Seit Wochen steht Rammstein-Sänger Till Lindemann in der Kritik. Losgetreten hat die Welle an Vorwürfen Shelby Lynn. Die Nordirin hatte nach einem Rammstein-Konzert im litauischen Vilnius am 22. Mai in sozialen Netzwerken Vorwürfe erhoben. Es folgten Medien-Recherchen, weitere Vorwürfe von mutmaßlich betroffenen Frauen, noch nicht abgeschlossene Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft.

Im Zentrum der Anschuldigungen steht ein Fan-Castingsystem, das zum Ziel haben soll, dem Rammstein-Frontmann Till Lindemann Frauen zuzuführen – auch für Sex. Innerhalb dieses Systems soll es laut Vorwürfen zu Machtmissbrauch und Übergriffen gekommen sein. Lindemann ließ die Anschuldigungen über seine Anwälte dementieren.

Im Interview spricht die 24-jährige Shelby Lynn nun über ihre Erfahrungen, die Folgen ihrer Anschuldigungen und die Resonanz in sozialen Netzwerken.

Wie geht es Ihnen, Frau Lynn?

Shelby Lynn: Ganz gut, gute Tage und schlechte Tage.

Die Anschuldigungen, die Sie gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann erhoben haben, haben eine Welle an Vorwürfen losgetreten. Haben Sie damit gerechnet, dass das so groß wird?

Nein, absolut nicht. Ich beschreibe es weiterhin, als hätte ich Pandoras Box geöffnet. Am Anfang wollte ich nur andere Frauen und Mädchen auf Reddit warnen, sagen: „Passt auf euch auf!“ Ich konnte es nicht fassen, wie es sich entwickelt hat.

Ihr Fall hat viel Aufmerksamkeit bekommen, und es wurde viel spekuliert. Nochmal: Was sind Ihre Vorwürfe rund um das Rammstein-Konzert in Vilnius?

Ich bin überzeugt, mir wurde beim Rammstein-Konzert am 22. Mai etwas ins Getränk gemischt. Ich wurde gegroomed (auf Deutsch etwa „dafür vorbereitet”, d. Red.), um mit Till Lindemann Sex zu haben. Als ich dann mit ihm gesprochen habe, hat er mein „Nein” zum Sex akzeptiert, er war wütend, aber er hat es akzeptiert. Er hat mich nie angefasst oder vergewaltigt. Aber das Fan-Castingsystem ist so ausgefeilt. Es ist Manipulation für Till Lindemanns sexuelle Bedürfnisse.

„Row 0“ und Aftershow-Party

Das Fan-Castingsystem für Rammstein-Sänger Till Lindemann

Von

Martin Böhmer

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Wie hat sich geäußert, dass Till Lindemann wütend war?

Er wurde laut. Er sagte, dass man ihm gesagt hätte, dass ich Sex mit ihm haben wolle. Und er rief deutlich, dass ich warten solle, als ich ging.

Sie können sich nicht mehr an alles erinnern, sind sich aber sicher, dass Lindemann Sie nicht angefasst hat?

Ich bin mir sicher, weil meine Kleidung intakt war. Das Korsett, den BH, den ich zur Sicherheit da drunter trug, zwei paar Strumpfhosen und so weiter, da war nichts kaputt.

Wie kam der Kontakt zustande? War es das erste Mal, dass sie in der „Row Zero” standen?

Es war überhaupt mein erstes Rammstein-Konzert, ich bin kein Super-Fan, der überall hinreist. Tickets sind hier sehr teuer, deswegen bin ich nach Vilnius in Litauen geflogen, weil ich sowieso auf Reisen war. Dann habe ich von Alena M. erfahren und ihr geschrieben. Aftershow-Party und vorderste Reihe bei Rammstein klangen gut. Mir wurde nie gesagt, dass ich Till Lindemann treffen soll, und vor allem nicht so. Ich wäre geflohen. Und die Musik bei der Aftershow-Party war auch noch grauenhaft.

Alena M. gilt als Vertraute von Till Lindemann und spielt in dem Fan-Castingsystem eine Schlüsselrolle, sie beschrieb sich selbst als „Casting-Direktorin“. Laut Band wurde ihr mittlerweile jeglicher Zugang zu Konzerten verwehrt. Wie haben Sie von M. erfahren?

Reddit. Bei Reddit gab es einen Beitrag, in dem es darum ging, wie sicher und liebevoll die Aftershow-Partys sind. Man müsse nur Alena schreiben, um reinzukommen. Ich habe sie dann gesucht und angeschrieben.

Würden Sie sagen, dass Sie an dem Abend betrunken waren?

Nein, ich war vor diesem Abend schon mal betrunken, auch richtig übel betrunken, aber das fühlte sich immer ganz anders an als bei dem Konzert. Ich kann mich an kaum etwas erinnern, ich war wie im Lala-Land. Es ist so bizarr und deswegen bin ich fest überzeugt, dass da noch etwas anderes als Alkohol war. Und dann habe ich die blauen Flecken entdeckt.

