Schwarzfahren bald keine Straftat mehr?„Einsteigen und mitfahren ist kein krimineller Akt“

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Eine KVB-Bahn mit de Ziel Sülz fährt auf Gleisen, auf denen das Wort Schwarzfahren steht.

Wer ohne gültigen Fahrschein die Bahn benutzt, begeht eine Straftat und kann ins Gefängnis kommen.

Die SPD will, dass Schwarzfahren keine Straftat mehr ist. Eine gute Idee?

Schwarzfahren gilt immer noch als Straftat. Wer sich ohne Ticket in den Bus setzt, kann bis zu einem Jahr im Gefängnis landen. Eine unverhältnismäßige Disziplinierung, die abgeschafft werden muss? Gerhard Voogt sagt Nein und argumentiert damit, dass nur die Abschreckung Menschen von unsolidarischem Verhalten abhält. Claudia Lehnen sagt Ja. Wer nur einsteigt, darf nicht kriminalisiert werden.

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen auf einer Bank vor einem Stadion, in dem gerade Beyoncé ein Live-Konzert performt. „Crazy in Love“ basst in voller Lautstärke bis in Ihre Ohren. Sie nicken mit dem Kopf, singen mit. Ein zumindest akustisches Erlebnis, für dessen Genuss andere viel Geld bezahlt haben. Und Sie? Haben sich das Spektakel erschlichen. Zum Nulltarif. Würde mich nicht wundern, wenn Sie dafür irgendwann vor Gericht stehen und sogar im Gefängnis landen würden.

Was ich schreibe sei Quatsch? Sie hätten ja gar nichts getan? Nur zugehört? Machen Sie es sich da mal nicht zu leicht. Das vergleichbare Erschleichen einer Busfahrt gilt derzeit zum Beispiel als kriminell. Wer ohne Ticket KVB fährt, muss beim Kontrolleur nicht lediglich ein erhöhtes Beförderungsentgelt entrichten. Er begeht zusätzlich und unabhängig vom Bezahlen dieser 60 Euro eine Straftat, die mit bis zu einem Jahr Haft geahndet werden kann. Darüber hinaus kommen Schwarzfahrer auch deshalb oft ins Gefängnis, weil sie arm sind und die angesetzte zusätzliche Geldstrafe, die mehrere Tausend Euro betragen kann, nicht aufbringen können.

Es gibt seit Jahren Experten, die für eine Gesetzesreform plädieren. Wer im Supermarkt Kaugummis einsteckt, handelt. Ebenso wie jemand, der über einen Zaun ins Schwimmbad einsteigt. Wer handelt, kann eine Tat begehen, die das Strafrecht sanktionieren kann. Wer in die Straßenbahn einsteigt, tut dagegen erstmal: Nichts.

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen, geboren 1978, ist Chefreporterin Story/NRW. Nach der Geburt ihres ersten Kindes begann sie 2005 als Feste Freie beim Kölner Stadt-Anzeiger. Später war sie Online-Redakteurin und leitet...

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Der Deutsche Richterbund will deshalb, dass Schwarzfahren nur dann strafrechtlich verfolgt werden soll, wenn Zugangsbarrieren oder Zugangskontrollen umgangen werden. Den Busfahrer austricksen könnte demnach strafbar sein, ebenso wie das Klettern über eine Sperre. Dafür ist kriminelle Energie nötig. Für Einsteigen und Mitfahren nicht. Eine Bagatelle in Läusegröße verglichen mit der Riesenkeule Strafrecht, die hernach geschwungen wird. Letztere soll nur dann zum Einsatz kommen, wenn der Bürger anderweitig gar nicht mehr zur Ordnung gerufen werden kann und die öffentliche Sicherheit gefährdet ist. Wer ausnutzt, dass es keine Barriere am Bus gibt, stellt eher keine Bedrohung für die Allgemeinheit dar. Zur Disziplinierung würde das erhöhte Beförderungsentgelt ausreichen.

Überlegenswert wäre eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit, so wie das beispielsweise beim Falschparken der Fall ist. Wer einen Radweg blockiert, muss nur mit einem Bußgeld rechnen. Strafrechtlich belangt werden, kann er nicht.

100.000 Anzeigen im Jahr, viel Papier für wenig Wirkung

Im Blick haben sollte man schließlich auch die überlastete Justiz. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen geht von rund 350 Millionen Schwarzfahrern aus. In die Kriminalstatistik Eingang finden nur die Fälle, bei welchen die Verkehrsbetriebe tatsächlich Anzeige erstatten, das passiert meist erst im Wiederholungsfall. Im Jahr macht das mehr als 100.000 Anzeigen. Viel Papierkram. Kosten für die Verfahren: Etwa 200 Millionen Euro. Dabei leben die meisten der gut 7000 Menschen, die wegen Schwarzfahrens deutschlandweit tatsächlich im Gefängnis sitzen, in finanziell schwierigen bis aussichtslosen Verhältnissen: Obdachlose, Drogen- und Alkoholabhängige, Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen oder desolaten körperlichen Gesundheitszuständen. Sie haben oft kein Geld für die Fahrt zum Arzt. Was sie brauchen, ist keine Kriminalisierung, sondern ein Sozialticket.

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