Alexandr Kabanov„Ich hoffe, dass Putin elendig zugrunde geht“

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Alexandr Kabanov

  • Der ukrainische Lyriker Alexandr Kabanov gehört zu den bekanntesten Schriftstellern seines Landes.
  • Im Interview erzählt er, wie er in Kiew den Krieg erlebt, warum er auf Russisch schreibt – und was er davon hält, dass Deutschland weiter Öl und Gas aus Russland bezieht.

Herr Kabanov, als die russische Armee in die Ukraine einmarschiert ist und auch Kiew bombardiert wurde, haben Sie sich entschieden, mit ihrer Frau in der Stadt zu bleiben. Hatten Sie überlegt, zu fliehen?

Alexandr Kabanov: Nein, obwohl Freunde aus Europa, Israel und den USA uns angeboten haben, zu kommen und bei ihnen zu leben. Männer im wehrfähigen Alter dürfen die Ukraine momentan ohnehin nicht verlassen. Wie wollten aber auch nirgendwo hin. Vor dem Krieg kann man nicht fliehen. In Kiew haben wir unser Haus, wir lieben unsere Stadt. Uns war klar, dass wir bleiben werden.

Wie geht es Ihnen im Angesicht des Krieges?

Alles zum Thema Wolodymyr Selenskyj

Wie wohl den meisten Menschen, die in Kiew geblieben sind: Wir sind voller Unruhe und Sorge, aber auch voller Hoffnung auf unsere Streitkräfte und unseren Oberbefehlshaber, Präsident Wolodymyr Selenskyj. Wir wissen, dass Kiew gut geschützt ist und die Einwohner mit allem, was sie haben, um ihre Heimat kämpfen werden. Der Zusammenhalt ist groß.

Ich weiß, wie man schießt, ich war in der Sowjetarmee

Haben Sie in den vergangenen Wochen gelernt, mit Waffen umzugehen?

Ich weiß seit meinem Dienst für die Sowjetarmee, wie man schießt. Ich war übrigens eine zeitlang so etwas wie ein Besatzer Deutschlands (lacht) – ich war als junger Mann für eine Raketenbrigade der sowjetischen Streitkräfte in der DDR stationiert.

Rechnen Sie damit, dass Sie selbst an die Front müssen?

Eher nicht. Es gibt vier Mobilisierungsprioritäten, die erste und zweite wird momentan gezogen. Ich bin 53 Jahre alt und gehöre damit zur letzten Welle, da ich zudem nicht gesund bin, ist es unwahrscheinlich, dass ich in die aktive Armee eingezogen werde. Der Oberbefehlshaber hat gesagt, dass im Krieg jetzt erfahrene Spezialisten gebraucht werden. Dazu zähle ich ganz sicher nicht.

Was haben Sie in den vergangenen Wochen über den Krieg erfahren? 

Auf der Sachebene nichts Neues. Der russische Ukraine-Krieg ist ein klassisches Beispiel moderner Kriegsführung, von Cyberangriffen bis zu Raketenbeschuss, inklusive auf Zivilisten. Krieg bedeutet immer Tod, Zerstörungen, Angst, Hass, Ekel, Entmenschlichung des Feindes – aber auch Heldentum, Menschlichkeit, Solidarität, Freude über Brot und Wasser, Hoffnung auf Hilfe von Freunden und Verbündeten, Hoffnung auf Frieden. Ich beschäftige mich seit Jahrzehnten mit dem Krieg – lese Bücher und schreibe Gedichte. Neu ist, dass die betroffenen Städte jetzt unsere Städte sind, die ermordeten Kinder, Frauen und Männer sind unsere Leute. Das ist ein gewaltiger Schock.

Meine Fantasie ist erschöpft, aber ich schreibe weiter

Sie sind ein einer der bekanntesten Lyriker der Ukraine. Noch kurz vor dem russischen Überfall haben sie ein Anti-Kriegsgedicht in der russischen Nowaja Gaseta veröffentlicht, jener Zeitung, die für Ihr Bemühen um die Pressefreiheit den Friedensnobelpreis erhielt und jüngst ihre Arbeit einstellen musste…

Die Gedichte aus der „Nowaja Gaseta“, die aufgrund von Putins Zensur geschlossen werden musste, sind aus den Jahren 2021 und 2022. Sie sind direkt nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine verboten worden, die Redakteure mussten sie von der Website entfernen.

Ihr Kollege Andrej Kurkov sagt, er spüre, wie ihm die Fantasie ausgeht. Er schreibe nur noch Berichte und gebe Interviews, aber keine Romane oder Erzählungen mehr. Die Realität habe die Fantasie an Brutalität überholt. Wie geht es Ihnen?

Ich weiß, was Andrej Kurkow, den ich sehr verehre, meint. Meine Fantasie ist auch erschöpft, aber ich schreibe weiter. Nicht mehr so viel, aber immerhin. Wie Andrey gebe ich jetzt auch viele Interviews, pflege meinen Blog, versuche, die freien Autoren meines Literaturmagazins zu unterstützen – und stehe in ständigem Kontakt zu meiner Familie – meine Mutter und mein Bruder sind zum Beispiel in der besetzten Stadt Cherson. Als Schriftsteller arbeiten Kurkow und ich ganz unterschiedlich: Er schreibt Romane, ich Gedichte. Vielleicht ist es einfacher, im Krieg Gedichte zu schreiben.

Sie schreiben auf Russisch, sind aber Ukrainer. Wie kam es dazu?

