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Empörung ist sein liebster KraftstoffZum 80. Geburtstag des Schriftstellers Uwe Timm

4 min

Der Schriftsteller Uwe Timm wird 80 Jahre alt.

„Der Versuch, den Himmel auf Erden zu schaffen, produziert unweigerlich die Hölle.“ Dieser berühmte Satz Karl Poppers könnte leitmotivisch auch über der literarischen Existenz von Uwe Timm stehen. Oder vielleicht doch nicht ganz? Immer wieder jedenfalls hat sich der in München lebende Autor, der an diesem Montag seinen 80. Geburtstag feiert, in Romanen, Erzählungen und Essays dem Phänomen der entgleisenden, der scheiternden, der ins Gegenteil des Gewollten umschlagenden Utopie gewidmet.

Noch im jüngsten Roman, „Ikarien“, geht es (auch) um die Gründung einer sozialistischen Auswandererkolonie am Mississippi, die über dem Einbruch des Menschlich-Allzumenschlichen krachend gegen die Wand fährt. Und utopisch im Sinn einer rational-totalitären Konstruktion sind auch die Projekte des Eugenikers Alfred Ploetz (des Großvaters von Timms Ehefrau Dagmar Ploetz), der ebenfalls in „Ikarien“ mit seinen menschenfeindlichen Verstiegenheiten zum Zuarbeiter der Nazis wird.

Es liegt auf der Hand, warum das Thema Timm so beharrlich beschäftigt – bis zum anlässlich seines runden Geburtstags erschienenen Erzähl- und Essay-Band „Der Verrückte in den Dünen“. Es ist sein Lebensthema auch als empirischer Person, seit der gelernte Hamburger Kürschner und mit 31 Jahren promovierte Münchner Spätstudent der Philosophie und Germanistik in den Sog der 68er Bewegung geriet – inklusive Mitgliedschaft im SDS und, in den 70er Jahren, der DKP, die er 1981 wegen deren affirmativer Haltung zu den Verhältnissen in der DDR wieder verließ.

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Die Verarbeitung der Studentenrevolte in drei autobiografisch grundierten Romanen („Heißer Sommer“, „Kerbels Flucht“ und „Rot“) zeigte von Anfang an die skeptische Distanz gegenüber einem ideologiegesteuerten Wirklichkeitsverlust und übersteigerten Selbstgefühl. Durch Erfahrung ernüchtert, wollte Timm den unbekümmerten Gang ins Gelobte Land nicht mehr antreten.

Dennoch dürfte er Poppers „Kriminalisierung“ der Utopie auch heute noch nicht vorbehaltlos unterschreiben. Denn die Verhältnisse, an denen sich aus seiner Sicht zu Recht ein radikaler Veränderungswille entzündet, bestehen fort: In „Der Verrückte in den Dünen“ nennt er als Beispiel die durch Immobilienspekulation entstandene Berliner Wohnungsnot. Empörung sei ein Kraftstoff seines Erzählens, sagte er einmal.

Und zu seinem Interesse an Fragen, die darauf gerichtet sind, „an welchen Orten sich andere, sagen wir bessere, also gerechtere, freiere, lustvollere Möglichkeiten des Zusammenlebens finden“, steht er nach wie vor. Timm macht es sich nicht leicht, und es ist genau diese mitunter verquälte Ehrlichkeit, diese Verweigerung gegenüber der einfachen Antwort, die wesentlich zu seiner Authentizität auch als Literat beiträgt.

Zwei Hypotheken der deutschen Geschichte haben Timm auch im Sinne der beschriebenen Empörungsintensität immer wieder umgetrieben: das katastrophale und lange nicht aufgearbeitete Erbe des Kolonialismus in Afrika („Morenga“) und Südamerika („Der Schlangenbaum“) sowie die fortwirkende Hypothek des Nationalsozialismus, die er anhand der eigenen Familie darstellte: „Am Beispiel meines Bruders“ ist die Geschichte von Karl Heinz Timm, der sich als 16-Jähriger freiwillig zur SS-Totenkopf-Division meldete und 1943 in der Ukraine fiel.

In die letzten Kriegstage, genauer: ins gefährliche Niemandsland zwischen dem Todeskampf des NS-Regimes und der Kapitulation, führt auch Timms bekanntestes Buch: die Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“. Dem 1940 Geborenen ging es bei all dem nicht nur um Geschichtserkundung, sondern zentral um Selbstvergewisserung, um die Voraussetzungen und Bedingungen auch der eigenen Biografie.

Auch ein erotischer Erzähler

Der vielfach (darunter 2009 mit dem Kölner Böll-Preis) geehrte und in zahlreiche Fremdsprachen übersetzte Autor wäre allerdings nur unzureichend gewürdigt, wollte man ihn auf die Bearbeitung politischer Thesen festlegen. Stets ist es der ironische Ton, der seine Romane auch dort, wo es „ernst“ zugeht, leicht macht, ihnen die Spitze eines selbstgerechten Belehrungsfurors nimmt. Und raffiniert ist die – oft auf einem für diesen Autor typischen Montageprinzip beruhende – narrative Konstruktion, die ausgefüllt wird durch ein Erzählen mit Farben und Gerüchen, mit saftigen Details, mit entgrenzender Fabulierlust.

Nicht zu vergessen: Timm – übrigens ein hochbegabter Kinderbuchautor, der mit „Rennschwein Rudi Rüssel“ einen einschlägigen Coup landete – ist zumindest als Erzähler ein Homme à Femmes, ein erotischer Erzähler, der leidenschaftlich eindringt in das faszinierend-moralfreie Chaos der Geschlechterbeziehungen. Da geht es dann nicht – oder kaum mehr – um Politik, sondern um die existenzielle Tatsache, dass es die Menschen halt als Frauen und Männer gibt.