Spielzeitauftakt in Köln, die Zweite: Neu-Intendant Kay Voges inszeniert Jon Fosses absurdes Familienstück „Der Name“.
Schauspiel KölnIn „Der Name“ lässt Jon Fosse die Sprache gefrieren

Familie in hysterischen Windungen: Rebekka Biener (l.), Louisa Beck und vorne Birgit Unterweger
Copyright: Birgit Hupfeld
Ein Nebelhorn durchbricht die Stille. Die wirkt anschließend umso unheimlicher. Und gar nicht mehr so still. Der Kühlschrank brummt. Der Ausguss gurgelt. Die auf halber Treppe in die Wand gesetzte Waschmaschine geht von selbst an und leuchtet ominös aus der Trommel. Von irgendwoher kommen Schritte. Deckenleuchten flackern, draußen peitscht der Regen. Inmitten des elterlichen Gruselhauses – die wunderbare Scheußlichkeit des Bühnenbildners Michael Sieberock-Serafimowitsch füllt die Breite des Depot 2 – am Meer steht Beate (Rebekka Biener, mit kaum zurückgehaltener Wut), die hochschwangere Heimkehrerin, und klagt.
Dass sie mit dem Bus vorfahren musste, in ihrem Zustand, während der junge Kindsvater (Fabian Reichenbach, herrlich erbärmlich) mit dem Auto nachgekommen ist. Dass der ihr nie zuhöre, weil ihm alles egal sei. Der Beschuldigte wehrt sich kaum, bricht mitten im Satz ab. Er ist von der Gesamtsituation überfordert.
Alle sprechen hier nur in sinnentleerten Halbsätzen
Alle sprechen hier nur in Halbsätzen. Und je sinnentleerte diese Ellipsen sind, desto häufiger werden sie wiederholt, bis sich noch das letzte bisschen Inhalt verflüchtigt hat. Beates kleine Schwester (Louisa Beck) wundert sich über die Größe von Beates Bauch, dann fällt ihr auch nichts mehr ein und sie schlägt vor, Karten zu spielen. Was die Ältere zuverlässig zur Weißglut bringt. Die Mutter klagt noch ein bisschen mehr als Beate, ihre Beine schmerzen, trotzdem trägt sie unbequeme High Heels und kündigt sich mit einem artistischen Treppensturz an, der Birgit Unterweger, ihrer Darstellerin, Szenenapplaus einbringt.
„Der Name“, das frühe Stück, mit dem der Nobelpreisträger Jon Fosse vor 25 Jahren seinen Einstand am deutschsprachigen Theater feierte, dividiert Ibsen durch Beckett. In dieser Familie gibt es Lebenslügen aufzudecken, die Hinweise sind erdrückend, doch scheint sich niemand an sie erinnern zu können oder wollen. Sprachlosigkeit hat das Trauma oder die Traumata überfroren, vielleicht auch Lustlosigkeit. Man gehört noch irgendwie zusammen als Familie, aber sich mit seinem Gegenüber zu beschäftigen, ihm überhaupt nur zuzuhören, dazu fehlt die rechte Lust. Einmal kommt es beinahe zu einem Gewaltausbruch zwischen Mutter und Vater.
Den hat Thomas Dannemann als klassischen Tyrannen im Feinrippunterhemd angelegt – es gibt Hinweise auf früheren Missbrauch, eine dritte Tochter hat sich aus dem Staub gemacht –, dem dann allerdings die Energie fehlt, dieses Klischee zu erfüllen. Er ist müde von der Arbeit, zu müde, sich mit Beate auseinanderzusetzen, deren Freund beachtet er dann schlicht überhaupt nicht. Müde ist auch die Mutter vom Schmerz und die Tochter vom Schwangersein. Der Satz „Ich bin müde“ wird in dieser Familie als Drohung und Letztbegründung für alles ausgesprochen, so lässt Fosse seine Figuren diesen Satz und auch andere wiederholen, dass das Drama wie ein Libretto zu einer ungehörten Oper wirkt.
Und Kay Voges, der diese letzte seiner Inszenierungen am Wiener Volkstheater für Köln neu einstudiert hat, stellt sein Ensemble in der Kulisse auf, wie Sänger in einer Gruppennummer am Ende des ersten Akts. Wenn er den Subtext dann mit einer albtraumartigen Quizshow mit Menschen in Bärenkostümen an die Oberfläche holt, ist das fast schon zu viel. So offensichtlich wie die Musikalität des Textes ist sein grimmiger Humor. Der norwegische Düstermann kann komisch sein und die Momente, in denen Voges das absurde Familienstück auf der Kippe zur Boulevardkomödie hält, sind die besten der knapp zweistündigen Aufführung.
Irgendwann steht Bjarne (Jonas Dumke) vor der Tür, Beates alter Schwarm. Für einen Moment taut die ganze Familie auf. Aber der vergeht schnell, Bjarne hat auch nichts zu sagen, der Leerlauf gewinnt. Am Ende ist man doppelt erleichtert: Darüber, aus diesem Horrorhaus raus zu dürfen, und auch darüber, was für einem exzellenten Ensemble man hier beim vollendeten Nichtssagen zuschauen durfte.
Termine: 3., 12. 11.; 23. 1. (alle ausverkauft), Depot 2, 105 Min., keine Pause