„Hart aber fair“Plasberg bringt Kühnert mit Frage nach Panzern ins Schwitzen

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Kühnert Haf

Kevon Kühnert 

Köln – Eine Situation, die viele wohl nicht erwartet haben: Russland zeigt Schwäche. Wegen der Teilmobilmachung wächst in Russland der Widerstand gegen Putin, und viele Russen fliehen außer Landes. Trotz der militärischen Erfolge der Ukraine lehnt die Ampel-Koalition unter Olaf Scholz aber weiter die Lieferung schwerer Waffen wie Kampfpanzer ab. Wie ist die Mobilmachung zu bewerten? Wie weit wird Putin gehen? Und wie soll sich Deutschland jetzt verhalten? Darüber wurde in der Sendung „Hart aber fair" am Montag diskutiert.

Die Gäste:

  • Kevin Kühnert, Generalsekretär der SPD
  • Serap Güler (CDU), Mitglied im Verteidigungsausschuss
  • Wolfgang Ischinger, Diplomat, ehemaliger Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz
  • Claudia Major, Militärexpertin, Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin
  • Udo Lielischkies, Journalist, ehemaliger Leiter des ARD Studios Moskau
  • Erdal Yalçin, Ökonom, Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Hochschule Konstanz (HTWG)

„Hart aber fair“: Die Teilmobilmachung zeigt Russlands Schwäche

„Ist das Wunschdenken oder bröckelt da tatsächlich was in Russland?“, leitet Frank Plasberg in die Diskussion. Mit Blick auf die veränderte Situation durch die Mobilmachung spricht Udo Lielischkies von einer schweigenden, unpolitischen und opportunistischen Mehrheit in Russland. „Sie haben im Fernsehen all diese hurra-patriotischen Parolen zur Kenntnis genommen, das war ja schön fürs Ego.“ Die Mobilmachung habe jetzt aber viele Bekannte oder Verwandte getroffen. Es scheine noch nicht genug Gegenstimmen für eine große Mobilisierung gegen Putin zu geben.

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Ischinger betont, das Ganze sei zwar als Teilmobilmachung präsentiert worden, aber vieles weise auf eine viel größere Mobilmachung hin. „Deswegen ist es so, dass Putin hier ein großes persönliches Risiko eingeht. Er verknüpft seine Karriere, seine Mission als Präsident Russlands mit diesem Kriegsverlauf. Das ist eine Eskalation. Das macht es aber auch für ihn persönlich gefährlicher. Er macht sich dadurch angreifbarer. Wer so ins Risiko geht, ohne eine anständige Versicherung zu haben, der muss sich warm anziehen“, so Ischinger.

Kevin Kühnert bei „Hart aber fair“: Wladimir Putin kann den Krieg nicht gewinnen

Kühnert bewertet die Mobilmachung auch als Eingeständnis von Teilniederlagen, die auf die Kampfkraft der ukrainischen Armee zurückgeht. Es sei aber schwer, Aussagen darüber zu treffen, wann aus einer Teilniederlage ein Eingeständnis der Niederlage wird. Dafür spreche im Moment relativ wenig. Wann Putin weiter eskaliert, könne man nur erahnen.

Olaf Scholz' Satz, dass Russland diesen verbrecherischen Krieg nicht gewinnen könne, begreift er als politischen Satz. „Das heißt, dass nach den gängigen Regeln, die wir aus einer ethischen, aus einer humanitären Perspektive heraus für uns anlegen, der Krieg für Putin schon längst nicht gewinnbar ist. Was soll der Erfolg am Ende sein? Er kann sich territorial die Ukraine nicht einfach einverleiben. Er ist international isoliert.“ Auch ökonomisch sei das Land auf Jahrzehnte hin geschädigt. „Das alles sind keine Komponenten, die in irgendeiner Form von Sieg enden können.“

Putins Drohung mit Atomwaffen ist nur ein Bluff

Die Warnung, Putin könne im schlimmsten Fall wirklich zu Atomwaffen greifen, werten die Gäste fast einstimmig als Bluff und erinnern an die Drohungen, die etwa bei Einmischung des Westens oder dem diskutierten Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands bereits nicht wahrgemacht wurden. Major erklärt Putins Drohung als Versuch, die westlichen Staaten von einer Intervention abzuhalten. Sich dagegen nuklear erpressen zu lassen, würde Russland das Signal senden, dass es mit Krieg seine Ziele erreichen kann und damit die Lage Europas gefährden. Die Antwort könne nur eine Stärkung der Ukrainer sein.

