Regisseur Baz Luhrmann in Köln„Ich bin immer noch im Geschäft, meine Kritiker sind arbeitslos“

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Gerade war Hollywood-Regisseur Baz Luhrmann mit „Elvis“ erfolgreich, jetzt besuchte er die Kölner Produktion seines Musicals „Moulin Rouge“. Ein Gespräch über große Träume und wie man sie finanziert. 

Baz Luhrmann, Sie haben gerade die Kölner Inszenierung von „Moulin Rouge“ zum ersten Mal gesehen. Was waren Ihre Eindrücke?

Baz Luhrmann: Ich war wirklich tief beeindruckt von der Qualität der Darbietungen. Ich meine, das ganze Ensemble war großartig, aber was Riccardo Greco als Christian abgeliefert hat, ist wirklich besonders. Und wenn man den Theatersaal betritt, ist es der am besten gestaltete Raum von allen Produktionen.

Aber am Anfang war ihr Film. Lassen Sie uns noch einmal zurückschauen, auch wenn das für Sie eine Ewigkeit her ist.

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Das ist ein halbes Leben her! Als ich „Moulin Rouge“ gemacht habe, war ich nicht mal 40. Jetzt bin ich 60.

Zuvor hatten Sie bereits „Strictly Ballroom“, „Romeo + Julia“ und eine Opernproduktion von „La Boheme“ inszeniert. Einflüsse, die in „Moulin Rouge“ zusammenkommen.

Ich wollte schon immer das Film-Musical neu erfinden. Ursprünglich hatte ich geplant, „Moulin Rouge“ noch vor „Romeo + Julia“ zu drehen. Aber da wollte noch niemand Geld für ein Musical riskieren.

Ein Film-Musical ist keine sichere Bank. Man kann mit einem Flop wie „Cats“ enden.

Genau. Die Sache ist die: Wenn Musical funktionieren, haben sie ein langes Leben, wie „The Greatest Showman“. Aber wenn sie scheitern, sind es oft sehr teure Fehlschläge. Musicals sind schwer zu realisieren, weil sie alle Disziplinen benötigen. „Moulin Rouge“ erfordert gute schauspielerische Leistungen, gutes komisches Timing, körperlich intensiven Tanz. Wissen Sie, wie viel Songs Christian und Satine in einer Show singen müssen? Und die Schauspieler in Köln singen sie siebenmal pro Woche! Als ich „La Boheme“ gemacht habe, hatte ich drei verschiedene Mimis und drei Rudolfos. Die konnte jeweils nur zwei Vorstellungen pro Woche singen. Es ist einfach körperlich sehr anstrengend. Ich glaube, das Publikum versteht gar nicht, wie schwer das ist.

Das Publikum versteht gar nicht, wie schwer Musicals zu realisieren sind.
Baz Luhrmann

Bei der Bühnenproduktion von „Moulin Rouge“ haben Sie sich ziemlich zurückgehalten und die Regie Alex Timbers überlassen. Warum?

Als ich anfing, mit der Idee zu spielen, meine eigenen Filme in Musicals oder Bühnenshows zu verwandeln, habe ich sehr schnell gemerkt, dass ich nicht mehr der Mensch sein kann, der ich 1999 war. Ich wollte lieber neue Projekte angehen. Ich besuchte ab und an die Proben, gab Ratschläge. Aber mehr wie ein Onkel oder ein Großvater. Alex Timbers und das gesamte kreative Team haben sich wirklich etwas getraut. Ich hätte es ruiniert, ich hätte das, was ich im Film gemacht habe, nicht ändern können. Aber Theater muss lebendig sein, organisch. Es muss aus dem Moment heraus entstehen, für dieses Publikum an diesem Ort und zu dieser Zeit.

Immerhin haben Sie das Original-Cast-Album produziert. Ist das wie ein Urlaub vom Regie führen?

Ja, ist es. Ich liebe es, Musik zu produzieren. Ich durfte mit den größten Künstlern aller Zeiten zusammenarbeiten, mit Prince, mit David Bowie. David wurde zu einem guten Freund. Mit Jay-Z habe ich das Soundtrack-Album für „Der große Gatsby“ gemacht. Ich würde am liebsten jetzt, in diesem Raum hier, Musik machen. Der fühlt sich gut an, der Hall, das Licht und die Tatsache, dass ich hier für niemanden zu erreichen bin. Es fühlt sich ein bisschen an wie damals, als Bowie nach Berlin ging, um „Low“ aufzunehmen. Er wollte weg aus seiner Blase und wieder zu sich selbst finden.

