Was mach' ich hier eigentlich?Ein Fischkopp in der Lachenden Kölnarena

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Im Zeugnis stünde wohl: Er bemühte sich stets. Michael Kohler übt das Schunkeln. 

  • Seit acht Jahren wohnt Michael Kohler in Köln und findet die 5. Jahreszeit immer noch gewöhnungsbedürftig – trotzdem hat er sich ins Zentrum des Frohsinns gewagt.
  • Als Kung Fu Panda will er es wagen. Doch Pandaohren gibt es nirgends zu kaufen. Soll er vielleicht als Kung Fu Petzi gehen?
  • In unserer Serie „Was mach ich hier eigentlich?“ gehen unsere Kultur-Kritiker dorthin, wo es sie auf Anhieb nicht hinziehen würde, wo es ihnen vielleicht sogar persönlich wehtut. Dort werfen sie einen neugierigen Blick auf eine für sie fremde Welt.

Köln – Eigentlich bin ich ja auch jeck. Ich komme nur nicht dazu. Seit acht Jahren lebe ich in Köln und bin immer noch überrascht, wenn mir morgens in der Straßenbahn Einhörner, Prinzen oder die Biene Maja begegnen. Am Abend, wenn sich die Fabelwesen mit glasigen Augen um mich drängen, bin ich fasziniert – wie ein Urwaldforscher, der sich im Pygmäen-Kochtopf Notizen über seine Zubereitung macht. Natürlich weiß ich, dass dies nicht der richtige Karneval ist. Aber gibt es überhaupt einen richtigen Karneval im falschen?

Die Arena lacht noch nicht

Es ist früher Abend, die Kölnarena lacht noch nicht. Auf dem Vorplatz ist es kalt und nass und ich habe schlecht geschlafen – ein klassischer Fall von Prüfungsangst. Im Grunde kann ich, aufgewachsen in Buxtehude, bei meinem Initiationsritus in die Karnevalsgebräuche nur versagen. Mein Kung-Fu-Panda-Kostüm ist aus Hausmitteln gestrickt und flößt mir wenig Mut ein. Bestimmt wittern die anderen Tiere meine Furcht.

Bislang war das Leben graue Theorie. Jetzt wird es Zeit für die Praxis, finden die Kollegen. Schließlich gehört der kölsche Karneval zum Quasi-Weltkulturerbe. Ohne ihn bliebe Köln von den drei großen K nur Kirche und Kunst, und das kann niemand wollen. Also wage ich mich ins Herz der rheinischen Volkskultur, die Lachende Kölnarena. Sieben Stunden Liebe, Schunkeln, Liedgut, ein allabendliches Woodstock unterm Hallendach. Eine Kollegin prophezeit mir ein Erweckungserlebnis, was mich an die Wunderheilungen amerikanischer Massengottesdienste denken lässt.

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Im Innenraum sind noch Stehplätze frei. Meine Freundin begleitet mich – oder wer ist diese Person im Dirndl? Allmählich dämmert mir, dass man sich auch zu zweit in einer riesigen Menge verloren fühlen kann. Karneval ist ein Gruppenerlebnis, das in viele kleine beschwipste Grüppchen zerfällt. Und dazwischen wir. Im Moment ist mein bester Freund der Flachmann in meiner Hand. When in Rome ... So jeck, dass ich mich mit Pittermännchen einlasse, werde ich wohl nie.

Eine ferne Kindheitserinnerung

Für mich ist Karneval eine ferne Kindheitserinnerung, die auf den Namen Fasching hört. Im Familienalbum gibt es ein Foto von mir, als Pirat, im Kindergarten. Ich sehe glücklich aus. Danach verliert sich die Spur. An der Karnevalisierung des Nordens („Da steht ein Pferd auf dem Flur“) habe ich nicht teilgenommen, die kölsche Session kannte ich lange nur aus dem Fernsehen. Als Kind bettelte man dann geradezu darum, vor neun ins Bett geschickt zu werden.

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Anschluss findet man leicht im Karneval, zumal, wenn man die Versuchsanordnung manipuliert und einen Fotografen an seiner Seite hat. Für ein echtes Stimmungsbild verkuppelt der mich mit einer Riege wilder Wiever, die mich aus Mitleid ein bisschen schunkeln lassen. Wir gehen im Guten, aber auch erleichtert wieder auseinander. Gleich darauf quatscht uns Bibo gut gelaunt von der Seite an, weil man in der Halle eigentlich nicht fotografieren darf. Mein Schutzengel entgegnet ebenso fröhlich, dass wir vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ sind, was die Frau im gelben Gefieder mindestens so sehr begeistert wie meine sofort eingestandene Karnevals-Jungfräulichkeit. Ich bin jetzt wirklich gerührt, von Zeitungskrise keine Spur.

