R'n'B-Sängerin SZA und Rapper Kendrick Lamar füllen mit vereinten Kräften das Rhein-Energie-Stadion. Unsere Kritik.
Kendrick Lamar und SZA in KölnDer Messias träumt vom Mittelklassewagen

SZA und Kendrick Lamar traten am 2. Juli im Kölner Rhein-Energie-Stadion auf.
Copyright: Cassidy Meyers
„Alles, was ich je wollte“, rappt Kendrick Lamar im Rhein-Energie-Stadion, „war ein schwarzer Grand National.“ Dass das kein rationaler Wunsch ist, räumt der Hip-Hop-Star gleich in der nächsten Zeile von „TV Off“ ein. Männer und ihre Sammelwut: Vom Buick Grand National GNX sind 1987 nur 547 Stück produziert worden, das reicht, um den hochgezüchteten Mittelklassewagen zum Objekt des Begehrens zu machen. Immerhin weiß Lamar genau, wie er sich seinen Wunsch erfüllen kann: „Gib ihnen, was sie von dir wollen.“
Dabei schien es lange, als hätte der kleine Mann aus Compton schon viel zu viel gegeben. Seit er 2012 auf seinem zweiten Album, „Good Kid, M.A.A.D City“, seine Coming-of-Age-Geschichte als Abstinenzler in dem Drogen- und Gang-verseuchten Arbeitervorort von Los Angeles mit zuvor unerreichter soziologischer und selbstreflexiver Klarheit erzählt hat, gilt Lamar als Rap-Messias. Der „Rolling Stone“ erklärte „Good Kid …“ zehn Jahre später zum besten Konzeptalbum aller Zeiten.
Wie wird Kendrick Lamar seinen Heiligenschein wieder los?
Und der Künstler übererfüllte die in ihn gesetzten Erwartungen noch, veröffentlichte mit dem jazzig-experimentellen „Too Pimp a Butterfly“ einen ernsthaften Kandidaten für den Spitzenplatz in der Ruhmeshalle der populären Musik, gewann für das darauffolgende Album „Damn“ als erster Rapper einen Pulitzerpreis. Spätestens da befand er sich in der Bob-Dylan-Falle: Jede mögliche Volte wurde ihm als Geniestreich ausgelegt. Er blieb die Stimme seiner Generation, selbst wenn er sich, wie auf „Mr. Morale & the Big Steppers“, als hochproblematische Type öffentlich auf die Therapeutencouch legte.
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Bob Dylan zog sich, Mitte der 1960er Jahre mit demselben Problem konfrontiert, aus der Öffentlichkeit zurück und knödelte mit völlig veränderter Intonation Countrysongs. Kendrick Lamar dagegen besann sich auf eine der ältesten Traditionen seines Genres: den Diss-Track. Für den vor keiner Anschuldigung Halt machenden Rap-Battle, den er sich mit Drake, dem Streaming-König des Hip-Hops, lieferte, musste er von seinem Propheten-Schemel steigen. Hätte man in Höhlen am Toten Meer Schriftrollen gefunden, nach denen Jesus regelmäßig in Kneipenschlägereien verwickelt gewesen war, wäre das kaum schockierender gewesen.

SZA und Kendrick Lamar singen vor dem Efeu-umrankten Buik Grand National.
Copyright: Cassidy Meyers
Doch Lamar hat die riskante Wette gewonnen, mit „Not Like Us“ den Konkurrenten durch einen uncharakteristischen Tiefschlag deklassiert und zugleich seinen bislang größten Hit gelandet, in der dritten Dekade seiner Karriere. Als er in Köln nach „TV Off“ endlich zum K.O.-Hit ansetzt, brandet beispielloser Jubel im ausverkauften Stadion auf. Jede Punchline wird mit Feuerstößen unterstrichen, obwohl die Kraft des Wortes völlig ausgereicht hätte. Lamar schließt mit einem letzten „Yeah“, dann geht das Licht aus, der 38-Jährige steht allein im Dunkeln auf der Bühne und lässt sich von 50.000 Fans feiern. Er hat seinen Heiligenschein weggeworfen – in einer Szene spaziert er auf einem langen Tisch, an dem Tänzer da Vincis „Abendmahl“ nachstellen – und dafür die Massen eingefangen: Willkommen zur Grand National Tour, Köln ist die erste Station außerhalb der USA.
