Vermisstensuche„Ich würde mein letztes Hemd geben, um zu erfahren, was passiert ist“

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Mit diesem Foto sucht die Polizei nach Jan Gavin Friedrichs Bus.

Mit diesem Foto sucht die Polizei nach Jan Gavin Friedrichs Bus.

Köln – Das erste Jahr war das härteste. Geschlafen habe sie kaum, erzählt Sabine Friedrichs, obwohl sie völlig erschöpft gewesen sei. Zermürbt von Spekulationen, Sorgen und Ängsten, gequält vom Gefühl, ihrem Sohn nicht helfen zu können. „Immerzu ratterte es in meinem Kopf“, sagt Friedrichs am Telefon. Aber alle Gedanken mündeten letztlich immer in die beiden Fragen: Wo ist Jan? Was ist ihm mit ihm geschehen?

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Unsere besten Texte 2021 – dieser Text ist erstmals am 4. Juli 2021 veröffentlicht worden.

Auch 20 Jahre später gibt es darauf keine Antworten. Der Fall des im Jahr 2000 von Mülheim nach Portugal ausgewanderten Jan Gavin Friedrichs ist einer der rätselhaftesten Vermisstenfälle der Kölner Polizei. Streng genommen: der portugiesischen Polizei.

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Und das ist ein Teil des Problems. Denn die Spur des damals 25 Jahre alten Landschaftsgärtners verliert sich am Abend des 12. Juni 2001 in Santa Clara, 80 Kilometer nördlich von Lagos an der Algarve. Zuständig für die Ermittlungen ist die örtliche Polizei. Aber die arbeitet nicht mit jener Entschlossenheit, die Jans Eltern sich wünschen und die nach ihrer Überzeugung angemessen wäre.

Trotz Hinweisen gibt es keine neue Erkenntnisse

Die Kripo in Köln kann zwar in gewissem Rahmen eigene Nachforschungen anstellen und über das Bundeskriminalamt an die Kollegen in Portugal übermitteln. Aber was diese dann daraus machen, liegt in deren Ermessen.

Im August vorigen Jahres hat der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erstmals über den Fall berichtet, der in der Öffentlichkeit bis dahin unbekannt war.

Seit 20 Jahren fehlt von Jan Gavin Friedrichs jede Spur.

Seit 20 Jahren fehlt von Jan Gavin Friedrichs jede Spur.

Eine Ermittlerin der Kölner Polizei war Ende 2019 durch Befragungen in Jans Freundeskreis an ein Foto gelangt, das den auffälligen schwarz-gelben VW-Bus von Jan Friedrichs an einem Strandabschnitt zeigt, der zunächst nicht identifiziert werden konnte. Nach der Berichterstattung meldeten sich Zeugen, die zwar den Strand auf dem Bild erkannten: den Praia do Amado in der Nähe von Lagos, ein beliebter Treffpunkt für Surfer aus aller Welt.

Aber es meldete sich niemand, der Jan oder seinen Bus nach dem 12. Juni 2001 noch gesehen hatte. Seit jenem Dienstagabend fehlt jedes Lebenszeichen des Kölners. Aber auch eine Leiche. Ist der 25-Jährige freiwillig untergetaucht? Gab es einen Unfall? Oder wurde er umgebracht? Für Jans Vater steht fest: Am wahrscheinlichsten ist ein Tötungsdelikt. „Ich habe keine vernünftige Erklärung für eine andere Möglichkeit“, sagt Manfred Friedrichs.

Viele Fragen bleiben offen

Wenn Jan aus freien Stücken abgehauen sein sollte – warum hat er dann seine Herztabletten, die Brille und sein Handy in der Wohnung zurückgelassen? Wenn er verunglückt ist – warum hat bisher niemand seine Leiche gefunden? Aber auch für einen Mord haben die portugiesischen Ermittler bisher keine Beweise. Konkrete Tatverdächtige schon gar nicht.

An einem windigen Tag Ende Mai sitzt Manfred Friedrichs im Rheinpark in Deutz und blättert durch ein Fotoalbum, das sein Sohn ihm kurz vor seinem Verschwinden zum Geburtstag geschenkt hat.

