Ensemble Musikfabrik begeistert mit Werken von Boulez, Carter und Djordjević in der Philharmonie.
Ensemble MusikfabrikIn den Zwischenräumen des Alltäglichen schlummert Feenstaub

Ensemble Musikfabrik
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Mit diesem höchst anspruchsvollen Programm erwies sich das Ensemble Musikfabrik sowohl im Tutti als auch mit vielen Einzelsoli einmal mehr als eine der weltbesten Formationen für neue Musik. Köln kann sich glücklich schätzen, dieses Spitzenensemble regelmäßig erleben zu dürfen, sei es in der eigenen Reihe „Musikfabrik im WDR“, in der Kölner Philharmonie oder im Rahmen der Kooperation Adventure mit der Musikhochschule.
Bei den 1968 uraufgeführten „Domaines“ von Pierre Boulez spielte der exzellente Klarinettist Carl Rosman an sechs verschiedenen Positionen auf der Bühne der Philharmonie im Wechsel mit räumlich verteilten Instrumentengruppen, deren charakteristische Besetzungen 6, 5, 4, 3, 2 und 1 Spielende umfasste. Ebenfalls barfuß folgte ihm Dirigent Bas Wiegers auf lautlosen Sohlen. Nach Posaunenquartett und gemischtem Quintett folgten Streichsextett, Trio, Duo und als letzte „Gruppe“ ein Bassklarinettist, der den sanft gehauchten Schlusston des Solisten nahtlos aufgriff. Auch sonst tauschten Solist und Ensembles einzelne Intervalle, Gesten und Triller.
Boulezʼ formalisierter Ablauf wirkt klar und streng, entfaltet aber eine faszinierende Varianz
Beim zweiten Durchlauf gab dann der Dirigent die Reihenfolge vor und schloss der Solist sich an. Die je zweimal sechs Soli und Ensembles bedeuteten für alle Gruppen, dass sie lediglich zweimal selber spielten, aber 22 Mal nur dasaßen und den anderen Gruppen zuhörten. Boulezʼ formalisierter Ablauf wirkt klar und streng, entfaltet aber eine faszinierende Varianz und trotz aller Monologe eine stark dialogische Qualität: denn alle hören einander zu, gehen auf das Gesagte ein, erwidern selbst etwas Neues, das dann seinerseits aufgegriffen und kommentiert wird. Die Domänen beziehungsweise Bereiche des vor hundert Jahren geborenen und 2016 verstorbenen Komponisten geben damit eindrücklich das Beispiel für einen gelingenden Diskurs, musikalisch ebenso wie in Politik und Gesellschaft. Und das konzentriert lauschende Publikum leistete seinen Beitrag, indem es die Aufführung mit hoch gespannter Stille intensivierte.
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Ganz anders die Uraufführung von Milica Djordjevićs „In the interstices: lingering pixie dust“. Das Stück der 1984 in Serbien geborenen, inzwischen in Köln lebenden Komponistin platzt gleich zu Beginn wie eine Detonation heraus, gefolgt von Tinnitus-hoch pfeifenden Geigentönen. Nach dem Eclat kreisen dann entspannte Loops auf der Stelle. Doch das Geschehen verdichtet sich erneut und kulminiert zu neuerlicher Schalleruption. Zurück bleiben richtungslos knisternde Trümmer und Flirren, bis die Musik auch aus diese Lähmung erwacht und fein funkelnden „Feenstaub“ hören lässt, der gemäß dem Werktitel in den Zwischenräumen unseres Alltäglichen schlummert.
Den brillanten Abschluss bildete Elliott Carters „Double Concerto“ von 1961 für Klavier, Cembalo und zwei ähnlich besetzte Ensemblegruppen in virtuos konzertierendem Schlagabtausch. Statt wie bei Boulez sauber in Rede und Gegenrede getrennt, bilden alle Stimmen eine unglaublich dichte Polyphonie. Dank großartig instrumentierter und interpretierter Transparenz kommt im Gewirr der Stimmen dennoch jede einzelne zu Wort und Geltung. Benjamin Kobler spielte furios die Kadenz des Cembalos mit dissonant stechenden Nadeltönen. Pierre-Laurent Aimard konterte am großen Flügel mit pointierten Attacken. Und auch die Mitglieder und Gäste des Ensemble Musikfabrik glänzten mit vielen teils elegisch-sanglichen, teils hyperaktiven Soli. Bravi!