Russisch ist meine zweite Muttersprache. Ich denke, die russische Sprache ist ein wichtiger Teil der multinationalen ukrainischen Kultur. Russland hat kein Monopol auf die russische Sprache. Ich stehe für eine multikulturelle, europäische Ukraine, in der die russische Sprache laut Verfassung vom Staat geschützt ist. In meinem Gedichtband mit dem Titel „In der Sprache des Feindes“ (2017 Kharkiv, FOLIO-Verlag) gebe ich Antworten darauf, warum ich welche Sprache nutze – und warum ich ab dem Jahr 2009 einen Krieg gegen die Ukraine vorausgeahnt habe. Ich hoffe, das Buch wird irgendwann auch ins Deutsche übersetzt.

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Sprechen die Menschen in Kiew tatsächlich kaum noch Russisch, wie in westlichen Medien zu erfahren ist? 

Es stimmt, dass es Menschen gibt, die vermehrt oder nur noch Ukrainisch sprechen. Das soll jeder für sich selbst entscheiden. Schwierig wird es, wenn der Verweis auf die Heimatsprache von ultrarechten ukrainischen Nationalisten instrumentalisiert wird – als Kriterium dafür, wer ein „echter Ukrainer“ ist. Die Menschen in Kiew werden weiterhin auch Russisch sprechen, die Sprache gehört für viele Menschen hier zu ihrer Identität. Im übrigen sollten jetzt andere Themen im Vordergrund stehen: Solidarität, Bündelung der Kräfte gegen die angreifenden Truppen, Kampf gegen feindliche Propaganda und gegen jede Entmenschlichung.

Wie hat sich Ihr Bild von Russland mit Putins Krieg verändert?

Putin verkörpert für mich nicht Russland. Er hat es auch vor dem Krieg nicht getan. Ich halte Putin für einen Verbrecher, der eine Diktatur aufgebaut hat, ich hoffe, dass er für seine Kriegsverbrechen eines Tages bestraft wird – und elendig zugrunde geht. Was haben er und seine politische Mafia mit der wunderschönen russischen Kultur zu tun, die weltweit hochgeschätzt und geliebt wird? Nichts! Es gibt viele gute Menschen in Russland, die die Ukraine lieben und unterstützen. Leider zahlen auch sie einen hohen Preis für die ekelhaften Taten dieses Tyrannen: Russland wird ein isoliertes Land werden, das zusehends verarmen wird. Das Image von Russland hat Putin für lange Zeit ruiniert. Wir sollten aber nicht den Stab über das ganze russische Volk

brechen.

Putin fühlte sich vom Westen bedrängt und marginalisiert

Warum ist es aus Ihrer Sicht zum Krieg gekommen? 

Es gibt eine sehr lange Vorgeschichte. Vorzeichen für einen Krieg habe ich ab dem Jahr 2009 gesehen. Dass es jetzt zum Krieg gekommen ist, geht ausschließlich auf imperiale Ambitionen zurück, die Putin verkörpert. Er möchte ein großrussisches Reich zurück. Putin fühlte sich vom Westen zunehmend bedrängt und marginalisiert – jetzt heißt es „Das Imperium schlägt zurück“, wie es in „Star Wars“ heißt. Den Preis für diesen Schlag bekommt die ganze Welt zu spüren. Die Gründe für seinen Krieg – die Entnazifizierung der Ukraine – hat er frei erfunden. Aber so lang seinen Landsleuten erzählt, dass viele daran glauben.

Wäre es möglich gewesen, den Krieg zu verhindern, wenn die internationale Staatengemeinschaft sich 2014 nach der Annexion der Krim auf die Seite der Ukraine gestellt hätte?

Das ist eine hypothetische Frage. Die EU hat nicht so geschlossen gehandelt, wie wir uns das gewünscht hätten. Auch der Einfluss der Vereinigten Staaten ist relativ – ihr Wille, noch einen Krieg zu führen, ist gering. Man hat das ja an dem Rückzug aus Afghanistan gesehen. Die Welt ist verrückt geworden. Die Geopolitik verändert sich rasant. China könnte bald Taiwan angreifen. Es bilden sich neue Allianzen, neue Kriegsgefahren entstehen. Ich befürchte, dass der Krieg Putins erst der Anfang ist. Und bete, dass es nicht etwas noch Schrecklicheres passiert als das, was gerade in meiner schönen und unglücklichen Ukraine geschieht.

Deutschland versucht, ein bisschen schwanger zu sein

Deutschland lehnt ein Energieembargo bislang ab …

Natürlich finde ich das sehr bedauerlich. Aber ich kann nachvollziehen, was es für die Europäer bedeutet, ihre Komfortzone zu verlassen und noch mehr Geld für Energieressourcen zu zahlen. Alles ist schon teurer geworden, alles wird noch teurerer werden. Mit ein paar Sanktionen gegen Russland versucht die Bundesregierung, irgendwie aus der Situation herauszukommen. Das ist verständlich, aber aus meiner Sicht natürlich falsch. In Kiew sagen wir: Man kann nicht ein bisschen schwanger sein.

Wovor haben Sie Angst? 

Ich habe Angst vor der Entmenschlichung ganzer Gesellschaften im Allgemeinen und vor dem Tod meiner Freunde und Verwandten und meiner Katze Whiskey im Besonderen. Ich habe Angst davor, dass sich die zivilisierte Menschheit ins Mittelalter zurückentwickelt, ihre Kultur an den Rand gedrängt wird und ihre genialsten Errungenschaften nichts mehr wert sind.

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Eva Bobchenko

Alexandr Kabanov (53), geboren in Cherson, ist einer der bekanntesten ukrainischen Dichter. Seine Bücher haben zahlreiche Preise gewonnen und wurden in viele Sprachen übersetzt, auch auf Deutsch. Kabanov gibt das ukrainische Kulturmagazin SHO heraus und veranstaltet jedes Jahr ein internationales Lyrik-Festival in Kiew, wo er mit seiner Frau und einer Katze lebt. 

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