Podcasterinnen über Kölner TV-Branche„Luke Mockridge ist nur die Spitze des Eisbergs”

Lesezeit 8 Minuten
Michaelsen-Tripke

Die Kölnerinnen Jeannine Michaelsen (r.) und Mariella Tripke haben den neuen Podcast "Keine zwei Männer" gestartet.

Frau Michaelsen, Frau Tripke, Sie haben einen Podcast gestartet, der „Keine zwei Männer“ heißt. Ist ein rein weiblich besetzter Podcast denn immer noch etwas Besonderes?

Jeannine Michaelsen: Wenn sich Frauen zusammentun, um irgendein Medienerzeugnis zu erstellen, gibt es oft die Frage: Warum gerade ihr? Was bringt ihr denn noch mit außer Brüste? Bei Männern reicht, dass sie miteinander lustig sind. Frauen werden dauernd gefragt, was sie als Mehrwert zusätzlich zu ihrer Person mitbringen. Zumindest ist mir das im Laufe meiner Karriere schon oft passiert.

Meistgelesen 2021

Unsere besten Texte 2021 – dieser Text ist erstmals am 15. November 2021 veröffentlicht worden.

Alles zum Thema Carolin Kebekus

Mariella Tripke: Wir haben den Podcast gestartet, und aus derselben Ecke kam dann auch prompt die Frage, warum man uns zuhören sollte. Es ist dann eben doch wieder so, dass man sich als Frau überlegen muss, was man macht. Als Frau sucht man sich immer ein Thema.

Das haben Sie auch gemacht. In der ersten Folge ging es um Abtreibung, in der zweiten darum, warum Feminismus auch Männern hilft.

Michaelsen: Wir haben überlegt, was unser roter Faden ist. Zum Thema Abtreibung haben wir etwas zu sagen. Unabhängig davon, wie es mit dem Podcast weitergeht, war es gut, dazu etwas aufzunehmen und zu veröffentlichen, in der Hoffnung, dass es der Debatte weiterhilft. Es gibt Themen, bei denen ist es wichtig, dass Frauen sich daran abarbeiten. Wir sind nicht nur ein Laber-Podcast. Wir wollen besonderen Themen besondere Aufmerksamkeit schenken. Wir entscheiden, was für uns relevant ist.

Tripke: Das ist das erste Mal in unseren Berufen, dass wir völlig frei entscheiden können, welche Gags wir bringen und was wir machen. Da ist niemand über uns, kein Sender, der sagt, was wir machen sollen. Das war auch der Hintergedanke beim Thema Abtreibung. Ich weiß nicht, wo oft ich versucht habe, das in Satireshows unterzubringen. Aber dann hieß es immer: Nee, das lassen wir mal lieber.

Frau Michaelsen, Sie berichten auch von einer Abtreibung, zu der Sie sich entschieden haben als junge Frau. Wie viel wollen Sie von sich selbst preisgeben in diesem Podcast?

Tripke: Es macht einfach Sinn, über eigene Erfahrungen zu sprechen, weil man den Dingen damit ein Gesicht geben kann.

Michaelsen: Ich bin keine Freundin davon, mein Privatleben zu teilen, vor allem nicht im Boulevard. Was ich mache, steht für sich. Aber innerhalb eines solchen Formats haben wir das Zepter in der Hand. Wir setzen den Rahmen. Das ist eine bewusste Entscheidung. Ich habe in zwei Talkshows gesessen und über das Thema gesprochen. Und ich habe mich nicht unwohl gefühlt, weil ich nicht das arme Opfer der Gesellschaft bin. Es braucht bei diesem Thema Gesichter, die sich hinstellen und sagen: Ich habe das gemacht, und es ist in Ordnung.

Tripke: Ich weiß von einem Arzt hier in Köln, der auch Abtreibungen vornimmt. Und da stehen regelmäßig die Lebensschützer*innen vor der Tür. Wie krass muss das sein als verunsichertes Mädchen, wenn man da durch muss?

Warum haben Sie eigentlich den Titel „Keine zwei Männer“ für Ihren Podcast gewählt?

