Wo steht Köln?Kölner Drogenszene: „Die Verelendung hat zugenommen“

Lesezeit 4 Minuten
An der HUGO Passage am Neumarkt, Dealer und Konsumenten treffen aufeinander. Zwei Passanten auf der Treppe zur U-Bahn. Hier findet gerade ein Geschäft statt.

Eine Drogenübergabe an den U-Bahn-Treppen am Neumarkt.

Daniel Deimel, Professor für Klinische Sozialarbeit, spricht im Interview über die Kölner Drogenszene und die prekäre Situation am Neumarkt.

Daniel Deimel ist Professor für Klinische Sozialarbeit an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen und wohnhaft in Köln. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren unter anderem mit Suchtforschung und Obdachlosigkeit und hat in Köln in der Suchthilfe gearbeitet. Im Interview spricht er über die Situation auf dem Neumarkt und die Drogenszene in Köln.

Herr Deimel, wie groß ist die „Szene“ schwer drogenabhängiger Menschen in Köln?

Es existieren bisher keine validen Daten, welche Aussagen über Größe der offenen Drogenszene in Köln ermöglichen. Schätzungen gehen davon aus, dass sich zu unterschiedlichen Zeiten jeweils rund 300 Personen in den Szene-Treffpunkten im Stadtgebiet aufhalten. Davon sind es rund 100 Personen am Neumarkt. Die Zahl der Opiodabhängigen ist natürlich deutlich höher. Diese Menschen werden aber sehr gut durch das Hilfesystem erreicht. Etwa 50 Prozent dieser Menschen befinden sich bundesweit in Substitutionsbehandlung.

Warum ist die „Szene“ in Köln vergleichsweise so groß?

Vergleicht man die offene Drogenszene in Köln mit anderen Großstädten wie Hamburg, Berlin oder Frankfurt, muss man sagen, dass sie gar nicht überdurchschnittlich groß ist. Diese Menschen fallen inzwischen aber deutlich stärker auf, da die Verelendung zugenommen hat. Mit dem Einzug von Crack, also rauchbarem Kokain, in der Szene haben wir es mit einer Substanz zu tun, die stark abhängig macht und mit deutlichen psychischen, körperlichen und sozialen Problemen einhergeht. Zudem sind mehr Menschen in der Drogenszene anzutreffen, die aufgrund von Fluchtbiographien und Migrationshintergrund mit dem Hilfesystem nicht vertraut sind. Hier gibt es kulturelle und sprachliche Schwierigkeiten, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Hilfeeinrichtungen stark fordern. Zudem ist die Obdachlosigkeit im Stadtbild sichtbarer.

Wie kommt es, dass sich besonders am Neumarkt so viele Menschen mit Drogensucht treffen und warum ist dort die „Szene“ zuletzt so stark gewachsen?

Der Neumarkt war auch in den 1990er Jahren Treffpunkt der Drogenszene, dies ist also keine neue Entwicklung. Es ist ein zentraler Ort, der aus allen Himmelsrichtungen mit der U-Bahn sehr gut erreichbar ist. Das Umfeld ist geprägt durch Geschäfte und Bürogebäude und es herrscht dort eine gewisse Anonymität. Leerstehende und ungenutzte Gebäude, wie der ehemalige Kaufhof-Komplex, sind ideale Orte, in dessen Umfeld sich Drogenszenen verorten.

Kritik gab es zuletzt, weil das Angebot des Drogenkonsumraums am Neumarkt wegen zu kurzer Öffnungszeiten nicht so stark genutzt werden kann, wie es nachgefragt wird. Wie könnte sich die Situation mit einem durchgehend geöffneten Drogenkonsumraum ändern?

Daniel Deimel, Professor für Klinische Sozialarbeit, lächelt in die Kamera.

Daniel Deimel, Professor für Klinische Sozialarbeit

Suchthilfeeinrichtungen, wie der Drogenkonsumraum, haben in erster Linie eine gesundheitsfördernde Funktion, indem direkte Konsumschäden minimiert werden und das Überleben der Erkrankten gesichert wird. Natürlich haben diese Einrichtungen auch einen positiven Effekt im Sozialraum, wenn der Konsum nicht mehr im öffentlichen Raum stattfindet. Diese Einrichtungen müssen so ausgestattet werden, dass sie den Bedarf der Nutzerinnen und Nutzer entsprechen. Das bedeutet, die Öffnungszeiten müssen an sieben Tagen in der Woche von früh bis spät erfolgen.

Das sogenannte „Züricher Modell“ hat in der schweizerischen Stadt Erfolge gezeitigt, indem dezentral Drogenkonsumräume mit jeweils unterschiedlichen Öffnungszeiten angeboten werden. Wäre das auch in Köln praktikabel?

In der Schweiz hat man früh und sehr erfolgreich einen Weg eingeschlagen, den Problemen mit Opiodabhängigkeit und offenen Drogenszenen zu begegnen. Hierzu gehören neben Drogenkonsumräumen und der Substitutionsbehandlung auch die niedrigschwellige Originalstoffvergabe von Opioden sowie das Angebot von Drug Checking. Diese Angebote sollten wir auch in Köln vorhalten. Weitere Konsumräume im Rechtsrheinischen sind sich auch erforderlich, um dem Bedarf zu entsprechen.

Welche Möglichkeiten gibt es sonst noch, die Situation in Köln zu entschärfen?

Das Suchthilfesystem muss an den Bedarfen der Adressatinnen und Adressaten ausgerichtet und entsprechend solide ausgestattet sein. Hierfür wäre es sehr sinnvoll Studien durchzuführen, die abschätzen lassen, wie viele Menschen sich in der offenen Drogenszene aufhalten und welche Hintergründe und Bedarfe diese Menschen haben. So können zielgerichtete Hilfen entwickelt und implementiert werden. Andere Städte, wie Frankfurt, sind mit dieser Strategie erfolgreich. Daneben sollte eine Entkriminalisierung der Konsumentinnen und Konsumenten vollzogen werden, da nur so der soziale Konflikt nachhaltig gelöst werden kann. Portugal ist hier ein sehr gutes Beispiel für diesen Weg.

KStA abonnieren