Der Vater zeigt Bilder aus gemeinsamen Urlauben, Postkarten, die Jan ihm von seinen Reisen in die Welt geschickt hat. Jan in Australien. Jan in Malaysia. Jan in Tunesien, Thailand, Singapur, Indonesien, auf den Philippinen. Jan mit nacktem Oberkörper beim Bungeespringen, mit Strohhut in der Wüste. Seinen 18. Geburtstag hat er im Flieger nach Sydney gefeiert, ganz allein. Die Crew hat ihm eine Flasche Sekt geschenkt.

„Er war ein Menschenfreund, friedfertig und ein bisschen idealistisch. Die ganze Welt war ein Dorf für ihn“, sagt Manfred Friedrichs. Abenteuerlustig sei sein Sohn gewesen, unerschrocken und am liebsten mit Rucksack unterwegs. Kontakte knüpfen fiel ihm leicht, aber er kam auch gut allein zurecht. Auf einer Insel vor Australien hat er drei Wochen einsam in einem Zelt gelebt. „Er war noch jung, er wollte leben, surfen und Spaß haben“, sagt der Vater. Aber die Strandmatte sei nicht sein ewiges Ziel gewesen. „Er hatte seinen Weg einfach noch nicht gefunden. Da war für mich auch nichts Falsches dran.“

Freunde beschreiben Jan als „treue Seele“

Beruflich hat Jan vieles ausprobiert, hat Landschaftsgärtner bei Bayer in Leverkusen gelernt und als Produktionshelfer bei TV-Firmen in Köln gejobbt. Aber nirgends hielt es ihn lange. Im Grunde wollte er nur Geld verdienen, um seine nächste Reise zu finanzieren. Eine Stelle bei einer Logistikfirma in Porz gab er nach sechs Wochen wieder auf, weil die Schicht morgens um 6 Uhr begann. Seinem Vater, der ihm den Job verschafft hatte, sagte er zur Begründung: „Papa, ich muss abends immer so früh ins Bett, ich kriege gar nichts mehr vom Leben meiner Freunde mit.“ Typisch Jan.

Der schwarz-gelbe VW-Bus, mit dem der vermisste Kölner Jan Gavin Friedrichs in Portugal unterwegs war

Der schwarz-gelbe VW-Bus, mit dem der vermisste Kölner Jan Gavin Friedrichs in Portugal unterwegs war

Einer seiner Jugendfreunde ist Daniel Mays. Er hat Jan als „treue Seele“ in Erinnerung, als zuverlässigen Begleiter, mit dem er Billard spielen und feiern gehen, aber auch gute Gespräche führen konnte. „Jan an seiner Seite zu wissen, war beruhigend“, sagt Mays. Hektisch und schroff habe er Jan nur beim Tischkicker erlebt. „Wir nannten ihn den Eisenbieger, weil er immer so ruppig mit den Stangen umging“, sagt Mays und lacht.

Sowohl er als auch Jans Eltern, die seit Jahren in Scheidung leben, sind überzeugt davon, dass Jan Gavin Friedrichs tot ist. Seit 2001 waren die Eltern mehrfach in Portugal, haben versucht, von dort die Ermittlungen der Polizei anzuschieben.

Sabine Friedrichs hat Flyer geklebt, „an allen Stränden in der Gegend“. Sie hat die Umgebung von Santa Clara auf eigene Faust nach Hinweisen durchkämmt, dutzende Zeugen, Freunde und Nachbarn befragt. „Ich würde mein letztes Hemd geben, um zu erfahren, was mit Jan passiert ist“, sagt sie.

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Inzwischen finde sie zwar wieder besser in den Schlaf. Geblieben aber sei der immer gleiche Alptraum, der sie in manchen Nächten hochschrecken lässt: Jemand tötet ihren Sohn bei lebendigem Leib. „Abschließen kann ich erst, wenn man Jan gefunden hat.“ Die Trauer werde zwar auch danach noch da sein, ist Sabine Friedrichs sicher, „aber sie ist dann eine andere.“

Trost findet die Mutter in einem Detail: „Jan wurde nur 25 Jahre alt, aber er hat so intensiv gelebt wie kein Zweiter.“ Auch der Vater hat einen Lichtblick in all der Finsternis ausgemacht.

Er habe Jan stets nur einen Auftrag für sein Leben mitgegeben, sagt er: dass er glücklich sein soll. „Und ich glaube“, fügt Manfred Friedrichs hinzu, „das war er auch.“ Offiziell gilt Jan Gavin Friedrichs weiterhin als vermisst.

Unsere besten Texte 2021 – dieser Text ist erstmals am 4. Juli 2021 veröffentlicht worden.

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