Acht Jahre habe ich meinen Fischkopp erhobenen Hauptes durch den Karneval getragen. Soll ich jetzt etwa schwach werden? Ich ertappe mich bei dem Gedanken, die sprichwörtliche kölsche Toleranz im Kostüm der Spaßbremse (also als ich selbst) auf die Probe zu stellen. Irgendjemand hat mal ein Buch über mich geschrieben. Es heißt: „Stolz und Vorurteil.“ Am Ende siegt die Mitmenschlichkeit und entscheidet sich dafür, als Kung Fu Panda in die Arena zu fahren.

Plötzlich in Hochstimmung

Plötzlich in Hochstimmung betrete ich ein stadtbekanntes Fachgeschäft, um Pandaohren zu bestellen, als wäre ich ein Gourmet auf der Jagd nach verwegenen Geschmackserlebnissen („Darf es noch etwas gehobeltes Nashorn sein?“). Doch dann die Enttäuschung: Das Gesuchte gibt es nicht. Soll ich vielleicht als Kung Fu Petzi gehen? Dass ich mit Karnevalsschlagern berieselt werde, macht es nicht besser. Sollte dies ein Vorbote für die Dauerbeschallung in der Lachenden Kölnarena sein, sterbe ich dort einen langsamen, qualvollen Tod.

Nicht nur mein Abend kommt etwas schleppend in Gang. Ich finde den Bauchredner eigentlich ganz witzig, aber für „ganz witzig“ geht offenbar niemand in die Lachende Kölnarena. Bei den Räubern kippt die Stimmung erstmals in Richtung Ausgelassenheit, die Kiss-Cam pickt sich umjubelte, weil willige Opfer aus der Menge. „Was haben die, was die Funky Marys nicht haben?“, frage ich. „Gute Songs“, antwortet meine Freundin trocken. Ich schiebe es auf die vorgerückte Stunde. An der Bühnenshow gibt es ansonsten nichts auszusetzen. Alles ist absolut professionell, Las Vegas kann in der Kölnarena womöglich noch etwas lernen über gute Laune im Akkord.

Ich überlege, wie viele Menschen im Publikum ebenfalls ihr Programm abspulen und werde dafür sogleich von einer Gruppe rot-weiß geringelter Rentner beschämt. Die haben wirklich Spaß. Man muss die Feste eben feiern … Das denkt sich offenbar auch Dä Blötschkopp und macht die gut geölte Karnevalsroutine zum integralen Bestandteil seiner Nummer. Alle sind begeistert, ich erleichtert. Bitte mehr davon. Vor einigen Jahren war ich beruflich im Kölner Karnevalsmuseum, einem, Achtung Wortwitz, nüchternen Zweckbau im städtischen Gewerbegebiet.

Seitdem kann ich die Vorzüge des organisierten rheinischen Frohsinns herunterbeten: die Parodie des Preußentums, der Urlaub vom Alltag, der kollektive Rausch, das Schunkeln und Bützen, das Aufgehen im Jeföhl. Im Museum hängt die Kopie eines berühmten Karnevalsgemäldes von Pieter Bruegel. Ein herrliches Gewusel und Gewimmel. Schon blöd, wer sich das entgehen lässt.

Bald ist die Stimmung auf dem Siedepunkt. Schade, dass ich das nicht miterlebe. Auf dem Heimweg steigen wir ins Taxi eines geborenen Südstädters, der hasst, was angeblich aus seinem Karneval geworden ist: ein Magnet für Sauftouristen. Ich versuche erfolglos, ein gutes Wort für die Lachende Kölnarena einzulegen. Doch dieser Bruch scheint nicht mehr zu kitten. Als ich frech behaupte, ich sei Kölner, werde ich ebenso entschieden zurechtgewiesen: „Ein Imi sind Sie.“ Was zu beweisen war.

Als meine Freundin diesen Text liest, mahnt sie ein versöhnliches Finale an. Also dann: Nächstes Mal versuchen wir es im Kneipenkarneval.

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