„Das Biest im Dschungel“ an der Oper KölnDie Geschichte eines „sexuellen Selbstversorgers“

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Ein Mann steht in einem dunklen Raum auf der Bühne und blickt nach unten. Er trägt schwarze Kleidung.

„Das Biest im Dschungel“ nach Arnaud Petit, Kölner Oper

Am 14. April findet an der Oper Köln die Uraufführung von Arnaud Petits  „Das Biest im Dschungel“ statt. Es basiert auf einer Novelle von Henry James.

Sein ganzes Leben fürchtet sich ein Mann vor einem entsetzlichen Schicksal. In einer Frau findet er eine Gefährtin, die sein Geheimnis mit ihm teilt und ihm dadurch das Gefühl gibt, außergewöhnlich zu sein. Nach einem unscheinbaren Leben muss der Mann schließlich am Grab der Frau jedoch erkennen, dass er deren rückhaltlose Liebe nicht erwidert hat und sein Leben dadurch leer geblieben ist. Das von ihm gefürchtete Schicksal war womöglich nur seine eigene Angst, Ichsucht und Wichtigtuerei, die ihn Liebe und Leben verfehlen ließ. Oder was sonst könnte die von ihm gefürchtete „Bestie im Dschungel“ gewesen sein?

Henry James schildert in seiner Novelle „The Beast in the Jungle“ (1903) einen Menschen, der sich durch ein Geheimnis von seinen Mitmenschen entfernt. Der französische Komponist Arnaud Petit nahm diese Geschichte zum Ausgangspunkt für seine Oper „La Bête dans la jungle“. Die Uraufführung des Werks auf ein Libretto von Jean Pavans findet am 14. April an der Oper Köln statt.

Sänger Miljenko Turk war bereits in der Kölner Oper zu Gast

Regie des Zwei-Personen-Stücks führt Frederic Wake-Walker, der in der Spielzeit 2018/19 Brittens „Peter Grimes“ inszenierte. Die Solopartien dieses Zwei-Personen-Stücks sind melodisch, zuweilen fast Chanson-artig, aber rhythmisch extrem komplex. Den Mann verkörpert Kammersänger Miljenko Turk, der in Köln sehr erfolgreich bereits die Hauptrollen von Wolfang Rihms „Jakob Lenz“ und „Die Eroberung von Mexiko“ gesungen hat. Die Rolle der Frau übernimmt Sopranistin Emily Hindrichs, die 2018 die virtuose Partie der Marie in Bernd Alois Zimmermanns „Die Soldaten“ bravourös gestaltete.

Die Unfähigkeit des Mannes, sich mit der Frau wirklich zu verbinden, bleibt bis zum Schluss rätselhaft. Es könnte an seiner Homosexualität liegen, die auch Henry James lebenslang verbergen musste, ebenso gut aber auch an seiner Egozentrik. „Die ganze Oper dreht sich“, so Turk, „um diesen Mann und diese Frau, die nur sich gegenseitig haben und immer wieder im Gespräch ihre Gedanken und Gefühle beschreiben und über Leben und Welt reflektieren.“

Arnaud Petits „Das Biest im Dschungel“ wurde auch als „Nicht-Oper“ bezeichnet

Das enge Verhältnis beider würde der Mann wohl als Freundschaft ansehen, die Frau vielleicht eher als feste Paarbeziehung. „Wir haben selten Linien“, so Hindrichs, „die sich überschneiden. Wir singen kaum zusammen, sondern abwechselnd im Dialog, was der eine und die andere denkt und fühlt.“ Denselben oft zwischen Mann und Frau wiederholten Worten gibt die Musik jeweils andere Bedeutungen durch verschiedene Begleitung, Rhythmik, Harmonik und Instrumentation.

Arnaud Petit studierte bei Pierre Schaeffer, Luciano Berio und Pierre Boulez. In Deutschland ist der 1959 geborene französische Komponist bislang völlig unbekannt. Seine Oper „La Bête dans la jungle“ bezeichnet Regisseur Wake-Walker als „Nicht-Oper“, weil neue Opern heute etwas anderes sein sollten. Es gibt keine äußere Handlung, kaum Arien, kein Duett, keine klassische Mann-Frau-Beziehung. Stattdessen gibt es einen alles kommentierenden Erzähler, den der Regisseur auf der Bühne selbst übernimmt: „Petit wollte eine Art Traum komponieren, bei dem die Realitätsebenen verschwimmen, Vergangenheit, Gegenwart, Gedanken, Erinnerungen, Leben und Tod, wie bei einer Seance.“

Es geht nicht um äußere Aktion und Dramatik, sondern um das Innenleben der Figuren. „Es ist fast wie bei Becketts ‚Warten auf Godotʻ, zwei Menschen auf der Bühne, und nichts passiert.“ Neben dem Erzähler und dem subtil die Psychologie nachzeichnenden Orchester gibt es Zuspielungen von Elektronik und transformierten Chorklängen, die Atmosphären schaffen und wie in der griechischen Tragödie das Gefühlsleben der Figuren kommentieren.

Autor Henry James war selbst sehr distanziert gegenüber seiner Partnerin

Frederic Wake-Walker ist auch möglichen autobiographischen Motiven auf der Spur: „Ich habe mich näher mit Henry James und seinem Verhältnis zur Schriftstellerin Constance Fenimore Woolson beschäftigt, mit der er zeitweilig zusammen lebte und in deren Nachlass er auf die Idee zu seiner Novelle stieß.“ Henry James wurde 1843 in New York geboren und bezeichnete sich selbst als einen „sexuellen Selbstversorger“. Die 1840 geborene Woolson litt womöglich unter seiner Distanziertheit, auch unter Depressionen und nahm sich 1894 vermutlich selbst das Leben.

Der Regisseur möchte das Geheimnis des Mannes in Petits Oper jedoch nicht vereindeutigen, sondern dem Publikum als Frage mit auf den Weg geben: „Ich versuche bei jeder Inszenierung, zu große Klarheit zu vermeiden. Und gerade in dieser Oper gibt es keine Moral von der Geschichte. Vielmehr liebe ich es, wenn das Publikum verschiedene Fantasien und Meinungen hat. Alle erleben das Geschehen aus anderer Perspektive. Jeder soll seine eigene Erfahrung machen!“

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