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Der Rhein in der Literatur„Da wird ein Kamel in den Fluss getrieben”

Lesezeit 7 Minuten

Romantik am Mittelrhein: Burg Lahneck bei Lahnstein auf einem Foto um 1900     

Köln Herr Göttert, Sie sind nicht der erste, der ein Buch über den Rhein schreibt. Gerade aus Köln kommen zwei bekannte einschlägige Bücher – von Horst Johannes Tümmers und Elke Heidenreich. Was war Ihre besondere Schreibmotivation?

Karl-Heinz Göttert: In meinem Fall ist es noch besonders „schlimm“ insofern, als ich nicht nur in Köln wohne, sondern auch noch in Ehrenbreitstein geboren bin. Ich bin also Rheinländer von Geburt an. Und ja, der Rhein löst bei mir ein starkes Heimatgefühl aus. Wenn ich mit dem ICE von Köln aus nach Süden fahre, dann am liebsten durchs Rheintal – die Schnellstrecke vermeide ich, wenn es geht. Aber das war natürlich nicht der Auslöser. Die von Ihnen genannten Rhein-Bücher haben andere Schwerpunkte, beschäftigen sich mit der politischen und wirtschaftlichen Geschichte, weniger mit der Literatur – die aber ist mein ausschließliches Thema. Es gibt viele Rhein-Texte, die kaum jemand kennt und die einmal vorgestellt werden sollten.

Welche zum Beispiel?

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Nehmen Sie nur den „Reinhard Fuchs“, das erste deutsche Fuchs-Epos aus dem 12. Jahrhundert. Darin gibt es Nonnen, die mit ihren Griffeln ein Kamel in den Rhein jagen – es geht um Urkundenfälschung zugunsten eines Klosters. Oder Johann Peter Hebel, der sich in seinen im Dialekt geschriebenen „Alemannischen Gedichten“ dem Zusammenfluss von Rhein und Wiese in Kleinhüningen an der Schweizer Grenze widmet.

Ordnungsprinzip Ihres Buches ist ja nicht die Epochenfolge vom Mittelalter bis zur Gegenwart (das ist der Zeitraum, den die von Ihnen präsentierten Texte abdecken), sondern die Geografie: Sie verfolgen den Rhein von der Quelle bis zur Mündung und sammeln sozusagen Literatur, die an oder in Zusammenhang mit den einzelnen Abschnitten entstanden ist...

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Karl-Heinz Göttert: "Der Rhein. Eine literarische Reise"

Ja, los geht es mit John Knittels Roman „Via Mala“. Der ist allein deshalb interessant, weil Knittel ihn in Kairo geschrieben hat. Frage: Wie kommt einer, der in Indien geboren ist und dann in aller Welt unterwegs war, an so ein Thema? Und wieso wählt er als Schauplatz ausgerechnet den Schweizer Hochrhein? Um nur dies zu sagen: Es ging ihm um einen Vatermord und die Frage, ob teuflisches Verhalten in einer höllischen Umgebung eine solche Tat rechtfertigen kann.

Haben Sie eine über die Literatur vermittelte „Rhein-Idee“, eine Vorstellung von diesem Strom, die über sein bloßes Vorhandensein hinausgeht?

Als sich, im frühen Mittelalter, aus dem Karolingerreich allmählich das heutige Europa entwickelte, da entstand zwischen Deutschland und Frankreich ein Mittelreich, das dann aufgeteilt wurde und verschwand. Dabei ist „verschwinden“ eigentlich falsch: Denn es tauchte als Idee immer wieder auf, zum Beispiel, als die Franzosen nach der Revolution die linke Rheinseite besetzten und Deutsche die „Cisalpinische Republik“ ausriefen. Immer wieder hatte man die Hoffnung auf ein Mittelreich, von dem der Friede zwischen Deutschland und Frankreich und überhaupt in Europa ausgehen müsse. Schauen Sie sich nur eine Gestalt wie den Binger Stefan George an und seinen Traum von einem nationalistisch nicht verseuchten Zwischenreich am Rhein.

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Karl-Heinz Göttert, geboren 1943 in Koblenz, studierte Geschichte und Germanistik an der Uni Köln, wo er auch promovierte und sich habilitierte. Bis zu seiner Emeritierung lehrte er dort Ältere Deutsche Literatur. Seine jüngsten Bücher: ( „Als die Natur noch sprach. Mensch, Tier und Pflanze vor der Moderne“ (2019), „Die Sprachreiniger. Der Kampf gegen Fremdwörter und der deutsche Nationalismus“ (2019), „Weihnachten. Biographie eines Festes“ (2020).

Der Rhein nicht als trennende Kriegs-, sondern als verbindende Friedensgrenze...

Ja. Das geht dann weiter bis zur entstehenden Umweltbewegung in den 1970er Jahren: Die Gegner des Atomkraftwerks Wyhl am Kaiserstuhl und eines Bleichemiewerks im französischen Marckolsheim auf der linken Rheinseite – die entdeckten, dass sie sich miteinander unterhalten konnten: weder auf französisch noch auf deutsch, sondern auf alemannisch. In diesem Dialekt entstanden dann wunderschöne Protestgesänge.

