Opfer der Kölner RAF-AttentäterGedenkstein für Schleyers toten Fahrer

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Ute T. am Gedenkstein für ihren Vater Heinz Marcisz auf dem Nordfriedhof. 

Köln – Als vier RAF-Terroristen ihren Vater in Braunsfeld erschießen, ist Ute T. 14 Jahre alt. Heinz Marcisz, Chauffeur bei Daimler Benz, stirbt im Herbst 1977 im Kugelhagel auf der Vincenz-Statz-Straße, als das „Kommando Siegfried Hausner“ den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer von der Rückbank kidnappt.

Immer drehte sich alles nur um Schleyer

Bis heute hat Ute T. den Tätern nicht vergeben. Jahrzehntelang litt sie außerdem darunter, dass sich in der Öffentlichkeit immer alles nur um Schleyer drehte, wenn von der Entführung die Rede war, die letztlich auch für den Industrieboss tödlich endete. „Von meinem Vater und auch von den drei getöteten Leibwächtern sprach ja fast niemand“, sagt die heute 55-Jährige.

Grab vor elf Jahren eingeebnet

Vor elf Jahren wurde dann auch das Grab ihrer Eltern auf dem Nordfriedhof eingeebnet – Ute T. konnte die Kosten für die Pflege nicht mehr aufbringen, erzählt sie. Sie bat die Friedhofsverwaltung darum, die Grabstelle abzuräumen. „Das war sehr traurig, aber ich dachte mir: In meinem Herzen leben meine Eltern weiter.“

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Ein Foto ihres Vaters trägt Ute T. immer bei sich.

Nun aber nimmt die Geschichte eine überraschende Wendung, eine, die Ute T. selbst nie für möglich gehalten hätte, wie sie sagt. Seit voriger Woche liegt ein Gedenkstein an jener Stelle, wo bis 2007 das Grab ihrer Eltern war.

Bericht im „Kölner Stadt-Anzeiger“ brachte Bewegung

Und das kam so: Als erstmals der „Kölner Stadt-Anzeiger“ voriges Jahr über Ute T. und ihre Geschichte schrieb, konnte der Kölner Unternehmer Peter Jungen kaum glauben, was er da las. Er setzte einen Brief an Oberbürgermeisterin Henriette Reker auf: „Dass die Stadt Köln das Grab im wahrsten Sinne des Wortes platt gemacht hat, spricht für die Instinktlosigkeit der zuständigen Stellen“, heißt es darin.

Einige Tage später gedenkt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einer Feierstunde in Berlin anlässlich des 40. Jahrestags der Ermordung Schleyers ausdrücklich auch den Hinterbliebenen der übrigen Opfer. Und auch die Daimler Benz AG drückt in Zeitungsannoncen allen Opfern und Angehörigen ihr „tiefstes Mitgefühl“ aus.

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Unternehmer Jungen übernimmt Kosten

Jungen setzt in einer Mail an das OB-Büro noch einmal nach: „Der Vorgang bezüglich der Grabstätte hier in Köln hätte kaum so geschehen können, wenn auch die Stadtverwaltung in Köln ein tiefes Mitgefühl gegenüber den Hinterbliebenen gezeigt hätte. Das war aber offensichtlich nicht der Fall“, schreibt er und bietet an, die Kosten für die Gedenkstätte zu übernehmen – was er nun getan hat.

Gedenkstein auf Flur 10

Das Ergebnis ist der Stein auf Flur 10. „Hier ruht im Grab der Familie Marcisz Heinz Peter Marcisz, Fahrer von Hanns Martin Schleyer, ermordet von RAF-Terroristen“, steht darauf. Friedhofsmitarbeiter wollen die Steinplatte demnächst noch ein Stück aufrichten und schräg stellen, so dass sie vom Weg aus besser gesehen wird. Womöglich legen auch Friedhofsführer hier bald einen Stopp ein.

Amtsleiter weist Vorwurf zurück

Manfred Kaune, Chef des Amts für Landschaftspflege und Grünflächen, freut sich über den Gedenkstein. Den Eindruck, die Stadtverwaltung habe instinktlos gehandelt, weist der Amtsleiter zurück. Die Übernahme von Gräbern durch die Stadt erfolge nur bei Ehrenbürgern, erklärt Kaune.

Und auch für die Pflege einzelner Gräber trage die Stadt nur dann Sorge, wenn der oder die Verstorbene vor dem Hauptausschuss zu einem verdienstvollen Bürger der Stadt ernannt worden sei. Beim Schleyer-Chauffeur Marcisz war beides nicht der Fall.

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Ein Mann macht am 5. September 1977 Fotos vom Tatort der Entführung des damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer durch die Rote Armee Fraktion in Köln.

„Ich freue mich, dass wir gemeinsam mit der Tochter und einem engagierten Bürger eine sehr gute Lösung gefunden haben“, sagt Kaune. So habe eine Grabstätte und damit ein „stadthistorisch bedeutendes Zeugnis“ erhalten werden können.

Tochter Ute T. ist dankbar

Ute T. ist dankbar. „Das ist eine große Ehre für mich und meine Familie“, sagt sie. „Es bringt meinen Vater nicht zurück, aber ich werde jetzt wieder öfters hierherkommen.“

Terrorattentat vor mehr als 40 Jahren

Am 5. September 1977 entführten Terroristen der Rote Armee Fraktion (RAF) den damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer auf dessen Heimweg in der Vincenz-Statz-Straße in Braunsfeld. Sie erschießen dabei die drei Polizisten Reinhold Brändle (41), Helmut Ulmer (24) und Roland Pieler (20) sowie Schleyers Kölner Chauffeur, Heinz Marcisz (41). Schleyers Leiche wurde am 19. Oktober 1977 im Kofferraum eines Autos in der elsässischen Stadt Mühlhausen gefunden.

In gerade einmal eineinhalb Minuten sollen die Terroristen am Tatort in Köln 119 Schüsse abgegeben haben. Marcisz erlag seinen Verletzungen an Ort und Stelle. Die Familien Marcisz und Schleyer verband 1977 eine vertrauensvolle Beziehung. Wenn Schleyer, der in Stuttgart lebte und unter der Woche in Köln arbeitete, in der Stadt war, wollte er nur von Marcisz gefahren werden. Dessen Ehefrau erledigte Haushalts- und Reinigungsarbeiten in Schleyers Wohnung an der Raschdorffstraße in Braunsfeld. (ts)

So wie sie es vor 2007 regelmäßig tat, um am Grab mit ihren Eltern zu sprechen. Nur zwei Jahre nach dem Anschlag auf ihren Vater war 1979 auch ihre Mutter gestorben, vermutlich an den Folgen einer Thrombose. „Sie wollte sich nicht operieren lassen“, sagt Ute T. „Ich glaube, der Tod meines Vaters hatte sie zu sehr mitgenommen, sie wollte einfach nicht mehr.“

In einer Fernsehtalkshow saß Ute T. vor 16 Jahren dem ehemaligen RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock gegenüber. Er war an der Entführung Schleyers beteiligt. Doch Boock habe sie keines Blickes gewürdigt, sagt die 55-Jährige. Bis heute warte sie auf eine Entschuldigung der Terroristen. 

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