Der Rapper und Sänger aus Los Angeles trat in der ausverkauften Lanxess-Arena auf. Unsere Kritik.
Konzert in KölnWie Tyler, The Creator sich vor 17.000 Fans selbst beschimpft

Tyler, The Creator - 'Chromakopia: The World Tour'
Copyright: Luis Panch Perez
Tyler Okonma lümmelt auf einer weißen Chaiselongue und isst einen Keks. Auf dem Plattenspieler läuft „Sorry Not Sorry“, ein Stück von seinem vorletzten Album „Call Me If You Get Lost“. Darin entschuldigt sich der Rapper unter anderem bei seiner Mutter, bei alten Freunden und Sexpartnern, bei den Frauen, die er angelogen und den Männern, die er vor der Öffentlichkeit verborgen hat.
Das Versteckspiel ist längst vorbei. Tyler, The Creators Wohnzimmer steht im Innenraum der ausverkauften Lanxess-Arena. Der Musiker aus Los Angeles tritt als Solitär auf, musiziert wird von der Festplatte und auch tanzen muss er ganz allein. Dafür umringen ihn Tausende textsichere Fans. Sie begrüßen jedes Vinyl aus seinem Backkatalog, das Tyler aus der Plattenkiste zieht, jede Neuerfindung, die hier noch einmal unter die Nadel kommt. Er ist ein Weltstar ohne Welthits, ein Albumkünstler für die Generation Playlist. Modebewusst sind sie noch dazu, die Fans. Tragen farbenfrohe Stücke seiner „Golf Wang“-Kollektionen oder bunte Variationen jener Pelz-Uschanka, an der man des Künstlers längst wieder abgelegtes Alter Ego „Tyler Baudelaire“ erkennen konnte.
Sein Gesicht hat Tyler, The Creator unter einer Maske verborgen
Die aktuelle Häutung des selbstgekrönten Schöpfers wirkt eher wie eine Aufrüstung: Den ersten Teil des Konzerts bestreitet Tyler in einer flaschengrünen Fantasieuniform mit üppigen Schulterpolstern, der Afro frisiert wie die Heckflossen eines alten Cadillacs, die obere Hälfte des Gesichts unter einer hautfarbenen Maske verborgen. „Chromakopia“ heißt das aktuelle Album und auch die Tour, das kann man sich griechisch-lateinisch als „Farbenfülle“ zusammenreimen.
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Zunächst aber leuchtet die Halle monochrom im Grün der Seecontainer. Der Aufbau wirkt, als wäre der Niehler Hafen mit roher Gewalt in die Deutzer Arena gekracht. Oder wie eine brutalistische Version der Smaragdstadt aus dem „Zauberer von Oz“. Die Container öffnen sich schlitzweise zur Bühne, der uniformierte Tyler marschiert auf der Stelle, rappt mit Grabesstimme über den weiten Weg, den er gegangen ist, seit er 2009, mit gerade einmal 18 Jahren, sein Debüt „Bastard“ veröffentlicht hatte – und gleich darauf über den nagenden Verfolgungswahn, der mit dem zunehmenden Erfolg einhergeht.
Jetzt wechselt er zur Kopfstimme, singt von Bindungsängsten, ermahnt sich selbst zu Offenheit und Ehrlichkeit, vergisst dabei aber nicht, seinen Fuhrpark – BMW, Ferrari, Rolls Royce – aufzuzählen. Vom Dach der Arena wird eine große Traverse heruntergelassen, die den Weg zur kleinen Zweitbühne überbrückt. Tyler tanzt hoch über der feiernden Menge. Allein: genießt er die Verehrung? Nein, er betreibt Selbstkasteiung: „Junge, du bist so egoistisch, dass du wirklich Angst davor hast, ein Vater zu sein“, disst er sich in „Take Your Mask Off“.
Kein leichter Vorwurf, das Trauma seines abwesenden nigerianischen Vaters zieht sich durch Okonmas gesamtes Werk. Dabei wirft er Geldscheine – oder doch nur geldscheingroßes Konfetti? – in die Menge. Die Maske fällt prompt, aber ob uns Tyler nun endlich sein wahres Gesicht zeigt, bleibt unklar. Letztendlich sind es seine Widersprüche, sind es die nicht zusammenpassenden Puzzleteile seiner Persönlichkeit, die sein künstlerisches Projekt vorantreiben.
Theresa May verweigerte Tyler, The Creator fünf Jahre lang die Einreise
Als er vor 15 Jahren als Kopf des blutjungen Odd-Future-Kollektivs aus Los Angeles – seiner sogenannten Wolf Gang – das Publikum mit Horror-Szenarien, frauenfeindlichen und homophoben Verunglimpfungen schockierte, galt Tyler gleichermaßen als Zukunft des Hip-Hops und Untergang des Abendlandes. „Kill people, burn shit, fuck school“, lautete das Odd-Future-Credo. In Großbritannien zog die damalige Innenministerin Theresa May die Notbremse und verweigerte dem Halbstarken fünf Jahre lang die Einreise.
Der fand schnell neue Wege, der Zivilgesellschaft eine Nase zu drehen, rappte „weiße Jungs habe ich schon seit 2004 geküsst“ und beschwerte sich anschließend, dass niemand sein Coming-out ernst genommen habe. Kurz darauf veröffentlichte er „Igor“, ein autobiografisches Konzeptalbum über eine bisexuelle Dreiecksbeziehung. Hatte Tyler am Ende lediglich sich selbst getrollt?
Zurück auf der großen Containerbühne steigert er sich am Ende von „Thought I Was Dead“ in eine virtuose A-Cappella-Schimpfkanonade hinein, gegen falsche Freunde und aufdringliche Fans. Und erneut gegen sich selbst, ein Heuchler sei er, klagt Tyler, bricht in heiseres Gebell aus – nur um ein herzzerreißendes Chanson folgen zu lassen. „Jage ich einem Geist nach? Sehe ich aus wie er?“, fragt er seine Mutter, erst ganz zärtlich, dann mit der Inbrunst eines Jacques Brel. Die verteidigt überraschend den Vater. Der sei ein guter Kerl gewesen, habe immer für seinen Sohn da sein wollen, sie habe ihn vergrault. So pellt der 34-Jährige eine weitere Zwiebelschale seines inneren Dramas ab, enthüllt Unerwartetes und 17.000 Menschen greifen ihm dabei singend unter die Arme. „Dankeschön!“, kreischt Tyler. Und fügt zur Sicherheit noch ein „Bitch“ hinzu.
Die grünen Wände schließen sich, Tyler tanzt, seine Kleider flattern in der Abluft des Gitterbodens. Die Seecontainer werden eingeschifft, die Reise geht weiter. „I hope you find your way home“, falsettiert dazu ein Festplatten-Chor. Den Weg nach Hause zu finden, das kann nicht so schwer sein. Und doch kommt man immer wieder als ein Anderer zurück.