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Kommentar

„Orange Days“
Kölner Aktivistinnen verwandeln Ohnmacht in Aufklärung über Femizide

Ein Kommentar von
3 min
Derya (24) und ihr Sohn Kian (4) wurden vor einem Jahr in Köln ermordet.

Derya (24) und ihr Sohn Kian (4) wurden vor einem Jahr in Köln ermordet.

Ein preisgekröntes Projekt von jungen, ehrenamtlicher Frauen aus Köln macht den Skandal von „Femiziden“ sichtbarer.

Wie jedes Jahr am 25. November erinnern die „Orange Days“ heute daran, dass Frauen und Mädchen besonders häufig Opfer von Gewalt werden. Allein die gerade vom Bundeskriminalamt veröffentlichte Statistik für das Jahr 2024 zeigt, dass die Kampagne der Vereinten Nationen auch in Deutschland keineswegs an Relevanz verliert.

Im Gegenteil: Die polizeilich erfassten Zahlen zu weiblichen Opfern sind in fast allen betrachteten „Deliktsgruppen“ gestiegen: Sexualstraftaten, häusliche Gewalt, frauenfeindliche Straftaten, digitale Gewalt. Mehr Anzeigen, das wird mitunter auch als Fortschritt interpretiert: Der Mut von Frauen, auch zeigen, ist gestiegen. Hoffentlich! Die Dunkelziffer der nicht angezeigten Taten dürfte aber immer noch sehr hoch sein – und bleiben.

Warum ich diese bedrückende Realität zum Gegenstand einer Kolumne mache, die sich „Die Optimistin“ nennt? Weil es in diesem Zusammenhang ein Projekt gibt, das mich ungemein berührt hat. Es zeigt, wie selbst eine noch so schreckliche Tat zu beispielhaftem Handeln führen kann.

Kölner Projekt macht Femizide sichtbar und erhält großen Zuspruch

Dafür muss ich etwas ausholen: Im November 2021 wurden die 24 Jahre alte Kölnerin Derya S. und ihr vier Jahre alter Sohn Kian mit vielen Messerstichen ermordet und im Niehler Hafen in den Rhein geworfen, als wären sie Abfall. Der Mörder von Mutter und Sohn war der Kindsvater, der nicht bereit war, Unterhalt für Kian zu zahlen, nachdem das Jugendamt ihn dazu verurteilt hatte. Er wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

Ein Jahr nach der Tat, die viele Menschen in Köln erschütterte, sprach der „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit Deryas Vater, der damals Medikamente nehmen musste, um einigermaßen durch den Tag zu kommen. Zu Wort kam auch Deryas beste Freundin, die sich erinnerte: „Ihr Lachen war ansteckend. Sie war die liebevollste und herzlichste Person, die es gibt.“ Der Kölner Doppelmord hat zwei von Deryas Schulfreundinnen dazu bewegt, den Instagram-Kanal „Femizide stoppen“ zu starten. Es war ihre persönliche Strategie gegen das Gefühl von Ohnmacht.

Daraus ist in den vergangenen drei Jahren ein beeindruckendes Aufklärungsprojekt erwachsen. Ein kleines Team junger, ehrenamtlicher Frauen macht Femizide – Tötungen von Frauen wegen ihres Geschlechts, in den allermeisten Fällen begonnen von Partnern oder Ex-Partnern, öffentlich. Hinter den vielen Einzelfällen soll das strukturelle Problem sichtbar werden.

Der Instagram-Kanal klärt auf über Gewalt gegen Frauen, er vernetzt und sorgt für Solidarität über Städte und betroffene Angehörige hinweg. Das Team um Lilly wertet Fälle aus, verfolgt Gerichtsprozesse, organisiert Lichterketten – anonym, weil den Aktivistinnen im Netz auch Hass entgegenschlägt. Vor wenigen Wochen ist der Kanal mit dem „Grimme Online Award“ ausgezeichnet worden. Zur Preisverleihung brachten die Frauen ein großes Foto von Derya und Kian mit auf die Bühne – eine rührende Geste.

Bislang existiert laut Bundeskriminalamt keine bundeseinheitliche Definition des Begriffs „Femizid“. Die Kriminalstatistik erfasst auch keine Tatmotive. Mit anderen Worten: Es „zählt“ niemand mit, so wie Lilly und ihr Team es versuchen, mit geringsten Mitteln und dabei sicher auch nicht fehlerfrei. Doch mittlerweile haben sich die Polizeibehörden des Bundes und der Länder ausdrücklich dafür ausgesprochen, eine solche einheitliche polizeiliche Definition zu Femiziden zu erarbeiten – um sie künftig statistisch erfassen zu können. Das ist eine zweite hoffnungsvolle Nachricht zu einem traurigen Tag, der noch sehr viel mehr Anlass zum Handeln gibt.

Sarah Brasack ist stellvertretende Chefredakteurin. In der Kolumne „Die Optimistin“ schreibt sie im Wechsel mit anderen Autorinnen über Dinge, die Anlass zur Freude geben, und das, was in der Welt gut läuft. Die Autorin war in diesem Jahr Jury-Vorsitzende des Grimme Online Awards und hat die Laudatio auf „Femizide stoppen“ gehalten.