Michaelsen: Es war Mariellas Idee. Ich fand das super. Wir sind in unseren Berufen immer noch wahnsinnig verhaftet in Klischees. Wir leben im ständigen Kampf dagegen. Und trotzdem sind wir diejenigen, die entscheiden, uns darauf nicht reduzieren zu lassen. Man muss nicht mit den Klischees spielen, aber wenn es Spaß macht – warum nicht? Versucht man es zu umschiffen, müsste man große Teile des Berufs- und Privatlebens außen vor lassen.

Zu den Personen

Jeannine Michaelsen arbeitet als Fernsehmoderation, etwa für die Pro-Sieben-Show „Das Duell um die Welt”. Mariella Tripke arbeitet als Autorin für Comedy- und Satireformate, sie schreibt unter anderem für Maren Kroymann und Carolin Kebekus, mit der sie auch deren erstes Buch „Es kann nur eine geben” geschrieben hat.

Ihr Podcast „Keine zwei Männer” erscheint monatlich. Zu hören ist er auf allen gängigen Portalen.

Wie soll es mit dem Podcast weitergehen?

Michaelsen: Es soll einmal im Monat passieren – wie die Menstruation. Es gibt ein Bedürfnis danach, auch harte Themen zu behandeln, die zwar weiblich besetzt sind, aber immer von Männern debattiert werden. Es gibt sehr viel Fremdbestimmung über Frauen, über weibliche Körper. Es gibt eine Notwendigkeit so darüber zu reden, wie das echte Menschen machen. Aber es gibt natürlich auch ein Bedürfnis nach Leichtigkeit und Spaß, das wir auch bedienen wollen. Unser Podcast soll Hirn und Herz haben – in einer gesunden Mischung.

Sie sind beide Anfang der 1980er Jahre geboren. Wann war Ihnen klar, dass Feminismus ein Thema ist, für das Sie sich einsetzen wollen?

Tripke: Ich habe früher immer viel mit Jungs rumgehangen, wollte den gefallen. Was ja auch eine Form von Misogynie ist. Ich habe das erst als Mutter so richtig gemerkt, weil man da noch einmal eine ganz andere Erwartungshaltung draufgeballert bekommt. Und später im Job als Freiberuflerin dann auch.

Sie und Ihre Kolleginnen, Frau Michaelsen, mussten sich ja sogar vom damaligen ARD-Programmdirektor Volker Herres anhören, dass es einfach nicht genug Frauen gibt, die große Shows moderieren können.

Michaelsen: Ich war stinksauer. Als ich meinen Job in der Unterhaltungsindustrie anfing und man mir eine Samstagabendshow anbot, war ich natürlich auch kurz gepampert und dachte: „Krass, andere Frauen machen das nicht. Vielleicht noch die Schöneberger, aber sonst niemand.“ Aber wie geil ist es, die Beste zu sein, wenn man die Einzige ist? Ich war immer in diesen Männerenklaven. Diese Branche ist super männlich. Man hinterfragt das ja aber nicht, wenn man dabei ist, sondern erst, wenn man nach links und rechts schaut und sieht, da gibt es keine anderen Frauen. Irgendwann habe ich begriffen: Mich bedroht keine andere Frau. Seither versuche ich, sehr laut darauf aufmerksam zu machen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Das ist ja auch genau das Thema, das Sie, Frau Tripke, mit Carolin Kebekus in dem Buch „Es kann nur eine geben“ behandelt haben.

Tripke: Carolin war eine der ersten, die mich als Autorin eingestellt hat. Ich war aber auch dort zunächst die einzige Autorin. Ich habe angefangen, als MeToo ein großes Thema war. Ich habe davon profitiert, weil alle plötzlich eine Frau im Team haben wollten. Keiner hat gesagt, Mariella, wir hätten gerne dich im Team. Sondern man brauchte eben noch eine Frau. Aber eine reichte dann eben auch wieder. Das muss sich ändern.

