Digitaler, interaktiver, inklusiver und mit neuer Gewichtung: Das Haus der Geschichte hat die Mammutaufgabe bewältigt, seine Dauerausstellung neu zu gestalten
Haus der Geschichte wiedereröffnetWie packt man ein Land in ein Museum?

Auch Ereignisse der jüngeren Vergangenheit wie die Proteste von Fridays for Future finden nun Raum in der Dauerausstellung im Haus der Geschichte in Bonn.
Copyright: Haus der Geschichte
Wer die neue Dauerausstellung im Haus der Geschichte in Bonn betreten will, muss erst einmal hoch hinaus. Anders als früher arbeitet man sich nicht von unten nach oben vor, sondern beginnt am höchsten Punkt - was nicht als schlechtes Omen verstanden werden soll. Auf einer riesigen LED-Wand werden historische Fotos gezeigt und wer sich diese anschaut, erkennt plötzlich die eigene Silhouette in Bildern von Frauen, die in den 1960ern über den Ku'damm flanieren, oder Kindern, die vor einem Plattenbau Fußball spielen.
„Du bist Teil der Geschichte“ lautet der neue Ausstellungstitel und der wird hier direkt spielerisch umgesetzt. Gleichzeitig schaffen die futuristisch anmutenden, bunt-wabernden Umrisse auch eine deutliche Abgrenzung. Dieses Spiel mit Nähe und Distanz zieht sich durch die gesamte Ausstellung. Wer Menschen für Geschichte interessieren will, muss sie auch emotional erreichen. Gleichzeitig ist wichtig, immer den Blick von außen zu behalten, das weiß auch Ausstellungsdirektor Thorsten Smidt: „Wir haben bewusst eine nüchterne, helle Architektur gewählt. Man soll mit dem heutigen Blick auf die Ereignisse schauen.“
Smidt und das gesamte Team des Museums haben in den vergangenen sechs Jahren (der Planungsphase) und den Monaten seit der Schließung im September 2024 eine Mammutaufgabe bewältigt. Wie erneuert man eine Ausstellung, die mit mehr als 14 Millionen Besuchern seit der Eröffnung im Jahr 1994 zu den erfolgreichsten in Deutschland gehört, so, dass sie auch zukünftig möglichst viele Menschen anlockt - und gleichzeitig die Geschichte der zwei deutschen Staaten und des wiedervereinten Landes nicht zu einer Art Vergnügungspark macht?
Alles zum Thema Ahrtal
- Neuer Leiter des Stadtarchivs Ulrich Fischer „WhatsApp-Nachrichten sind die hohe Schule“
- Haus der Geschichte wiedereröffnet Wie packt man ein Land in ein Museum?
- Neuer Autobahnabschnitt Wie es mit dem Lückenschluss der A1 in der Eifel weitergeht
- Rotary Club Rhein-Erft So startete die Weihnachtsaktion der Tafeln in Bergheim
- Geschäftsreisen fehlen Tourismus in Rhein-Sieg stagniert – „Welcome Card“ soll Reisende locken
- Ziel: Klimaneutralität Welche Möglichkeiten ein Nahwärmenetz Bürgern in Hennef bietet
- Freizeittipps im Winter 11 Ausflüge für schöne Wintertage in Köln und der Region
Alles musste raus
Alles musste für diese Neuaufstellung raus, wie Smidt erläutert. 7000 Exponate waren es vor der Neugestaltung, jetzt sind es 3850, verteilt auf 4500 Quadratmetern. 25 Millionen Euro Sondermittel standen für den Umbau zur Verfügung. Mehr als eine Million Objekte hat das Haus in der Sammlung, und die Verringerung der Exponate war mühsam, wie Smidt verrät. Aber durch sie gelingt eine konzentriertere Präsentation, die durch klare Gewichtungen auch denen hilft, die nicht bei jedem Objekt stehen bleiben können.
Besucherlieblinge wie der begehbare Rosinenbomber mussten weichen, stattdessen kann man aber nun eine der Nissenhütten betreten, in denen nach Ende des Zweiten Weltkriegs Ausgebombte oder Vertriebene untergebracht wurden. Und da die Besucherinnen und Besucher von oben nach unten geleitet werden, eröffnen sich immer wieder neue Sichtachsen in die Zukunft, die Fragen nach Kontinuitäten und Brüchen aufwerfen.