Entsprechend dieser Auffassung kritisiert Lielischkies die SPD für ihr Zögern, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Die Hinweise, man wolle keine irrationalen Reaktionen Putins provozieren, seien Wasser auf die Mühlen einer Drohung Russlands. Kühnert wiederum besteht darauf, dass Putins Irrationalität ein Fragezeichen bleibt. Er wolle auch nicht die Gegenthese machen und behaupten, ein Einsatz von Atomwaffen sei etwa plausibel.

Frank Plasberg bringt Kevin Kühnert mit Frage nach Panzern in Bedrängnis

Kühnert kommt ins Schwitzen, als Plasberg versucht, ihm eine Erklärung dafür zu entlocken, warum man eigentlich Panzerhaubitzen liefere, aber keine Panzer. Als Antwort darauf kommt nur der Hinweis, man wolle eben keinen Alleingang machen. Auf die folgende Kritik und Plasbergs Beharren auf einer Antwort wirkt er angefressen. „Ich frage mich nur manchmal, ob wir eigentlich berücksichtigen, dass wir es hier mit einer politischen Gemengelage zu tun haben, in der es übrigens auch Leute gibt, die das alles schon viel zu viel finden, was wir hier machen. Denen müssen wir nachweisen, warum das für den internationalen Frieden nicht an sich schon schädlich ist, was wir tun. Und wir reden hier über Panzer, als sei das irgendwie Spielzeug.“

Darauf wollen gleich alle anderen Gäste auf Kühnert anspringen. Ein Alleingang Deutschlands sei zwar schwierig, sei aber auch nicht notwendig, man könne ja mit seinen europäischen Partnern zusammenarbeiten, und auch die USA lasse Deutschland selbst entscheiden.

Güler stimmt bei der Kritik Lielischkies mit ein. Grüne und FDP wollten bereits Panzer liefern, es sei vor allem die SPD; die hier bremse. Ischinger führt aus, man müsse die Ukrainer in eine gute Verhandlungsposition bringen, um den Krieg möglichst schnell zu beenden, was auch militärische Leistungen beinhalte. Major liefert schließlich den von Kühnert schuldig gebliebenen Unterschied zwischen einer Panzerhaubitze und einem Panzer nach und betont, die Frage nach neuen Waffenlieferungen komme sowieso spätestens dann wieder, wenn das von der Ukraine verwendete alte sowjetische Material verbraucht sei. Man müsse den Winter jetzt nutzen, um die Ukrainer für die Frühlingsoffensive auszurüsten.

Sanktionsforscher macht kurzfristig Mut und warnt langfristig

Im letzten Drittel der Diskussion geht es um ein mögliches Ende des Krieges. Dafür holt Plasberg den Sanktionsforscher Erdal Yalçin auf die Bühne. Minus 9% Einbruch der Wirtschaft sei ein großer Knick für die russische Wirtschaft, auch wenn die Statistik unsicher sei. „Ich und viele andere Forscher gehen davon aus, dass die wirtschaftliche Situation in Russland stetig schlimmer werden wird.“ Einnahmen durch Öl- und Gasexporte, die durch die Sanktionen wegfallen, würden Staat und Bevölkerung belasten. Das beeinträchtige auch Putins Fähigkeit einen Krieg zu führen.