Apropos Orte, von denen man wegkommen will: Sie sind in einem winzigen, abgeschiedenen Ort in New South Wales aufgewachsen ...

Ja, es war eine gute Tagesreise bis zur nächsten größeren Stadt. Als ich zur Highschool ging, musste ich morgens zwei Stunden mit dem Bus fahren.

Wenn man von nichts umgeben ist, hat man doch nur die eine Möglichkeit: groß zu träumen.
Baz Luhrmann

Wie haben Sie gelernt, so groß zu träumen, wo Sie doch im Grunde genommen von nichts umgeben waren?

Ich glaube nicht, dass man das lernen kann. Wenn man von nichts umgeben ist, hat man doch nur die eine Möglichkeit: groß zu träumen. Im Moment denke ich viel darüber nach. Ich bin jetzt an dem Punkt meiner Reise, wo ich auf meine Anfänge zurückschauen kann. Dieses kleine Kind in einem kleinen Haus in einer Stadt, die überhaupt nur aus fünf Häusern besteht - jetzt sehe ich den Stoff für eine Geschichte darin.

In vielen Ihrer Filme geht es um junge Menschen, die von großen Dingen träumen, nicht wahr?

Ja, das stimmt. Wie zuletzt bei „Elvis“, der stammt aus einer kleinen Stadt auf dem Land und hat große Träume, die tragisch enden. Und in meinen Geschichten kommt immer auch eine Art Colonel Tom Parker vor. Wie Zidler in „Moulin Rouge“ oder Barry Fife in „Strictly Ballroom“. Es gibt immer diesen moralisch zwiespältigen Impresario. Eine Art König der Unterwelt. Und dann gibt es den Schriftsteller und die Muse. Warum, das weiß ich nicht.

Als Sie als Schauspieler und junger Regisseur anfingen, gab es also keine solche Figur?

Ich weiß es einfach nicht. Ich glaube, ich muss wirklich nochmal in mein früheres Leben zurückkehren und einen Coming-of-Age-Film machen. Aber nicht sofort. Die jahrelange Arbeit an einem großen Film wie „Elvis“ ist wie eine Droge. Ich absolviere gerade mein Methadonprogramm, gehe auf Reisen, ohne großes Team. Zum Teil ist das anstrengend, weil ich verlernt habe, wie man Taschen packt. Aber allein in einem Zimmer aufzuwachen, tut gut. Wenn ich einen Film drehe, weckt mich immer jemand auf. Und wenn ich einschlafe, sitzt immer noch jemand neben mir und macht Notizen. Man steckt in einer Maschine.

Eine Maschine, die Sie kontrollieren, in der Sie aber gleichzeitig auch nur ein Rädchen sind?

Ja, das ist eine tolle Art, es zu sagen. Du steuerst die Maschine und bist gleichzeitig das wichtigste Rädchen.

In meiner Kindheit sind jede Menge persönlicher Katastrophen passiert, jede Menge Dramen.
Baz Luhrmann

Viele Ihrer Filme erzählen von der inneren Maschinerie einer Show, ob die nun im Ballsaal, im Theater oder im Club auf die Bühne gebracht wird.

So isoliert, wie ich aufgewachsen bin, war das so ziemlich das Einzige, was mir blieb: eine Show auf die Beine zu stellen. Mal zeigte ich eine Zauber-Revue, mal gründete ich einen Radiosender. Immerhin hatte ich noch zwei Brüder. Außerdem ließ mein Vater alle möglichen kreativen Leute bei uns wohnen, und wir betrieben das örtliche Kino, also langweilig war es nicht. Trotzdem war es normalerweise eine One-Man-Show. So habe ich gelernt, alles selbst zu machen. Mein Vater war im Vietnamkrieg gewesen, meine Mutter hatte er über ihre gemeinsame Liebe zur Fotografie kennengelernt. Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, brachte er mir das Fotografieren mit einer Brownie-Kamera bei, das ist die erste tragbare Kamera, die jemals hergestellt wurde. Man hatte vielleicht sechs Bilder zur Verfügung. So habe ich gelernt, schnell die richtige Einstellung zu finden. Dazu kamen dann noch all die persönlichen Katastrophen, die so passiert sind. Jede Menge Dramen.

Zum Beispiel die Scheidung Ihrer Eltern?