Aber es gibt eben auch den anderen Aspekt: den Rhein als hüben wie drüben nationalistisch aufgeheiztes Symbol von Trennung und Verfeindung.

Ja, in Deutschland entstand aus der Romantik, die ja gerne auf das „Volk“ zurückgriff, im Zuge der Befreiungskriege gegen Napoleon ein höchst unguter Nationalismus. Mit Arndt geht das los, Kleist hat sich dann im Zusammenhang mit dem Rhein schreckliche franzosenfeindliche Ergüsse geleistet.

Hat der Rhein als Gegenstand literarischer Befassung wiederkehrende Stil- und Darstellungsmuster gezeitigt?

Da wäre ich vorsichtig. „Die“ Rhein-Literatur gibt es nicht. Aber es gibt bestimmte Motive oder Mythen, die immer wieder für Anregung und Kontinuität gesorgt haben. Dazu gehören die Rhein-Sagen: etwa die mit dem Rolandsbogen verknüpfte Sage, die zum Beispiel Ferdinand Freiligrath bewegte. Als das Denkmal einstürzte und sein Verlust drohte, hat er in der „Kölnischen Zeitung“ zum Wiederaufbau aufgerufen, um die Sage zu retten. Dann die Nibelungensage, die nicht nur mit Worms, sondern auch mit dem Siebengebirge und mit Xanten verbunden ist. Weiter der Loreley-Mythos, dessen literarische Gestaltung 1801 mit Brentano beginnt. Also: Zweifellos war der Rhein ein ergiebiger Motivlieferant.

Im wesentlichen fungierte ja der „romantische“ Mittelrhein mit seinen vielen alten Burgen als Mythenspender...

Ja, wobei die Rheinromantik des 19. Jahrhunderts letztlich ein „Gemeinschaftsprodukt“ aus England, Frankreich und Deutschland war. Victor Hugo hat eines der dicksten Rheinbücher überhaupt geschrieben. Aber vor allem reisende Briten – ich nenne den Dichter Byron und den Maler Turner – haben nach den Napoleonischen Kriegen wesentlich zur „Entdeckung“ des Mittelrheins beigetragen. Ihre „Fans“ fuhren dann mit dem Dampfschiff auf dem Rhein, sprachen dem Rheinwein zu, schauten zu den Burgen hinauf und glaubten, sie könnten so der Moderne entfliehen. Man sieht die Gefahren der Rheinromantik – nach dem Nationalismus der Kitsch.

Welche Rolle spielt – diese Frage darf nicht fehlen – die Stadt Köln bei der Formierung eines literarischen Rhein-Bildes?

Köln war ein Hotspot des literarischen Rhein-Mythos. Friedrich Schlegel, einer der ersten, die den Rhein im Gedicht gefeiert haben, hat hier vier Jahre lang gelebt und gelehrt. Goethe war hier, hat sich in Verbindung mit den Brüdern Boisserée und Ferdinand Franz Wallraf für den Weiterbau des Kölner Doms eingesetzt – das Rheintal war ja auch das Tal der romanischen und gotischen Kathedralen. Der bekennende Niederrheiner Hanns Dieter Hüsch hat, als er von Mainz nach Köln zog, geäußert, er habe nur den Dom gewechselt. Und Böll sei auch nicht vergessen. Die Verleihung des Nobelpreises erfolgte nach seinem Köln-Roman „Gruppenbild mit Dame“.

Gibt es den Rhein überhaupt jenseits seiner Mythisierung?

Wenn man ihn insgesamt von der Quelle bis zur Mündung sieht, dann zerfällt er schon in unterschiedliche Regionen mit unterschiedlicher literarischer Bearbeitung. Der Niederrhein hat ja nichts mehr mit Romantik zu tun. Denken Sie weiter an eine Gestalt wie Erasmus von Rotterdam, der lange in Basel lebte. Er ist sechsmal den Rhein rauf- und runtergereist und hat darüber ausführlich berichtet. Da wird übrigens die Funktion des Rheins als Verkehrsader deutlich. Wobei sich Erasmus als Weltbürger gibt, der den Strom zwischen den Nationen nutzt, aber sich keiner allein zugehörig fühlt.

Die literarischen Zeugnisse, die Sie vorstellen, stellen den Rhein im wesentlichen in ein schönes Licht. Was aber ist mit dem hässlichen, dem bedrohlichen, dem verdreckten Rhein, dem Rhein des Sandoz-Chemieunfalls, in dem es kein Leben mehr gibt?

In der Tat: Literarisch gibt es da durchaus eine „Unwucht“. Aber es gab auch kritische Geister wie etwa Dieter Wellershoff, der in seinem Köln-Buch „Pan und die Engel“ schildert, wie er auf der Südbrücke steht und es von unten nach Medizin stinkt. Es gab weiter Industriegedichte, die den Fluss entweder als reinen Beförderungsweg oder als Kloake beschreiben. Das habe ich auch berücksichtigt. Aber es stimmt schon: In der Literatur hat der Mythos von „Vater Rhein“ mit seinen Burgen und Reben durchaus die Oberhand behauptet.