Der wichtigste Grund für die Neugestaltung war aber die Unwucht in der Präsentation. Die alte Ausstellung war sehr auf die Nachkriegszeit und die Geschichte bis zum Mauerfall konzentriert, die 35 Jahre seit der Wiedervereinigung hatten viel zu wenig Raum. Im neuen Konzept ist die Geschichte in fünf Zeiträume (1945-1949, 1949-1989, 1989/90, 1990-Heute, Heute) unterteilt, die klar abgegrenzt werden. Der Mauerfall bildet jetzt die Mitte der Ausstellung, zuvor werden Ost- und West-Geschichte immer nebeneinander gestellt.
Fünf Schwerpunktthemen ziehen sich durch die Ausstellung, unter anderem wird dem Einwanderungsland Deutschland viel mehr Raum gegeben. Menschen mit Migrationsgeschichte, die dieses Land nach dem Krieg mit aufbauten und prägten, kommen selbst in Interviews zu Wort. Denn auch das gehört zur Wahrheit: Wie wir auf Geschichte blicken, hängt unmittelbar damit zusammen, welche Rolle wir in der Gesellschaft haben - oder zugewiesen bekommen.
Nicht besonders subtil, aber wirkungsvoll
Neben aufwühlenden Exponaten wie einer Skulptur des Bildhauers Fritz Koelle aus dem Jahr 1946, die zwei geschundene Menschen zwischen Leben und Tod zeigt und so an die Verbrechen des Nationalsozialismus erinnert, einem Leichtflugzeug, mit dem zwei Brüder den dritten noch im Frühjahr 1989 nach West-Berlin holten, oder einer Puppe, die bei der Flut im Ahrtal 2021 von Schlamm vollständig verkrustet wurde, bieten sich für Besucher auch viele schöne und launige Begegnungen mit der eigenen Geschichte. Ob nun eine Musikbar aus den 1950er Jahren, bunte Schaufenster aus den 1970ern oder ein Jugendzimmer um die Jahrtausendwende mit Diddl-Maus und Take-That-Poster - an irgendetwas hat jeder und jede Erinnerungen.
Es liegt bei einem Museum, das so vielen Menschen wie möglich die deutsche Geschichte nahebringen soll, in der Natur der Dinge, dass vieles nur angerissen und nicht vertieft werden kann. Und wenn über dem Modell der von einem Atomangriff zerstörten Stadt Bonn eine riesige Bombenspitze hängt und so die Gefahren des Kalten Kriegs verdeutlicht, dann ist das vielleicht nicht besonders subtil, aber wirkungsvoll.
Am Ende folgt ein Raum, der das Heute symbolisiert. Er hat ganz bewusst Werkstattcharakter, denn hier ist Geschichte erst noch im Entstehen, kann sich jederzeit verändern. Die jüngsten Exponate sind hier zu finden. Es sind Plakate, mit denen Jugendliche vergangene Woche gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Bonn demonstrierten: „Löhne hoch, Rüstung runter“, steht auf einem. Was die Zukunft bringt, ist noch ungewiss. Aber egal, was es ist, das Haus der Geschichte wird sich bemühen, es abzubilden.
Am Ende des Rundgangs können die Besucherinnen und Besucher erneut ihre Silhouette auf eine digitale Leinwand bannen, dieses Mal aber werden sie nicht in historische Fotos projiziert, sondern historisches Bildmaterial in sie. Nun hat sich der Claim gewandelt. Aus „Du bist Teil der Geschichte“ wird „Geschichte ist ein Teil von dir“. In Zeiten, in denen dieses Land so gespalten ist wie schon lange nicht mehr, ist diese Feststellung Erinnerung und Mahnung zugleich. Wir haben es alle in der Hand, in welche Richtung sich Deutschland entwickelt - und woran künftige Generationen sich einst erinnern werden.
Die neue Dauerausstellung im Haus der Geschichte, Willy-Brandt-Allee 14, 53113 Bonn, ist ab sofort zu sehen. Der Eintritt ist frei. Geöffnet ist das Museum dienstags bis freitags von 9 bis 18 Uhr, samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr. Am 14. Dezember findet ein großes Museumsfest statt. hdg.de