Michaelsen: Wir müssen Strukturen schaffen, in denen wir bestimmen. Wenn man mit mehr Produktionsfirmen zusammenarbeiten würde, die von Frauen geführt werden, mit Autorinnen, Regisseurinnen und man die Verteilung der Aufgaben, die außerhalb des Berufsfeldes immer noch weiblich konnotiert werden, aufteilt und menschlich konnotiert, werden wir nicht mehr einbüßen müssen, weil wir Strukturen haben, die unser Leben verstehen.

Soll dieser feministische Bezug Ihres Podcasts der rote Faden bleiben – oder wollen Sie auch mal ganz andere Themen behandeln?

Michaelsen: Jedes Thema ist letztlich ein Gleichberechtigungs-Thema. Da geht es nicht nur um die Gleichberechtigung zwischen Geschlechtern, sondern auch zwischen Altersgruppen, zwischen Menschen und Tieren. Alles basiert auf einer Ungleichverteilung von Macht, Geld und Status. Die Grundthematik Feminismus und das Problem der Nicht-Gleichstellung trifft auf jede diskriminierte Gruppe zu. Die Struktur ist immer dieselbe, nur das Thema drüber ändert sich. Wir wollen immer einen Anstoß zum Dialog liefern.

Die Kölner TV-Branche wurde jüngst von dem Skandal um Luke Mockridge erschüttert. Das Verfahren wurde eingestellt. Wie blicken Sie auf diese Vorgänge?

Tripke: Luke ist nur die Spitze des Eisbergs. Das gibt es überall. Lukes Geschichte zeigt aber vor allem, diejenigen, die das machen, haben die Macht, dich in Grund und Boden zu klagen. Übergriffigkeit ist ein krasses Problem. Die Kölner Branche hatte halt ihre goldenen Zeiten in den Nuller Jahren und Sexismus, Homophobie und Rassismus waren da einfach gut für Gags. Ich habe auch mal einen übergriffigen Moderator erlebt, der gesagt hat, ich könnte mit ihm schlafen und schnell Karriere machen oder ich könnte als Hausfrau und Mutter enden. Ich habe mich über ihn beschwert. Und dann war die Aussage: Wir wissen alle, dass er ein Arschloch ist, aber was sollen wir machen? Die Sendung einstellen? Das war es dann. Aber Luke wird dennoch als Einzelfall behandelt. Es gibt immer noch keinen Aufschrei, keine weiterführende Debatte. Wir Frauen untereinander wissen das, es gibt so viele Fälle. Trotzdem haben die Opfer immer noch Angst, das zu sagen.

Michaelsen: Es ist eine Verschiebung der Debatte. Wir können nicht im Einzelnen klären, was da passiert ist. Das ist auch nicht unsere Aufgabe. Es hat den „Spiegel“-Artikel gebraucht, um den Frauen, die gesprochen haben, ihre Glaubwürdigkeit zurückzugeben. Die Tatsache, dass es zwölf Frauen braucht, um zu bestätigen, was eine gesagt hat, ist schon traurig. Wir müssten diese Branche durchleuchten, in der die Struktur einen solchen Umgang erlaubt, unabhängig von dieser Geschichte. Das ist kein Einzelfall, und es ist auch kein Einzelfall, dass Frauen sich nicht trauen, darüber zu sprechen.

Die Strukturen müssten sich grundlegend ändern?

Michaelsen: Ja, wenn es kein Verhaltenskorrektiv gibt und du in den 90ern gelernt hast, dass du der Praktikantin natürlich auf den Hintern hauen kannst, dann machst du das später auch. Wir müssen klären, warum es in unserer Branche möglich ist, sich so zu verhalten und damit durchzukommen - ohne dass es eine Gleichverteilung der Unschuldsvermutung gibt. Eins ist klar geworden: Wir können es in Deutschland nicht ertragen, wenn unsere Helden fallen. Wir können Schurken stolpern sehen, aber doch bitte nicht den Schwiegersohn-Typ oder Lieblingsfußballer. Ist man nur groß genug, wird man nicht fallen. Man darf Fehler machen, aber man muss lernen, damit umzugehen. Doch diese Menschen gehen nicht damit um - und sie kommen damit durch.

Unsere besten Texte 2021 – dieser Text ist erstmals am 15. November 2021 veröffentlicht worden.

KStA abonnieren