Serie „Was fehlt“Welche Sehnsüchte sich nach einem Jahr Homeoffice auftun

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In der Pandemie ist manches Großraumbüro verwaist.

In der Pandemie ist manches Großraumbüro verwaist.

Köln – Je länger der Lockdown dauert, desto schmerzlicher spüren wir den Verlust: kein Theater, keine Konzerte, keine Lesungen. Bei uns in der Kulturredaktion ist die Sehnsucht besonders groß – schließlich lieben wir kulturelle Veranstaltungen. Warum? Davon wollen wir in dieser Serie erzählen.

Kollegin B. hat eine Wunder-Schreibtischschublade: Pflaster, Tee, Süßigkeiten, Tampons, Mundschutz, Schere, Regenschirm, Kopfschmerztabletten. Wahrscheinlich auch Fallschirme, Insektenvernichtungsmittel, Handschellen und Devisen. Egal was passiert: Ein Griff in die Schublade und Kollegin B. hilft.    

Kollege A. ist der einzige, der es gecheckt hat. Er erklärt, rechnet vor, schüttelt den Kopf. Jeder, der auch nur ein bisschen Verstand hat, muss seiner Meinung sein. C., F. und N. sind es auf jeden Fall nicht – die glauben nämlich auch, sie seien die einzigen, die wissen, wie es wirklich läuft.

Kollegin R. tippt derweil gelangweilt in ihr Smartphone. Sie hat schon hundert Sachen online gestellt, kommentiert und auf Plattformen geteilt, von denen die meisten noch nie etwas gehört haben – während die andern gerade mal ihren Rechner hochgefahren haben.

Kollege S. kommentiert jeden seiner Arbeitsschritte. Immer. „So, dann rufe ich jetzt mal XY an!“. Er macht brillante Arbeit - das soll ruhig jeder wissen.

Kollege S. gefällt etwas nicht. Er hat Recht – das wird sofort geändert. Aber warum erklärt er trotzdem noch eine gefühlte halbe Stunde lang immer wieder, warum das alles so überhaupt nicht geht?!

Kollege N. freut sich so über seine eigene Kolumne, dass er jeden Witz beim Schreiben mehrfach laut vorträgt: „Hier, hör’ mal!“. Selbst wenn man die Sprüche nicht lustig findet: Gute Laune macht N. mit seiner haltlosen Begeisterung trotzdem irgendwie.*

Wer hätte je gedacht, dass er seine Kollegen und Kolleginnen so vermissen würde? Ich nicht. Aber nach mehr als einem Jahr Homeoffice fehlt mir jede und jeder einzelne. Sogar die Anstrengenden und die Eitlen. Und erst recht die Netten, die ungefragt ein Taschentuch reichen, wenn ich mal mit verweinten Augen am Waschbecken stehe. Die mir geduldig die gleiche Frage zum 14. Mal beantworten. Und die manchmal Texte schreiben, bei denen ich mich vor lauter Bewunderung gar nicht einkriege.

Wer denkt, dass seine Kollegen nerven, der hat wahrscheinlich keine Kinder

Vor der Tür meines Homeoffice (vorher bekannt als „Schlafzimmer“) lässt der Sechsjährige gerade irgendein Hauptquartier explodieren. Der Kleine weint, weil sein Bruder dafür angeblich sein Auto geklaut hat. Und alle zwei Minuten kommt jemand rein, der dringend Malpapier, Kleber oder Stifte braucht. Oder einfach nur „zugucken“ will. Wer wirklich denkt, seine Kollegen nerven, der hat wahrscheinlich keine Kinder.

Obwohl ich mir in solchen Momenten nichts sehnlicher wünsche, als endlich alleine zu sein: Einsam ist es trotzdem. Zwar sind ständig Menschen um mich herum, aber die meisten davon sind eben sehr klein. Und ihr Fachwissen beschränkt sich auf Bagger und Dinosaurier. Mit wem soll ich also über meine Arbeit reden? Nichts gegen „Wir Kinder aus Bullerbü“ – aber intellektuelle Inspiration sieht anders aus.

Arbeit ist auch soziale Teilhabe – zuallererst natürlich wegen des Geldes. Und angesichts von leeren Hotels, Restaurants und Geschäften ist ja ein Privileg, überhaupt arbeiten zu dürfen – egal wie, egal wo. Aber wenn es gut läuft, ist der Job mehr als nur der Tausch von Zeit gegen Geld. Das spüren gerade alle, die wegen der Corona-Pandemie nicht mehr in ihre Büros, Redaktionen, Agenturen oder Werkstätten gehen. Und stattdessen alleine mit dem Computer am Küchentisch sitzen. Oder eben im Schlafzimmer.

Wäschestapel neben dem Laptop. Fünf Schritte zur Toilette, zehn zum Espresso-Kocher und (viel zu oft) zur Kiste mit den Keksen. Das ist der Radius, der übrig bleibt.

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Was fehlt? Fachsimpeln, Feedback, Flurfunk. Menschen, die sich für die gleichen Dinge interessieren wie ich. Die verstehen, was ich da eigentlich den ganzen Tag tue. Für die es sich lohnt, auch mal einen Pulli ohne Flecken anzuziehen. Kollegen und Kolleginnen eben.

Ja, klar: Es gibt Zoom, Teams, Slack und so altmodische Sachen wie Mails und Telefone. Gar nicht auszudenken, wie wir vor 50 Jahren gearbeitet hätten, in einer Pandemie. Womöglich wäre alles zusammen gebrochen im „Heim-Büro“. Doch zum Glück: Es funktioniert. Wir funktionieren. Das ist gut. Aber auf Dauer zu wenig.

Nach hunderten Portionen Thai-Imbiss, Falafel und Nudeln mit Pesto zum Mittagessen gibt es eigentlich nur eine Sache, die ich im Homeoffice noch mehr vermisse als meine Kollegen: Die Kantine.

*Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und realen Handlungen sind rein zufällig.

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