Freilich gibt es zwei Headliner an diesem Abend: Als das Licht wieder angeht, schlendert Kendrick mit seiner vormaligen Labelkollegin SZA über die weit ins Publikum reichende Laufsteg-Schleife, sie singen/rappen ihre Luther-Vandross-sampelnde US-Nummer-Eins „Luther“, eine üppige Liebesballade, in der sich zwei Partner zögerlich versichern, sich gegenseitig gegen alle Zumutungen der Welt den Rücken freizuhalten.
SZA erhebt sich als Schmetterling in die Lüfte
Ihr roter, ärmelloser Overall ist mit Bildern von Schmetterlingen und anderen Insekten bestickt. Das Kleidungsstück passt zu SZAs ureigenster Mischung aus zupackendem Liebes-Pragmatismus und ihren Fauna und Flora entlehnten Metaphern für Leben, Tod und Wiedergeburt. Solána Rowe, so der bürgerliche Namen der in New Jersey aufgewachsenen Sängerin, hatte ein Studium der Meeresbiologie im letzten Semester geschmissen, um sich fortan auf ihre Musikkarriere zu konzentrieren.
Der schwarze Buik, in dem Kendrick Lamar das Konzert eröffnet hatte, fährt zu SZAs erstem Auftritt noch einmal aus dem Bühnenboden, aber diesmal ist er von Efeu-Ranken überwuchert, die gierige Natur hat das schwarz glänzende Traumauto vereinnahmt. Das ist die Botschaft der Beinahe-Biologin: Das Leben ist kein Wunschkonzert, das bisschen Glück muss man seinen inneren Dämonen und äußeren Widrigkeiten mühsam abtrotzen. Das ist die Natur der Dinge, sie ist schwer zu beherrschen, versuchen muss man es dennoch.
„Es ist so schwer, das Richtige zu tun“, singt sie in „Kitchen“ und reitet dabei, wie die Wasp aus den Ant-Man-Filmen auf einer riesigen schwarzen Ameise. Vielleicht ist es ein verwunschener Buik. Ihre erfolgreichste Single, das Eifersuchtsbekenntis „Kill Bill“, wird auf der Nordkurven-weiten LED-Wand von Bildern einer Gottesanbeterin begleitet, die ihren Partner verspeist. Später erhebt sich SZA zum Trennungs-Lamento „Nobody Gets Me“ in die Lüfte. Die Frauen im Publikum singen eifrig mit. Ihr Rock entpuppt sich als Kokon, sie entschlüpft ihm als Schmetterling, träumt anschließend auf einer von ihren Tänzerinnen und Tänzern improvisierten Wiese von „Good Days“.
Dieselbe Tanzkompanie, bei SZA noch ganz in Pflanzengrün, sortiert sich im Dienst von Kendrick Lamar zu quasi-militärischen Formationen. Hier harrt die Truppe in Habachtstellung, oder sitzt in strenger Diagonale auf der grauen Showtreppe, dort steht vereinzelt der Rapper, im Krieg mit sich selbst. Denn bei allem angebrachten Triumphgeheul – diese Stadionshow ist von Zweifeln und Bangnis durchsetzt. Kleine Einspielfilme zeigen die Sängerin und den Rapper in Einzelverhören unter Rechtfertigungszwang. Selbst wenn sie sich auf zwei nebeneinander liegenden Hebebühnen zum „Black Panther“-Hit „All the Stars“ dem Nachthimmel entgegenstrecken, von buntem Feuerwerk begleitet, geht es eher ums Strecken als um die Sterne.
Die fliegenden Wechsel zwischen den Stars lassen keine Langeweile aufkommen, die Inszenierung wirkt angenehm minimalistisch und aufgeräumt. Aber dass das Leben kompliziert ist und unordentlich, wird hier keineswegs verschwiegen. Selbst der Buhmann Drake darf stattfinden: SZA covert seinen Song „Rich Baby Daddy“ (vor langer Zeit soll sie auch mal mit ihm zusammen gewesen sein), Lamar reaktiviert „Poetic Justice“, den „Good Kid …“-Track, auf dem Drake ein Feature hat. Ob das ein heimliches Friedensangebot ist? Oder nur ein Beweis dafür, dass Rache bei großen Künstlern nicht den Blick verengen muss? Am Ende hat der schwarze Buick Grand National GNX seinen letzten Auftritt. Kendrick Lamar öffnet seiner Konzertpartnerin galant die Beifahrertür, dann setzt er sich ans Steuer. Die Fahrt geht weiter.