Die Scheidung. Dann all diese großen Autounfälle direkt vor unserer Nase. Es gab viele Tote. Und es gab Raubüberfälle, denn unsere Tankstelle war wie eine Karawanserei, sie war ein Supermarkt, ein Restaurant, Leute übernachteten bei uns. An so einem abgelegenen Ort macht jede Art von Mensch Halt.

Am heutigen Kinomarkt sind Ihre Filme Kuriositäten. Sie sind einer der letzten wahren Autorenfilmer, die mit riesigen Budgets an einer persönlichen Vision arbeiten. Außer Ihnen gibt es eigentlich nur noch Christopher Nolan ...

Puh, das klingt prätentiös. Aber gut, sagen wir, ich bin ein Autorenfilmer mit gewissen Vorteilen. Ich befinde mich tatsächlich in einer sehr ungewöhnlichen Position. Ich kann sagen, dass ich einen Film machen will und dann passiert das auch. Ich denke ihn mir aus, ich schreibe ihn, ich mache die Musik, ich mache das Produktionsdesign mit meiner Frau Catherine Martin, ich übernehme das Casting, die Promotion und das Marketing. Meine Filme sind nicht billig. Ohne das, was ich die Baz-Luhrmann-Show nenne, also ohne all die albernen Dinge, die man unternehmen muss, um Aufmerksamkeit für seinen Film zu bekommen, würden sie finanziell scheitern. Manchmal beneide ich Regisseure, die einfach nur einen Job annehmen, denn Schauspieler anzuleiten, das ist das, was mir wirklich Spaß macht. Aber dann hätte ich nicht die Freiheit, die ich genieße.

Mir wurde der erste „Harry Potter“ angeboten. Mit Gewinnbeteiligung.
Baz Luhrmann

War das eine bewusste Entscheidung, unabhängig zu bleiben?

Nach „Strictly Ballroom“ wurde mir der erste „Harry Potter“ angeboten. Mit Gewinnbeteiligung, können Sie sich das vorstellen? Aber ich habe mich instinktiv aus dem Hollywood-System herausgehalten. Ich wollte mich nie in den Dienst dieses Systems stellen. Es gibt in Hollywood berühmte Regisseure, die ihre Projekte nicht verwirklicht bekommen können. Aber ich kann „Elvis“ drehen, obwohl es auf den ersten Blick kaum ein schlechteres Thema gibt. Elvis ist wirklich uncool: Ein fetter weißer Mann in einem weißen Anzug, der sich in ein 14-jähriges Mädchen verliebt. Dazu kommt noch die kulturelle Aneignung. Aber dabei vergessen wir, dass Elvis in der schwarzen Gemeinde aufgewachsen ist, wie Eminem. Und dass damals jeder über 25 Jahren Angst vor ihm hatte. Die Regierung wollte ihn am liebsten im Knast sehen, so furchteinflößend war er.

Auch an Ihren Filmen scheiden sich die Geister. Entweder man hasst oder liebt sie ...

Wissen Sie was? Ich bin 60 und immer noch im Geschäft. Viele meiner schärfsten Kritiker sind heute arbeitslos. Natürlich möchte ich auch geliebt werden. Aber wenn man anfängt, dieser Art von Bestätigung nachzujagen, stirbt man an dieser Art von Bestätigung. Ich bin nie bei den Academy-Awards für die beste Regie nominiert worden. Aber ich bin nicht wütend darüber. Die ganze Regisseurs-Gilde denkt doch: Ein Baz-Luhrmann-Film, ist der nun gut inszeniert oder nicht? Mit Regie, wie wir sie kennen, hat das jedenfalls nichts zu tun.

Vielleicht, weil Ihre Filme vor Style überschäumen. Kritiker sprechen dann gerne von „Camp“. Würden Sie das unterschreiben, oder ist das zu oberflächlich betrachtet?

Wenn ich jetzt etwas Bissiges sagen wollte, würde ich zu diesen Kritikern sagen: Lest ein Buch. Ich schätze Camp, aber in seiner ursprünglichen Bedeutung: Man sagt etwas sehr Ernstes, indem man sehr albern ist. Schauen Sie sich Shakespeare an oder das Hindi-Theater oder die Klassiker, die benutzen alle die Mittel des Camps, um große Tragödien zu erzählen. Ich würde es so sagen: Ich bin der Stanley Kubrick des Konfetti.

„Moulin Rouge“ ist von Di-So im Kölner Musical Dome zu erleben. In den Sommerwochen gibt es für bestimmte Vorstellungen zu 20 Prozent ermäßigte Karten.

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