Ein Einspieler, bei dem Putin auf Staatsbesuchen wiederholt auf andere Staatschefs warten muss, bewertet Ischinger: „Es zeigt sehr deutlich, dass es um ihn einsam geworden ist.“ Den Verlust internationalen Supports konstatiert auch Lielischkies, sichtbar etwa durch Austritt der Kasachen aus einem Verteidigungsbündnis und der Aussage Erdogans, Frieden in der Ukraine sei nur nach Rückgabe des Donbass und der Krim möglich.

Major dämpft aber die Hoffnung darauf, dass in absehbarer Zeit alles gut werde. Auch ein Abdanken Putins würde nicht zwangsläufig die Situation verbessern, da viele Regierungseliten um ihn herum mit seinen Prinzipien einverstanden seien. „Wenn wir jetzt darauf hoffen, dass es von innen heraus einen Wechsel gibt, müssen wir anerkennen, dass es kaum unabhängige Parteistrukturen gibt, oder Verbände, Vereine; keine Zivilgesellschaft, die so einen Wandel tragen könnte.“

Unentschlossenheit bei Asyl für russische Deserteure

Bei der Frage danach, ob man russischen Deserteuren Asyl gewähren soll, zeigt ein Einspieler einen zustimmenden Tweet von Marco Buschmann. Wer Putins Weg hasse und die liberale Demokratie liebe, sei in Deutschland herzlich willkommen. Die Gegenposition komme von Politikern der baltischen Staaten. Der Krieg sei für viele Russen in Ordnung gewesen, als sie ihn nur im Fernsehen gesehen hätten, aber nicht mehr, wenn sie selbst in die Armee eintreten müssten.

Kühnert betont hier als einziger, dass das Asylrecht für eben so eine Situation gemacht sei und Deserteure Anträge auf Asyl stellen sollen. Das schließe selbstverständlich eine Sicherheitsprüfung als standardisiertes Verfahren mit ein. „Ich habe gehört, dass sich auch Herr Melnyk geäußert hat, diese Leute würden jetzt herkommen und hier Dolce Vita genießen. Ich finde nicht, dass das die richtige Antwort darauf ist, dass sich Leute der Teilnahme an einem Krieg verweigern. Das finde ich grundsätzlich erstmal eine sympathische Haltung, wenn es darum ginge mit der Waffe in der Hand die Ziele eines Diktators und Völkerrechtsbrechers zu unterstützen.“

Güler wiederum meint, dass nicht jeder Deserteur ein Dissident sei und dass sie sich in dieser Frage ebenfalls keinen Alleingang wünscht, sondern eine Abstimmung mit den europäischen Partner. Auch Plasbergs Hinweis, Europa sei da in Vergangenheit nicht zu erfolgreich gewesen, kann sie da nicht für eine Initiative Deutschlands erweichen. Deutschland habe ja bereits 1,1 Millionen ukrainische Flüchtlinge aufgenommen, die Kommunen würden jetzt schon unter dieser Herausforderung leiden. „Sich da als Bundesregierung hinzustellen und zu sagen: Jeder, der diesem Krieg entkommen möchte oder nicht in den Krieg will, ist uns willkommen, geht uns drei Schritte zu weit.“

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Auch Lilischkies sieht in einer Fluchtbewegung ein opportunistisches Verhalten einer großen russischen Schicht, das er kritisch sieht. Ischinger weist trotz Kühnerts Vorgriff, dass eine Prüfung in jedem Fall passieren werde, auf mögliche Sleeper hin, die man sicherheitspolitisch überprüfen müsse. Major findet das Thema auch schwierig, sie tendiere aber dazu sie aufzunehmen, weil Menschen eine Lernfähigkeit immer zusprechen kann und man da „großzügig und hoffnungsvoll“ sein müsse.

So sehr man also den Gästen zustimmen kann, wenn sie das Zaudern der SPD bei Lieferung schwerer Waffen feststellen, so stellt sich die Frage, ob man bei einem so grundlegenden Menschenrecht wie Asyl selbst ins Zaudern kommen sollte.

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