Little Simz, die beste Rapperin Großbritanniens, lieferte einen triumphalen Auftritt im Palladium ab.
Konzert in KölnWie Rapperin Little Simz aus der größten Krise ihres Lebens herausfand

Die britische Rapperin Little Simz
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Zu viel Gerede tut einer Show nicht gut, meint Simbiatu Ajikawo alias Little Simz. Leitet mit diesem Befund dann aber eine längere Ansage ein. Die Rapperin aus dem Londoner Norden will über Kreativität sprechen, dieses wankelmütige Biest.
Darüber, wie wenig inspiriert sie sich bei den Aufnahmen zu ihrem aktuellen Album, „Lotus“, gefühlt habe. Wie sie ihr zuvor doch sehr stabiles Selbstbewusstsein verlor, bis zu dem Punkt, an dem sie glaubte, es wäre an der Zeit, die Rap-Karriere an den Nagel zu hängen, sie hätte ja noch ihren Nebenjob als Schauspielerin, zum Beispiel in der Netflix-Serie „Top Boy“. Solche Bekenntnisse hört man eher selten von Kunstschaffenden, schon gar nicht, wenn sie etwas zu verkaufen haben.
Was Little Simz auf der Bühne des Palladiums auslässt – es gehört da auch nicht hin – ist der konkrete Grund für ihre Selbstzweifel, die schmerzhafte Trennung von ihrem Kindheitsfreund und musikalischem Partner Inflo.
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Little Simz wollte ihre Rap-Karriere an den Nagel hängen
Der Meisterproduzent (Adele, Tyler The Creator) hatte sich 1,7 Millionen Pfund von Ajikawo geliehen, um eine – Presseberichten zufolge völlig fehlgeleitete – Show-Extravaganza mit seinem Musik-Kollektiv Sault in London zu inszenieren. Die Schulden zahlte er entgegen seinen Beteuerungen nicht zurück, Little Simz beendete schließlich die langjährige Zusammenarbeit und zog vor Gericht.
„Thief“ („Dieb“), der Track, mit dem sie das Kölner Konzert eröffnet, bedarf denn auch keiner weiteren Erläuterung. Als Ajikawo vor drei Jahren ein paar Meter weiter im Carlswerk Victoria auftrat, stand sie in Ermangelung eines Sinfonieorchesters allein mit ihrem DJ auf der Bühne. Den Reiz machte damals der Kontrast zwischen Inflos opulenten Produktionen – man stelle sich einen James-Bond-Soundtrack von John Barry aus den 1960ern vor, leicht ins Paranoide gekippt – und Little Simz präzise vorgetragenen, nach innen gerichteten Bekenntnissen.
Die vierköpfige Band klingt ungeheuer dynamisch
Das Set am Montagabend war wie der Negativabzug dieser vorangegangenen Show: Jetzt hatte die Rapperin eine vierköpfige Band mitgebracht, entsprechend lebhaft und direkt klingt die Musik, unerhört dynamisch noch dazu. Und Little Simz legt nach wenigen Minuten die Sonnenbrille ab, schultert die Bomberjacke wie einen Fallschirm und begrüßt die voll besetzte Halle auf Deutsch: „Was geht ab, Cologne?“
Stilisierte Lotosblüten ragen hinter ihr als Kulisse auf. Die Blume, hat die 31-Jährige in einem Interview erklärt, habe sie als Albumtitel gewählt, weil die auch auf sumpfigen Grund gedeiht und ihre Blätter jeden Schmutz von sich abperlen lassen. In Köln staunt man, wie positiv, wie kämpferisch, wie überwältigend empathisch die Tochter nigerianischer Migranten, die sich selbst als in sich gekehrt, ja verschlossen beschreibt, auf einmal wirkt.
Mal geht es mit (indie-)rockigen New-Wave-Anleihen geradeaus nach vorne, mal wird es geradezu jazzig, und der Afroswing des älteren Stücks „Point and Kill“ klang noch nie so warm und einladend. Kostproben ihrer technischen Finesse – auch im Double-Time-Rap artikuliert sie jedes Wort glasklar – gibt Little Simz vor allem im ersten Teil des Konzerts, anschließend zählt vor allem die Direktheit der Aussage.
Ungefähr zur Hälfte der zweistündigen Show wird ein DJ-Pult auf die Bühne getragen und Little Simz legt selbst technoide Remixe ihrer tanzbarsten Tracks auf und rappt dazu im euphorisierenden Tempo. Die Menge hüpft, der Boden bebt und es wirkt wie ein kleines Wunder, wenn sie diese Energie dann aufgreift und sich von ihr durch die ungeschütztesten Songs ihrer Laufbahn tragen lässt.
In „Lonely“, dem Lied zur langen Ansage, erzählt sie, wie sie sich mit reiner Zähigkeit durch den Berg an Selbstzweifeln gekämpft hat. Der Lohn ihrer Anstrengungen liegt im Palladium auf der Hand: Nie war die Solokünstlerin weniger allein, rund 4000 Menschen halten ihr im Palladium den Rücken frei. Immer wieder brandet spontan Applaus auf. Es gibt keinen bestimmten Anlass, es ist einfach nur Liebe und die Bläserstöße im letzten Song, „Gorilla“, künden vom Triumph derselben. Little Simz, seit 15 Jahren im Geschäft, hat eine neue Karrierestufe erreicht. Und, viel wichtiger, sie weiß das Erreichte zu teilen.