halte ihn für einen geistigen Brandstifter.
Seine Masche ist klar: Mit den Koran-Verteilaktionen, die er initiiert, will er junge Leute für den Dschihad rekrutieren. Er sieht potenzielle Mitläufer kommen und spricht sie an. Das ist ein regelrechtes Geschäft, das er hier betreibt.
Radikalisierung übers Internet
Was sind das für Menschen, die sich anwerben lassen?
Häufig junge Leute, die einen Bruch in ihrer Vita aufweisen, die – vereinfacht dargestellt – Probleme zu Hause oder in der Schule haben, die hier für sich keine Zukunft sehen. Denen bieten Abou-Nagie und seine Helfer eine geistige Heimat, sie präsentieren ihnen einfache Wahrheiten, eine vermeintlich tolle Aufgabe. Sie sagen ihnen: Du musst nicht nachdenken, du musst nur machen, was wir sagen. Viele laufen in diese Falle. Das ist ein abgestuftes, ganz perfides Verfahren, bis manche dann tatsächlich irgendwann nach Syrien gehen, um dort zu kämpfen.
Tappen nur junge Männer in diese Falle?
Nein, zunehmend reisen auch junge Frauen aus. Diese Entwicklung sehe ich mit großer Sorge. Man kann es kaum glauben, aber die Mädchen werden hier quasi turboradikalisiert, häufig über das Internet: Heute shoppen sie noch Klamotten, morgen sind sie voll verschleiert. Manche werden über das Internet verheiratet mit einem Mann, den sie nicht kennen. Das schafft die islamistische Internetpropaganda, in dieser Hinsicht ist sie sehr professionell. Sie fixt die jungen Frauen an, gaukelt ihnen eine heile Welt in Syrien vor und dass sie für eine gute Sache kämpfen. Und dann sind die Mädchen plötzlich verschwunden.
Wie bekommt die Polizei das mit?
Häufig wenden sich verzweifelte Eltern an uns und sagen: Meine Tochter will in den Dschihad ziehen – es sind übrigens nicht nur Mädchen mit Migrationshintergrund, sondern auch welche mit deutschem Pass.
Wie die Polizei die islamistische Szene kontrolliert
Mit welchen Methoden kann die Polizei die islamistische Szene kontrollieren?
Dass wir in NRW noch keinen vollendeten Anschlag hatten, hat sicher ein Stück weit mit Glück zu tun – aber auch mit dem hohen Druck, den wir ausüben. Beim LKA gibt es ein Dezernat, das ausschließlich für Observationen zuständig ist. Jede Observation ist sehr personalintensiv, und wer versucht, alles zu schützen, der schützt nichts. Daher haben wir ein Verfahren entwickelt, um die Gefährlichkeit der Einzelnen genauer einschätzen und entscheiden zu können: Um wen kümmern wir uns vorrangig? Und dann sind wir eben teilweise über Monate dicht an den Personen dran. So mühsam das auch ist – wir dürfen da nicht nachlassen. Das ist unsere einzige Chance.
Von welchen Personen geht die höchste Gefahr aus?
Besonders gefährlich sind Rückkehrer aus Kriegsgebieten. Sie sind verroht, kampferprobt, haben Menschen umgebracht. Aber wir müssen auch auf diejenigen gucken, denen wir die Ausreise in Kriegsgebiete mit unseren ausländerrechtlichen Möglichkeiten untersagt haben. Auch die sind gefährlich, denn viele von denen sagen sich: Wenn ich da unten nicht kämpfen kann, dann eben hier.
Wie viele potenzielle Terroristen aus dem islamistischen Spektrum stehen derzeit in NRW unter Beobachtung?
Die hiesige Szene ist recht ausgeprägt im Vergleich zu anderen Bundesländern. Die Polizei hat in NRW mehr als 500 Personen näher im Blick, darunter etwa 170, die als sogenannte Gefährder eingestuft sind. Das ist eine beachtliche Zahl, die täglich schwankt. Viele sind tickende Zeitbomben. Sie haben keine Angst um ihr eigenes Leben. Das macht sie gefährlicher als andere Straftäter.
Und wie viele leben in Köln?
In Köln und Umgebung sind gut ein Dutzend Personen als Gefährder eingestuft. Unsere Staatsschutzdienststelle betreibt einen großen Aufwand, um diese Personen unter Kontrolle zu halten.