In dem Wirbel der sozialen Netzwerke hat es neben Unterstützung auch viele Angriffe gegen Sie gegeben. Es wurde behauptet, Sie würden sich alles ausdenken, Sie würden es für eine Art Ruhm machen. Wie gehen Sie damit um?

Ich bin überzeugt, dass es verdammt viele leichtere Wege gibt, um berühmt zu werden. Aber ich erinnere ich mich regelmäßig daran, dass sogar Massenmörder Ted Bundy Fans hatte. Nicht, dass ich Till Lindemann mit ihm vergleichen würde, das mache ich natürlich nicht. Aber es hilft mir zu verstehen, warum manche Menschen so etwas schreiben.

Ein Vorwurf gegen Sie lautet: Was haben Sie erwartet bei Rammstein, die gerne mit Grenzwertigem für ihr Image spielen?

Wenn ich denke, dass es hier um eine Party geht, sollte ich dann die Geschichte von jedem Partygast kennen? Hier passiert Täter-Opfer-Umkehr.

Hatten Sie jemals Sorge, als Sie die Vorwürfe erhoben haben?

Nein, niemals. Ich habe keine Angst. Ich habe nur das Ziel Gerechtigkeit.

Sie haben gesagt, dass Sie zum Sprachrohr für andere mutmaßlich betroffene Frauen werden wollen. Warum?

Ich hatte am Anfang keine Ahnung, wie groß das ist. Aber dann kamen Berichte, alte Beiträge in Foren mit ähnlichen Geschichten, Freundinnen von Freundinnen, neue Instagram-Posts und ich dachte, dass ich das nicht zulassen kann. Vilnius war das erste Konzert der aktuellen Rammstein-Tour. Ich dachte, dass manche Frauen vielleicht nie ihre Stimme finden, also will ich ihre Stimme sein.

Bei Rammstein-Konzerten ist es nach Ihren Vorwürfen zu Protesten gegen die Band und ihren Frontmann gekommen. Was denken Sie darüber?

Es ist schön, so eine Einheit zu sehen, und dass sich so viele Menschen einsetzen. Aber ich habe Angst um sie. Es kam zu verbalen Angriffen und es wurde so viel Hässliches gesagt. Ich verstehe auch die Leute, die weiter zu Rammstein-Konzerten gehen, wenn sie teure Tickets, Hotels oder Flüge gekauft haben und einfach die Musik hören wollen. Weniger verstehe ich die Leute, die sich mit Bannern auf Lindemanns Seite stellen. Wärt ihr nicht lieber auf Seite der anklagenden Frauen mit etwas Restzweifel als auf der Seite des Beschuldigten mit etwas Restzweifel?

Rammsteins-Drummer Christoph Schneider hat sich via Instagram gemeldet und teilweise von seinem Sänger distanziert. Was halten Sie von dem Statement?

Es bedeutet nichts. Er zeigt sich auf der einen Seite schockiert, und es ist ihm wichtig zu sagen, dass es Unterschiede zwischen Partys der Band und Lindemanns Partys gibt. Aber er sagt auch, ihm sei nichts Illegales bei den Partys aufgefallen und man wolle das mit allen sechs Bandmitgliedern zusammen durchstehen. Was ist es denn jetzt? Entweder bist du für Till oder gegen ihn.

Till Lindemanns Anwälte haben Auszüge aus einem medizinischen Rechtsgutachten aus Köln veröffentlicht, das ihn entlasten soll. Wussten Sie, dass das Gutachten erstellt wird? Hat Sie jemand dazu kontaktiert? Und hat Sie jemand persönlich getroffen?

Nein, nein und nein. Sie haben meine Instagram-Fotos analysiert. Hätten sie mich kontaktiert, hätte ich gerne noch weitere Fotos bereitgestellt, aber sie haben mich zu nichts befragt oder mir gesagt, dass das Gutachten erstellt wird. Es gab Null Kontakt.

Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger

Kölner Uni-Professor schreibt Gutachten im Auftrag von Till Lindemanns Anwälten

Von

Martin Böhmer

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In Vilnius wurden die Ermittlungen eingestellt, in Berlin laufen sie noch. Was glauben Sie, wie die ganze Sache ausgeht?

Das ist eine unfassbar schwierige Frage. Es gibt dafür kein Handbuch. Wegen meiner bisherigen Erfahrungen habe ich wenig Hoffnung bei der strafrechtlichen Verfolgung. Ich hoffe wirklich, dass sie gründlich ermitteln und all den Mist finden, der abgeht. Ich glaube, es ist auch nicht so schlecht, wenn ich nicht zu hohe Erwartungen habe, so werde ich nicht enttäuscht.