Der Kampf gegen Autoknacker und neue Formen der Kriminalität
Stephan Becker über den Kampf gegen Autoknacker:
Vor zwei Wochen sind Täter nachts in zwei BMW-Autohäuser in Köln und Leverkusen eingebrochen, sie haben reihenweise Navigationsgeräte und Airbags entwendet. Meines Erachtens ist bei diesem Thema nicht nur die Polizei in der Pflicht, sondern auch die Autofirmen – vor allem BMW. Die Autos können selbst fahren, selbst bremsen und selbst einparken. Aber was einige Hersteller angeblich nicht können, ist, Navigationsgeräte einzubauen, die nach einem Diebstahl untauglich gemacht werden können. Wenn man als BMW-Fahrer irgendwann zum vierten Mal betroffen ist, hat das mit Freude am Fahren nichts mehr zu tun.
Stephan Becker über neue Formen der Kriminalität:
Wir erleben eine zunehmende Internationalisierung und Professionalisierung der Kriminalität. Vor einigen Jahren war die Organisierte Kriminalität im Großen und Ganzen aufgeteilt in die klassischen Bereiche Rocker, Rotlicht, Rauschgift und Baumafia. Aktuell ist zum Beispiel der Betrug durch russische Pflegedienste hinzugekommen. Da gehen Milliarden über den Tisch, aber der Bürger nimmt das nicht so wahr, weil er selten unmittelbar betroffen ist.
Inzwischen gibt es qualifizierte Bandenkriminalität auch im Bereich Navi-Diebstahl, bei Wohnungseinbrüchen – und neuerdings auch bei Ladendiebstählen. Wir haben Hinweise auf georgische Tätergruppen, die das organisiert tun. Sie haben es vor allem abgesehen auf Elektronikartikel und hochwertiges Parfüm. Die Beute schicken sie nach Georgien, von dort aus wird sie weitervertrieben. Teilweise dieselben Täter stellen wir auch als Wohnungseinbrecher fest.
Stephan Becker über Datenwust bei Ermittlungen:
Egal, in welchem Bereich wir ermitteln: Wir finden immer und immer mehr Daten, ganz extrem ist das bei der Kinderpornografie. Die Auswertung in diesem Bereich ist für die Kollegen nicht nur aufwendig, sondern auch sehr belastend.
Oder nehmen Sie Silvester: Da existiert eine Menge an Videomaterial und Handydaten, die alle dezidiert ausgewertet werden müssen. Hinzu kommen steigende Zahlen im Bereich Internetkriminalität, wo es meistens zahlreiche Ermittlungsansätze gibt. Das alles fordert uns sehr. Da ist es hilfreich, dass wir noch einmal zwei zusätzliche Stellen für die IT-Auswertung bewilligt bekommen haben.
Hohe Einbruchszahlen und der Erfolg gegen Taschendiebe
Stephan Becker über die hohen Einbruchszahlen:
In Köln bleiben 47 Prozent aller Einbrüche im Versuch stecken – meistens, weil die Täter wegen technischer Sicherungen nicht ins Objekt kommen. Landesweit sind es etwa 43 Prozent, wir wollen Richtung 50 Prozent. Leider investieren viele erst, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist. Für Einbruchssicherungen gibt es heute schon Fördermittel der KfW. Aber es müsste noch mehr finanzielle Anreize geben. Versicherungen könnten ein Anreizsystem schaffen für alle, die ihre Wohnungen und Häuser vernünftig sichern.
In Kalk läuft außerdem gerade ein Pilotprojekt: Spezialisierte Beamte der Schutzpolizei suchen die Tatorte auf und nehmen die Anzeigen auf. So ist die Qualität in der Anzeigenbearbeitung gestiegen. Die Kollegen befragen auch Zeugen und erkennen eher Tatzusammenhänge, als wenn zu jedem Einbruch ein anderer Streifenwagen fährt. Wir prüfen gerade, ob wir das Projekt ausweiten.
Stephan Becker über Erfolge gegen Taschendiebe:
Die Zahlen sind drastisch gesunken. Vor allem die Szene der nordafrikanischen Taschendiebe rund um den Dom haben wir durch die zahlreichen Kontrollen aufgerieben. Die Täter sind stark verunsichert, das ist für die im Moment einfach nicht mehr lukrativ. Der ein oder andere will weggehen aus Köln, darüber wäre ich sehr froh.
Was wir dabei nicht beobachten, ist die klassische Verdrängung an andere Orte in der Stadt. Wir sind da aber nicht blauäugig. Aus Tätersicht ist seit der Silvesternacht ein Vakuum entstanden, aber andere werden versuchen, in diese Lücke zu stoßen. Das wissen wir, und darauf bereiten wir uns vor.